Reichsbürger Johann R. wieder vor Gericht: Prozessauftakt in Regensburg
Ab Mittwoch muss sich Johann R. (63), Geschäftsführer eines Pflegedienstes im Landkreis Neustadt/WN, vor dem Landgericht Regensburg verantworten.
Der Vorwurf: Veruntreuen und Vorenthalten von Arbeitsentgelt von einer Million Euro. Er beschäftigte Pflegekräfte aus Osteuropa, die im Haushalt des Pflegebedürftigen leben und 24 Stunden anwesend sind. Nach aktueller Gesetzeslage muss ihnen auch für Bereitschaftszeiten Mindestlohn bezahlt werden.
Die Anklage erfolgte zum Landgericht Regensburg, was einer Straferwartung von über vier Jahren Haft entspricht. Verhandelt wird vor der Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Richter Gerald Siegl.
Straferwartung: vier Jahre aufwärts
Die Anklage hat nichts mit den aktuellen Ermittlungen gegen den 63-Jährigen zu tun („Zoll durchsucht Pflegedienst: 100 Beamte im Einsatz“). Es handelt sich vielmehr um ein Verfahren aus dem Jahr 2016. Auch damals ermittelte der Zoll in Weiden, Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Der Vorwurf: Johann R. soll 2015 und 2016 seine Mitarbeiter nicht ordentlich abgerechnet haben.
Konkret listet die Anklage 112 Fälle auf. Die Erkenntnisse des Zolls: Die Pflegekräfte kamen ausschließlich aus Osteuropa. In der Regel waren pro Patient zwei Mitarbeiter eingeteilt. Sie übernahmen im zwei- bis sechswöchigen Wechsel die Pflege und wohnten dafür im Haushalt des Pflegebedürftigen. Dazwischen fuhren sie nach Hause. Vergütet wurde laut Anklage nur die in den MDK-Gutachten festgelegte Stundenzahl je nach Pflegestufe, nicht aber Bereitschaftszeiten.
Auf diese Weise soll der Geschäftsführer knapp über eine Million Euro an Sozialversicherungsbeiträgen nicht bezahlt haben (fifty-fifty Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil).
Seit 2014 Zweifel „am System“
Die Gerichtsverfahren gegen Johann R. bekommen deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil sich der 63-Jährige seit einigen Jahren immer mehr der Reichsbürger-Szene zugewandt hat. Er selbst datiert sein Umdenken auf 2014/15: „Da ging’s richtig los. Da dachte ich: Da stimmt doch was nicht“, sagte er in der Verhandlung vom 8. Februar 2023 am Amtsgericht in Weiden.
Er habe zunehmend „am System“ gezweifelt, informierte sich bei Blogs wie „NSU-Leaks“ und „Fatalist“. Er lernte Heike Werding kennen („eine liebenswerte Frau“), die inhaftierte Gründerin der inzwischen verbotenen Gruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“.
Passionierter Pfleger und Querulant: Wie passt das zusammen?
2018 bekam Johann R. zunehmend Ärger mit der Polizei: Nach seinen eigenen Angaben wurde gegen ihn nach einer Demo in Chemnitz wegen Volksverhetzung ermittelt. Immer wieder kam es bei AfD-Kundgebungen zu Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten. Seit 2018 benutze er seinen Personalausweis nicht mehr, sondern eine selbst erstellte Geburtsurkunde.
In gleichem Maß, in dem sich der Geschäftsmann seinen Verschwörungstheorien zuwandte, ging es mit der Firma bergab. Ausführlich blickte der 63-Jährige bei der Amtsgerichtsverhandlung auf sein bisheriges Berufsleben zurück: Der Berufssoldat stieg mit Anfang 30 in den Pflegeberuf um, wurde Pflegedienstleiter, dann Heimleiter eines katholischen Seniorenheims. „Pflege liegt mir im Blut.“
Erfolgsmodell: ambulante 24-Stunden-Pflege
2003 erfolgte der Schritt in die Selbstständigkeit. Das Ehepaar R. bot häusliche 24-Stunden-Pflege an. Die Nachfrage war riesig: „Das ist explodiert.“ Anfangs waren es drei Patienten, „dann 30, 40, 80“. Er habe osteuropäische Mitarbeiter beschäftigt, um die Nachfrage zu bedienen. Ein herber Schlag sei 2020 das Einreiseverbot gewesen, infolgedessen er 80 Mitarbeitern habe kündigen müssen.
Nach zwei Herzinfarkten sei es ohnehin seine Tochter, die sich um alles Organisatorische kümmere. Viel ist nicht geblieben. Nach Problemen mit dem Finanzamt fände sich kein Steuerberater, der den Abschluss mache: „Wir werden wohl Insolvenz anmelden müssen.“ Das Amtsgericht Weiden verurteilte den 63-Jährigen am Ende zu sieben Monaten Haft ohne Bewährung wegen Nötigung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Berufung ist eingereicht.
Waffen noch in Besitz
Unruhig macht die Behörden, dass Johann R. seine Waffen trotz Aufforderung bis heute nicht abgegeben hat. Es handelt sich um zwei halbautomatische Revolver, die das Landratsamt Neustadt 2021 einziehen wollte. Vor dem Amtsgericht Weiden sagte der 63-Jährige auf Nachfrage, dass er nicht wisse, wo die Waffen sind, möglicherweise seien sie ihm gestohlen worden. Zuletzt habe er sie 2020 beim Training an einem Schießstand im Altlandkreis Vohenstrauß benutzt.
Die Polizei geht davon aus, dass sich die Waffen noch in seinem Besitz befinden. Eine Hausdurchsuchung 2021 war ergebnislos geblieben.
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