Paulus Mehlers Migrations-Ruckrede: Migranten sichern den Erfolg der Tirschenreuther Tuchfabrik

Neuhaus. Man dürfe Armutsflüchtlinge und Arbeitsmigranten nicht vermischen, wird behauptet. Warum eigentlich? Paulus Mehler hat 2015 Flüchtlinge in seiner Tuchfabrik eingestellt. Trotz mancher Fehlschläge sind sie für ihn inzwischen unentbehrliche Fachkräfte.

Mit am Echo-Migrations-Podium Paulus Mehler, Geschäftsführer der Tirschenreuther Tuchfabrik Mehler. Foto: Jürgen Herda

Die Tirschenreuther Tuchfabrik ist mehr als eine singuläre Überlebende der großen Textilkrise des vergangenen Jahrhunderts. Sie ist ein Kulturerbe wie die Waldsassener Glashütte Lamberts. Eigentlich müsste man für dieses fast 400-jährige Industriedenkmal, das die Mehlers bereits in elfter Generation führen, auch den Welterbe-Titel beantragen. Und wer weiß, vielleicht macht das Geschäftsführer Paulus Mehler ja auch noch.

Dass das Überleben dieses Erbes deutschen Erfindergeistes und deutscher Tüchtigkeit auch ein Stück weit Flüchtlingen aus gerade den Ländern zu verdanken ist, denen manche Deutsche die Arbeitsmoral pauschal absprechen, ist nur eine Pointe dieser Geschichte. Die zweite: Dass sich die christliche Grundeinstellung der Mehlers, Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und vieler weiterer Nationen zu beschäftigen, auch noch als überaus geschäftstüchtig herausgestellt hat.

Ausgehuniformen der Bundeswehr

„Wir sind also die ältesten Textiler in Deutschland“, beginnt Paulus Mehler seine Erzählung, „früher war es natürlich Handwerk, irgendwo ist es dann Industrialisierung geworden.“ Betriebe wie diese habe es mal 185 gegeben, sagt der ehrbare Kaufmann, dessen Familie wegen der christlichen Grundeinstellung von den Nationalsozialisten alles andere als gelitten war.

Mittlerweile sind wir die einzigen, und uns braucht man natürlich auch nicht. Paulus Mehler

Damit man so einigermaßen am Markt bestehen könne, stelle man Stoffe aus Wolle her: „Wir sind in der Tracht beheimatet“, verrät der Schalke-Fan am Rande der Migrations-Debatte dem Jahn-Fan, „wir machen sehr viel im Behördenbereich für die Polizei, die Feuerwehr – wobei das ganze bayerische Polizeizeug alles fix und fertig aus Asien kommt.“ So viel zum Lokalpatriotismus der Staatsregierung. „Wir haben andere Bundesländer, die kompletten Ausgehuniformen für die Bundeswehr, zum anderen auch im Bereich Vereinsausstattung.“

Anlaufstelle der Flüchtlingswelle

Kleine, sehr spezielle Serien, Interieur: „Wir müssen so breit aufgestellt sein, so viele Nischen haben, damit es funktioniert“, erklärt er das weite Feld der Mehler-Fabrikation. Man sei mit dieser Strategie die vergangenen 15 Jahre bis zur Pandemie ziemlich gewachsen: „Wachstum braucht einfach auch Arbeitskräfte“, sagt Mehler. „Jetzt gibt’s bei uns im Landkreis Tirschenreuth mehr oder weniger Vollbeschäftigung durch die großen Player.“ Ziegler, zumindest bis zur Insolvenz, Hamm und Schott. „Alles namhafte Unternehmen, und da fallt ein kleiner Mehler eher unters Raster oder aus dem Raster.“

