Patient mit Lungenembolie lehnt Behandlung ab – Jetzt will er 360.000 Euro
Weiden. Ein Patient hat das Klinikum Weiden auf Schmerzensgeld in Höhe von 360.000 Euro verklagt, zusätzlich fordert er weitere Folgekosten ein. Vorläufiger Streitwert: 650.000 Euro. Der 73-Jährige war 2018 mit einer Lungenembolie in Behandlung. Die Ärzte empfahlen eine Lyse-Therapie, die er ablehnte. Die Situation eskalierte.
Auch für die 1. Zivilkammer mit den Richtern Thomas Hys, Dr. Konrad Roth und Janina Leinhäupl ist es „ein Verfahren, das so nicht alltäglich ist“. Der frühere Geschäftsmann ist heute ein Pflegefall. Mit allen Konsequenzen: Er war lange in Kliniken, das Paar musste umziehen, es entstanden erhebliche Kosten. Ins Landgericht Weiden wird der halbseitig gelähmte Mann mit dem Rollstuhl geschoben. Seine Frau spricht für den heute 79-Jährigen, weil er eine Sprachstörung davongetragen hat. Mit dabei ist die Tochter, selbst Ärztin.
Was war passiert? Gutachter Prof. Peter Bernhard, Kardiologe aus Ulm, fasst zusammen. Im April 2018 war der Patient (damals 73) mit Atemnot aufgenommen worden. Das CT ergab eine beidseitige Lungenarterienembolie. Er war in Lebensgefahr. Die einzig richtige Therapie wäre die Lyse gewesen: eine Infusion zur Auflösung von Blutgerinnseln. „Die Erfolgsaussichten erhöhen sich dann deutlich.“
Der Patient lehnte dies ab. In der Dokumentation heißt es: „Eine Lysetherapie wurde mit dem Patienten ausführlich besprochen, sie wurde von ihm ausdrücklich abgelehnt.“ Auch Thrombosestrümpfe wollte er nicht anziehen. Man gab daraufhin lediglich den Gerinnungshemmer Heparin – und davon zu wenig.
Familie pocht darauf: Er hätte sich überzeugen lassen
Am dritten Tag des Klinikaufenthalts kam es zur Krise. Der Patient bekam keine Luft mehr. Der Kreislauf versagte. Der Mann wurde reanimiert und an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Er lag im Koma. Parallel erlitt er Schlaganfälle.
Die Frau des Patienten pocht darauf: Ihr Mann hätte der Lyse zugestimmt, wenn er ausreichend aufgeklärt worden wäre. Er fürchtete wohl eine Augenblutung, weil er gerade erst eine Spritzentherapie gegen eine Makula-Degeneration abgeschlossen hatte. Sie sagt: Wenn man ihm erklärt hätte, dass dies nicht dagegen stünde, hätte er der Lyse zugestimmt. „Er hätte sich überzeugen lassen.“ Drei Ärzte hätten „versagt“.
Gericht tendiert zu Ärzten – „Schicksalhaftes Geschehen“
Für Richter Hys ist das letztlich die „Gretchenfrage“: „Wenn der Patient die Behandlung nicht will, dann will er sie nicht. Kann man diese falsche Entscheidung danach auf die Ärzte schieben?“ Wie lange müsse ein Arzt auf den Patienten einreden? Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten werde in der deutschen Rechtssprechung hoch bewertet. „Wenn der Arzt etwas gegen den Willen des Patienten macht, macht er sich schuldig der Körperverletzung.“
Die Zivilkammer tendiert nach vier Stunden Verhandlung zum Klinikum, vertreten durch die Rechtsanwälte Carl Brünnig und Markus Blay. Man sehe ein „eher schicksalhaftes Geschehen, als das auf einen ärztlichen Fehler zu schieben“, so Richter Hys. Die Entscheidung wird 2025 verkündet.
Sachverständiger: Kausalitätskette schwer zu führen
Gutachter Bernhard geht vor Gericht auch ausführlich auf einen Behandlungsfehler ein, den er gefunden hat. So hätte an Tag 2 deutlich mehr Heparin gegeben werden müssen. Der Gerinnungswert war kaum gesunken. Kriegsentscheidend ist dies im Ergebnis nicht: Letztlich hätte das die Schlaganfälle auch nicht vermieden, sagt der Sachverständige.
Diese Schlaganfälle kamen „on top“ dazu. Man entdeckte sie erst zehn Tage später im MRT, als der Mann aus dem Koma geweckt wurde. Zumindest teilweise könnten die Schlaganfälle bei dem Patienten durch ein angeborenes Loch zwischen den Herzkammern begünstigt worden sein. Blutgerinnsel können so durch das Herz ins Gehirn wandern. 25 Prozent aller Deutschen haben einen solchen „Vorhof-Defekt“ ohne davon zu ahnen, allermeistens folgenlos.
Die Kausalitätskette kann am Ende nicht geführt werden: Was trat wann und warum ein? Was hat zu den Hirnschäden beim Patienten geführt? Die Atemnot durch die Lungenembolie, die Schlaganfälle oder gar die Reanimation? Letztlich landet der Kardiologe immer wieder bei der verpassten Lyse. „Wenn eine Lyse gemacht worden wäre, wäre es vielleicht nicht zum Einbruch am dritten Tag gekommen. Dann wäre es auch nicht zur Reanimation gekommen. Und wäre er nicht reanimiert worden, wäre er gestorben.“
Was ist eine Lungenembolie?
Bei einer Lungenembolie kommt es zum Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien. Unbehandelt kann dies zum Tod führen. Die Verstopfung erfolgt durch ein Blutgerinnsel, das in die Lunge gespült wird. Dieses verschließt die Arterien, die für die Lungendurchblutung wichtig sind. Der betroffene Lungenabschnitt ist dann von der Blut-, Sauerstoff- und Nährstoffversorgung abgeschnitten. Gleichzeitig staut sich das Blut zurück bis zum Herzen. Dies kann zu Atemnot und Herzversagen führen. Der häufigste Auslöser einer Lungenembolie ist eine tiefe Venenthrombose. (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit)
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