Retrospektive für Altenstädter Künstler: Dem glücklichen Glasschleifer-Sohn Jürgen Huber zum 70. Geburtstag

Altenstadt/Schönsee. Nach der Amtszeit als Regensburgs Bürgermeister in stürmischen Zeiten zog Jürgen Huber mit seinem gesamten Œuvre in eine Schönseer Ackerbürgerscheune. Jetzt ist sein Altersruhesitz komplett leergeräumt – für eine Retrospektive in drei Galerien.

Ja, ist denn schon wieder 70. Geburtstag? Der Altenstädter Künstler Jürgen Huber freut sich wie ein Schneekönig über die dreifache Retrospektive. Foto: Jürgen Herda

Als wir Jürgen Huber vor zwei Jahren in seinem neuen Unruhestandssitz in Schönsee besuchten, glich der Gang durch die sanierte Ackerbürgerscheune einer Museumsführung: kein Raum ohne die farbenfrohen Gemälde des Altenstädter Künstlers.

Jetzt hat der „Weltmeisterjahrgang 1954“ vor seinem 70. Geburtstag den Spieß umgedreht und einfach spontan bei mir vorbeigeschaut. Der Kontakt war etwas abgerissen, weil der umtriebige Maler gehackt wurde. Meine Nachrichten blieben ungelesen. Ob Russen oder Chinesen stattdessen mitlasen, ist ungeklärt. Macht nichts, jetzt haben wir uns ja wiedergefunden.

Überall weiße Wände

Und Huber, dessen unkonventionelle Kunst-Karriere ihn über Berlin, Mailand, London und Berlin bis ins Regensburger Rathaus als Grünen Bürgermeister der turbulenten Wolbergs-Ära und zurück in die nördliche Oberpfalz führte, strahlt wie eine seiner popartigen Farbexplosionen: „Mein Haus ist komplett leer, überall weiße Wände.“

Mein Gott, was ist da bloß geschehen? Nein, kein Kunsträuber hat das Hubersche Œuvre im Auftrag eines japanischen Sammlers entführt. Zu seinem runden Geburtstag reißen sich vielmehr drei Galerien um Jürgens Rock-Art, die „die dunkle Seite der Romantik mit dem angelsächsischen Anarcho-Liberalismus verbindet“.

Offizielles Ausstellungsporträt: Jürgen Huber mit Werk. Foto: Stadt Regensburg

Drei Vernissagen: I love you so

Die Ausstellung seines Lebenswerks: mit einer Liebeserklärung an seine Kunst. „I love you so“, sind die drei Retrospektiven überschrieben, die eigentlich zusammengehören, und somit die eine Große an verschiedenen Orten ist. „Der Titel ist an meine Kunst gerichtet“, erklärt Huber wie im Selbstgespräch. „Das hast du alles machen dürfen, der Glasschleifer-Sohn aus Altenstadt hat die ganze Welt gesehen.“ Wenn er darauf zurückschaue, könne er nicht anders, als sich wie ein kleiner Junge zu freuen: „Wow, das ist ein Geschenk.“

Er habe sich auch angestrengt, habe sich in komplexe Bücher verbissen. „Aber das meiste wurde mir geschenkt, von Leuten, die einfach gut, open minded waren – Begegnungen mit solchen Leuten sind mein Schatzkästchen.“ Und das Ergebnis kann hier bestaunt werden:

  • Städtische Galerie Leerer Beutel in Regensburg: 7. Juni, 18 Uhr
  • Galerie Art Affair in Regensburg: 27. Juni, 20 Uhr
  • Galerie im Woferlhof in Wettzell/Bad Kötzting: 20. Juli, 16 Uhr.

Moderne Klassiker vertreiben die Romantik

Die deutsche Romantik, angefangen bei der düsteren Grimmschen Märchensammlung über den suizidalen Kleist und den verträumten Geschichten eines E.T.A. Hoffmann bis zu Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“, atmet den Geist einer antimodernen, gegenaufklärerischen Epoche, die sich nach Napoleons pseudo-revolutionären Kreuzzügen nach einer verklärten Projektion des guten, alten, deutschen Mittelalters sehnt. „Meine Eltern haben mich auf Ausflüge mitgenommen“, erinnert er sich an die Gänsehaut, die Meister Karl Stilps Schnitzereien von Kyriatiden und Atlanten in der Bibliothek des Waldsassener Klosters bei ihm auslösten.