Doch dann kam die große Flüchtlingswelle: „Und wir waren direkte Nachbarn vom Arbeitsamt, und somit waren wir für diese neu angekommenen Mitbürger mit eine erste Anlaufstelle.“ Als Erstes seien zwei Brüder gekommen, die nach Arbeit gefragt hätten. „Okay, schauen wir mal“, habe er vorsichtig optimistisch gesagt. „Jeder, der bei mir arbeitet, muss ein paar Tage Praktikum machen.“ Es sei ihm nämlich sehr wichtig, dass sich der potenzielle Mitarbeiter auch mit der Tätigkeit identifiziere:

Dass er mit der DNA des Betriebes klarkommt, und wir wollen natürlich sehen, was sind das für Leute. Paulus Mehler

Mit am Echo-Migrations-Podium Paulus Mehler, Geschäftsführer der Tirschenreuther Tuchfabrik Mehler. Foto: Jürgen Herda

Syrische Führungskräfte mit Geschäftswagen

Was soll man sagen? Der erste Anlauf war ein rechter Flop. Gleich am Montag, dem ersten Tag des Praktikums, kommt der Kandidat erst gar nicht. „Ja, sauber, das passt schon wieder.“ Später habe sich dann herausgestellt, als dieser noch einmal mit seinem älteren Bruder gekommen sei: „Er hat sich nicht getraut, er war da einfach überfordert zu dem Zeitpunkt.“ Also habe Mehler zugestimmt, dem Bruder eine Chance zu geben. „Und der hat sich dann relativ schnell integriert – und dann haben wir auch den jüngeren Bruder genommen.“

Soweit zu den Anfängen dieser ungewöhnlichen Integrations-Story: „Diese zwei Syrer haben jetzt mittlerweile Führungspositionen, jeder hat einen Geschäftswagen.“ Mehler beschäftige heute Mitarbeiter aus 12 Nationen: „Jeder dritte ist ein Migrant.“ Jetzt müsse er ein bisschen überlegen: „Wir haben Leute aus Äthiopien, Afghanistan, dem Iran, dem Irak – die meisten sind Syrer, Ukrainer und Rumänen.“ Dazu kämen tschechische Handwerker:

Also ein bunter Haufen ist es auf jeden Fall, bei uns es gibt ganz tolle Leute – bei mir kriegt jeder eine Chance, wenn ich kann, ich muss natürlich eine freie Stelle haben. Paulus Mehler

Rigoros gegen Paschas

Jeder müsse aus dieser Chance dann aber auch etwas machen: „Da gibt’s eine Riesenbandbreite“, malt er sich seine Tucharbeiter keineswegs schön, „da gibt’s ganz wilde Vögel, die überhaupt nicht unsere Gepflogenheiten akzeptieren.“ Manche gäben einer Betriebsleiterin, eben weil sie eine Frau sei, nicht die Hand. „Von einer Frau lasse ich mir nichts anschaffen“, würden die sagen, obwohl die kompetente weibliche Fachkraft schon 30 Jahre im Betrieb sei.

Andere hätten es für unter ihrer Würde befunden, die Maschinen zu putzen. „Da bin ich rigoros“, macht Mehler klar, „solche Leute haben bei uns keine Daseinsberechtigung und die sind dann wieder schneller draußen wie herinnen, da sind wir ganz konsequent.“ Ein Sozialromantiker ist der Mehler also mitnichten.

Wenn sie dagegen ihren Glauben ausüben wollen, da findet man immer Möglichkeiten – ein Raum für das Mittagsgebet, aber die Gepflogenheiten unserer Gesellschaft, im Betrieb müssen einfach akzeptiert werden. Paulus Mehler

Gast-Musiker Tobias Meier bereichert den Echo-Event: Der Bahler-Zoigl wurde für die überparteiliche Wahlinitiative zum gastfreundlichen Echo-Wohnzimmer mit Wirtshausmusik. Foto: Jürgen Herda

