Präsident Steinmeier am Stockenhut: Erzieher fordern mehr Wertschätzung
Weiden. Präsident Frank-Walter Steinmeier besucht am Mittwoch den Brennpunkt-Stadtteil Stockenhut. Erst wird in der Kinderscheune fröhlich gebastelt. Dann haben Erzieher und Lehrer ein ernstes Anliegen: Sie fordern mehr Anerkennung für ihre Arbeit.

Jawad ist der heimliche Star der Truppe in der Kinderscheune Kreuz Christi. Der lockige Bub sitzt auf dem Hocker neben dem Bundespräsidenten. Während des Morgenkreises mit Erzieherin Cornelia Doß schwätzt er mit dem Ehrengast. Was er ihn gefragt hat? „Was er arbeitet“, verrät Jawad später.
Der Bundespräsident erklärt das gern und kindgerecht. „Meine Tage sind ganz unterschiedlich. Manchmal bin ich in Berlin, manchmal besuche ich Frankreich oder Israel oder Indonesien. An machen Tagen kommen Staatspräsidenten und Könige zu uns. Da versucht man, Freundschaft zu schließen.“
Samenherz aus Eierkarton-Brei
Das hört sich doch ganz vernünftig an. Freund ist er auch gleich mit Viktoria und den Zwillingen Nina und Malina. Die Drei dürfen mit ihm basteln. Sie formen aus „Eierkarton-Mantsche“ ein Samenherz, das getrocknet in Erde gepflanzt werden kann. Es sollen auch in Berlin ein paar Blumen blühen. Steinmeier macht große Augen und mantscht mit.
Viktoria findet den Präsidenten nach dem ersten Eindruck „gut“. Ein bisschen sieht er wie der Nikolaus aus, „aber da fehlt der Bart“. Wochenlang haben die Erzieher ihre Schar vorbereitet. Zwei Wochen hing ein Bild von ihm im Gruppenraum. „Für die Kinder ist er der König von Deutschland“, sagt Kita-Leiterin Bianca Mysik.
84 Kinder aus 14 Nationen
84 Kinder aus 14 Nationen werden in der nagelneuen Kinderscheune Kreuz Christi betreut. Sie liegt malerisch am Teich in der Neuen Mitte. Die Johanniter-Kita, ein paar hundert Meter weiter, ist da weniger idyllisch: Hier spielen die Kinder aktuell hinter einem Bauzaun. Die Probleme dürften sich in allen Kitas am Stockenhut ähneln.
In einer Diskussionsrunde im Stadtteilzentrum hört sich der Präsident die Sorgen von Erziehern und Lehrern an. Diana Bär aus der Kinderscheune glaubt, dass vielen Menschen nicht klar sei, was heutzutage in den Einrichtungen geleistet wird. „Es geht um Bildung, nicht Betreuung. Erst wenn das im Bewusstsein der Bevölkerung ankommt, wird unser Beruf höher geschätzt.“
Zunehmende Vereinzelung: Familien kennen sich nicht mehr
Erziehungsarbeit dreht sich heute nicht nur um Kinder. „Nur wenn man die Familie ins Boot holt, kann Bildung gelingen“, sagt Karina Aschka, Erzieherin und Sprachfachkraft vom Gottfried-Sperl-Haus für Kinder. Sie bedauert, dass das Bundesprogramm „Sprach-Kita“ beendet und an die Länder übergeben wurde. Nicht alle Länder haben das Programm fortgeführt.
Auch deutsche Familien bräuchten immer mehr Unterstützung und stoßen an ihre Grenzen. Inga Hinz, Geschäftsführerin der Kindertagesstätten im evangelisch-lutherischen Dekanat Weiden, beobachtet eine zunehmende Vereinzelung von Familien. Früher hätten sich Eltern über die Kinder befreundet. Noch verstärkt durch Corona würden sich viele Familien gar nicht mehr kennen.
Inga Hinz plädiert für eine bessere Finanzierung der frühkindlichen Bildung, die man nicht hoch genug schätzen könne: „Die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft profitieren davon, wenn wir hier unten die Basisarbeit machen.“
Viele schaffen erstes Schuljahr nicht
Was passiert, wenn diese Chance verpasst wird, erlebt Rektorin Alexandra Wildenauer von der Gerhardinger-Grundschule. „Unser Migrationsanteil liegt bei 75 Prozent.“ Manchmal passiert es, dass Migrantenkinder keinen Kindergartenplatz bekommen, weil sie beispielsweise unterm Jahr ankommen.
„Wenn sie dann zu uns kommen, können sie die Sprache nicht. Sie können den Umgang mit Stiften nicht, und den Umgang mit anderen Kindern.“ Ein ganz großer Anteil müsse schon das erste Schuljahr wiederholen. „Sie sammeln Frusterlebnisse und lehnen irgendwann Bildung ab.“
Auch zwei angehende Erzieher sind da: Sophia Käs und David Seebauer, beide von der Fachakademie für Sozialpädagogik in Weiden. Sophia ist fast fertig und hat noch die fünfjährige Ausbildung absolviert. Bei David sind es nur noch vier Jahre. Auch die Leiterin der Caritas-Fachakademie für Sozialpädagogik, Dr. Barbara Neuber, ist kein Fan der Kürzung: „Man nimmt uns ein Jahr Zeit.“ Die Ausbildung sei sehr komplex.
Noch zu viel Abgrenzung zum Lehrer und Sozialpädagogen
Auch die jungen Leute finden diese Kürzung nicht gut. „Es hätte andere Wege gegeben, den Beruf attraktiver zu machen“, sagt Sophia Käs. So seien die neu eingeführten 450 Euro in den ersten beiden Ausbildungsjahren bestenfalls ein Taschengeld. Sie machen nicht wett, dass es nach wie vor eine Abgrenzung zu Sozialpädagogen und Lehrern gibt. „Dabei machen wir teilweise genau die gleichen Ausbildungsfelder.“ Ein Erzieher steige vier Stufen unter dem Sozialpädagogen ein. Sie fordern mehr Wertschätzung: ideell und finanziell.
Genau dies verspricht Bundespräsident Steinmeier nach einer guten Stunde: „Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, dass Sie Ihre Wertschätzung bekommen.“
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