Sie haben die Muse in dem Jungen aus der armen Nordoberpfalz wachgeküsst. So sehr die traumhafte Bildsprache Hubers romantische Seele zum Klingen bringt, so sehr verachtet er den reaktionären Impetus. Als sozialer Aufsteiger saugt er später die Einflüsse der modernen Klassiker auf: Picasso, der sich selbst permanent neu erfindet, Malewitsch, den radikalsten Reduzierer, die Gruppen Spur und CoBrA mit Asger Jorn, der als kommunistischer Untergrundkämpfer Flugblätter gegen die Nazis druckt.

Der Altenstädter Künstler Jürgen Huber freut sich wie ein Schneekönig über die dreifache Retrospektive. Foto: Jürgen Herda

Vom anarchischen Amerika angetörnt

Im Sinne Jean-Luc Godards will er keine politische Kunst, wie den prototypischen sowjetischen Arbeiter. „Das ist Propaganda.“ Huber will die Kunst politisch machen. Und zu seinem eigenen Erstaunen fühlt er sich als Linker ausgerechnet vom amerikanischen Freiheitsversprechen angetörnt – vom US-slowakischen Pop-Art-Gott Andy Warhol und seiner kuriosen Factory, vom Niederländer Willem de Kooning und dem Action-Painter Jackson Pollock. „Und noch mehr liebte ich Jim Jarmush und David Lynch, ein Maler mit der Filmkamera.“

Huber verstand: Die globale Kunst ist mit den jüdischen Regisseuren, Literaten und Künstlern nach New York emigriert. „Das Versprechen der Pop-Industrie war zugleich die hohe Produktionszahl und die große Marktdurchdringung – du kannst für 15 Minuten ein Star sein, wie wir von Warhol wissen.“ Nicht nur, wenn er im Rhythmus von Frank Zappa den Pinsel tanzen lässt, merkt Huber: „Das heterogene, vielstimmige, anarchische Amerika entspricht mir mehr, als ich dachte.“

Künstler Jürgen Huber (links) im Gespräch mit dem Amerikanisten Professor Dr. Udo Hebel, das im Ausstellungskatalog abgedruckt ist. Foto: Caroline-Sophie Ebeling

Wie viel Putin steckt im „General“?

Das Ergebnis: Huber vereint die schwarze, romantische Seele mit der rhythmischen, wilden, schrillen Popkultur des Kontinents der unbegrenzten Möglichkeiten. Von Trump, der republikanischen Tea-Party-Bewegung und religiösen Eiferern bereits in die liberalen Großstädte zurückgedrängt, leben die freilich zunehmend nur noch in anarchischen Köpfen weiter. „Kannst du dich noch erinnern, was du zu meinem ,General‘ gesagt hast?“, will Huber plötzlich wissen. Puh, ich muss nachdenken. Das Bild entsteht im Kopf des Betrachters – und löst sich allmählich im Vergessen auf.

In seinem Keller hat er das Motiv, das sich selbst erschaffen hat, immer wieder überarbeitet, bis es zum „General“ wurde. Das menschliche Auge sucht nach bekannten Mustern, entdeckt in einer Farbstruktur die Umrisse eines Gesichts, die der Künstler dann herausarbeitet. Mit den Bildern des bombardierten Mariupols im Kopf formt mein Verstand damals die hässliche Fratze des Krieges. Die Fratze Putins, dem die Gestalt der Freiheit sterbend die Maske vom Gesicht reißt.