Integration in Vereine und Feuerwehr

Integration sei aber auch keine Einbahnstraße: „Man muss sich schon darum kümmern.“ Man könne die nicht kommen lassen und erwarten, dass alles wie von selbst am Schnürchen laufe. „Wir kümmern uns um die Wohnung, wir schauen, dass sie mit unserer Gesellschaft auch in Berührung kommen.“ Etwa in Vereinen. Wichtig sei, dass auch deren Familie da sei: „Damit sie sich heimisch fühlen – durch die Familie, durch die Kinder, durch die deutschen Kontakte in den Schulen kommt es zu einer gewissen Integration, dadurch fühlen sie sich dazugehörig.“

Schließlich wolle man die Fehler vermeiden, die man bei der ersten Gastarbeiter-Generation aus der Türkei gemacht habe. Man dürfe sie nicht nur als Arbeitskräfte betrachten, die sich dann in ihren Ghettos auf sich gestellt isolieren würden.

Sie sollen in der Mitte der Gesellschaft sein – wir haben versucht, sie in der Feuerwehr zu integrieren, andere beim Fußball und im Theater. Das ist ganz entscheidend, damit das gelingt, und die Leute sich wohlfühlen. Paulus Mehler

Unsere neuen Mitarbeiter sind Vorbilder

Mehler weiß aus eigener Erfahrung: „Ohne eine gewisse Zuwanderung wird es nicht gehen.“ Wer das heute noch ernsthaft glaube, das sage er mal ganz derb, der spinnt ein bisschen: „Wer wird uns denn in zehn Jahren mal den Hintern abwischen?“ Nachtarbeit oder am Wochenende, das wolle doch kein Deutscher mehr.

Wer die Vorstellung hat, man kann diese Leute nicht brauchen, muss sich klarmachen, dass wir ansonsten auf vieles verzichten müssen, was uns lieb geworden ist. Paulus Mehler

Um unseren Wohlstand zu halten, bräuchten wir diese Zuwanderung für unsere eigene wirtschaftliche Entwicklung. „Ich sag’s jetzt so“, konstatiert der Unternehmer, „viele Deutsche können sich an unseren neuen Mitarbeitern wirklich orientieren, das sind Vorbilder.“ Auch wenn dieser Weg kein leichter gewesen sei. Am Anfang habe die Stammbelegschaft gemurrt: „Ja, brauchen wir jetzt die Ausländer?“, hätte die sehr negativ reagiert.

Da musst du aber ganz klar und rigoros sein, wenn einer bei uns ist, dann gehört er zur Familie, dann bekommt er den gleichen Lohn, dann bekommt er die gleiche Arbeit und nicht bloß niedrige Tätigkeiten, das ist ein vollwertiges Mitglied der Betriebsfamilie, und wenn dir das nicht passt, wir sind kein Gefängnis, dann kannst du gehen. Paulus Mehler

Der Erfolg der bunten Truppe

Inzwischen sei diese Haltung voll akzeptiert. „Mittlerweile gehört das dazu“, freut sich Mehler, „wir sind da eine bunte Familie und das ist überhaupt kein Problem mehr.“ Man müsse sich eben ein bisschen zusammenraufen, etwa beim Menü-Plan fürs Betriebsfest, wo mit Rücksicht auf die Moslems halt dann auch Alternativen zum Schweinsbraten aufgetischt würden.

„Da gibt’s Geflügel, da gibt’s natürlich einen Kalbsbraten, einen Rinderbraten und anstatt der Leberknödelsuppe gibt’s jetzt halt eine Hochzeitsuppe mit einer Rinderkraftbrühe.“ Die Konflikte und Reibereien der ersten Jahre gehörten der Vergangenheit an, das Zusammengehörigkeitsgefühl sei gewachsen:

Wir feiern miteinander, wir arbeiten miteinander, und ohne unsere bunte Truppe hätten wir nicht so erfolgreich sein können, wie wir es sind. Paulus Mehler

* Diese Felder sind erforderlich.