Ein kämpferischer Jürgen Huber vor seinem Gemälde „Der General“. Im Auge dieses Betrachters auch ein Porträt Putins. Bild: Jürgen Herda

Grünen-Hatz auch in Schönsee

Dass Jürgen Huber im großen Ausstellungskatalog diesen „General“ jetzt umbenannt hat, macht Sinn: „Soll ich das selber sein?“ Eine mutige Entscheidung. Schaut der Künstler in seine eigenen Abgründe? Das sollten wir alle viel öfter versuchen. Anstatt die jeweils anderen, die Fremden, für alle Missstände verantwortlich zu machen, ist ein selbstkritischer Blick auf die eigenen Schwächen und Widersprüche heilsam. Das würde sich Huber auch von seinen Schönseern wünschen, die von der allgemeinen Grünen-Hatz angesteckt im Poststellen-Café nur noch ätzen statt scherzen wie früher.

„Weil sie wussten, dass ich grüner Künstler bin, haben sie mich dauernd mit Bild-Parolen zugeschissen.“ Das wollte er sich nicht mehr länger anhören. Weil er gegen den Raubbau an unserer Welt ist, ist er das Feindbild aller, die sich vom Zeitgeist enteignet fühlen. Mit politischer Härte kann er umgehen: „In meiner ersten Stadtratsperiode hat einen der frühere CSU-Fraktionsvorsitzende Franz Schlegl nach Strich und Faden fertig gemacht – danach hat er dir auf den Rücken gehauen, dass dir die Luft wegblieb und gesagt, ,geh, jetzt trink ma a Bier‘.“ So regelt man Meinungsverschiedenheiten.

Der Altenstädter Künstler Jürgen Huber und ein verrücktes Huhn. Foto: Jürgen Herda

Stationen eines politischen Künstlerlebens

1954: Das Wunder von Altenstadt/Waldnaab ist ein „Weltmeisterjahrgang“.

Kindheit: Das freudig begrüßte Arbeiterkind ist geprägt vom Glashütten-Milieu seines Vaters. Im Kindergarten Premiere als Schauspieler, Begeisterung für Theater und Kunst erwacht.

Schule: Krumme Schullaufbahn über Keplergymnasium Weiden, BOS Regensburg bis zum FOS-Abitur im Bereich Gestaltung.

Sozialer Unternehmer: Der Gründer des legendären Kartenhauskollektivs in Regensburg leitet als Primus inter Pares den Verlag mit Druckerei von 1979 bis 1986.

Ausbruch: Nach halbjährigem London-Aufenthalt 1986 ist er als freiberuflicher Künstler unterwegs.

Über 100 Ausstellungen: Unter anderem in New York, Addis Abeba, Italien, Finnland, Polen und Tschechien.

Galerien: Seine Werke hängen in renommierten Galerien, wie Rudi Pospieszczyk in Regensburg, Axel Holm in Ulm, Otto van de Loo in München, Galerie Räber in Zürich, Galerie Slama in Klagenfurt oder Galerie Deschler in der Berliner Auguststraße.

Messen: Ausstellungen auf Kunstmessen in Köln, Karlsruhe und Wien.

Museumsausstellungen: Als Solist, mit seinem Künstlerfreund Jan Pruski (Olsztyn, Masuren), als Mitglied der Künstlergruppe „Warum Vögel fliegen“ und dem Kunstverein GRAZ.

Veröffentlichungen: Herausgeber von mehr als einem Dutzend „Bilder-Lese-Büchern“ und Verfasser des fantastischen Debütromans Hiobertus, der in seiner zunehmend surrealen Flucht an Carl Einsteins kubistischen Roman „Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders“ erinnert.

Politik: 12 Jahre Regensburger Stadtrat von 2008 bis 2020, sechs Jahre Umwelt-Bürgermeister in der Ära Wolbergs, den Huber als „schlampiges Genie“ in Schutz nimmt, „der Regensburg von bleierner gesellschaftlicher Lähmung“ befreit habe.

Heimat und Fremde: Nach einem längeren Aufenthalt in Mailand und langjährigem Zweitwohnsitz in Berlin lebt Huber heute in Schönsee (Landkreis Schwandorf) an der tschechischen Grenze. 

Kunstphilosophie von Karl Valentin inspiriert: „Kunst ist schön, macht aber Arbeit.“ Was er an seinem Genre liebt: „Man erfindet dabei die Welt – im Auge des Betrachters erst ganz und gar.“

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