Schäubles Oberpfälzer Wegbegleiter: „Nur wenige haben mich so beeindruckt“

Amberg/Weiden. Der Oberpfälzer Bundestagsabgeordnete a.D. Alois Karl war im Haushalts- und Finanzausschuss über 12 Jahre Wegbegleiter Wolfgang Schäubles. Auch der Weidener Abgeordnete Albert Rupprecht erlebte den früheren Bundestagspräsidenten hautnah.

Die verstorbene CDU-Legende Wolfgang Schäuble mit dem Oberpfälzer Bundestagsabgeordneten Alois Karl (rechts). Archivfoto: CSU

Wolfgang Schäuble war in der 16-jährigen Ära Kohl einer der einflussreichsten Politiker Deutschlands. Der Freiburger Finanzbeamte galt lange als Kronprinz des Kanzlers der Einheit, war als Bundesinnenminister Verhandlungsführer zu dem am 2. Juli 1990 abgeschlossenen Einigungsvertrag zur Auflösung der DDR. Der CDU-Politiker ist nach langer schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie zu Hause am Dienstagabend gegen 20 Uhr friedlich eingeschlafen, teilte die Familie mit.

Am 12. Oktober 1990 wurde Schäuble bei einem Attentat während einer Wahlkampfveranstaltung in der Gaststätte „Brauerei Bruder“ in Oppenau von einem psychisch kranken Mann niedergeschossen.  Er war seit dem Attentat vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit ungeheurer Selbstdisziplin kämpfte sich der Jurist zurück auf die politische Bühne –geriet aber nach Helmut Kohls Abwahl in den Strudel der CDU-Spendenaffäre. In der Folge trat er als Bundesvorsitzender der CDU zurück.

Obwohl der konservative Politiker nicht gerade als Fan Angela Merkels galt, war er als Innenminister im ersten Kabinett Merkel (2005-9) und im zweiten Kabinett als Finanzminister eine wichtige Stütze der ersten deutschen Bundeskanzlerin. Auch wenn ihm das Bundespräsidentenamt als Krönung seiner politischen Laufbahn verwehrt blieb, erlangte er mit dem zweithöchsten Amt des Bundestagspräsidenten (2017-2021) große Autorität und Popularität. Schäuble war 51 Jahre lang (1972-2023) CDU-Bundestagsabgeordneter und bei seinem Tod dienstältester Abgeordneter.

Rupprecht: „Er durchdachte Themen drei Etagen tiefer“

„Wolfgang Schäuble war einer der größten Persönlichkeiten im Nachkriegsdeutschland“, greift der Weidener Bundestagsabgeordnete Albert Rupprecht (CSU) rhetorisch ins höchste Fach. Er habe Deutschland mitgestaltet und geprägt wie wenige. „Er war ein ganz Großer“, sagt Rupprecht, „ich habe ihn zwei Jahrzehnte lang im Deutschen Bundestag in vielen Sitzungen erlebt.“

Kluge Menschen würden komplexe Themen ein oder zwei Etagen tiefer durchdenken: „Wolfgang Schäuble aber hat Themen drei Etagen tiefer durchdacht und verstanden.“ Er habe sich in den Sitzungen nicht oft zu Wort gemeldet. „Aber wenn er gesprochen hat, war es immer auf einem hohen Niveau und alle im Raum haben in gespannter Erwartung zugehört, was er zu sagen hat.“

Karl: „Großartige Leistung“

„Ich hatte als einer seiner längsten Wegbegleiter von Seiten der CSU mit Wolfgang Schäuble sowohl als Mitglied des Innenausschusses von 2005 bis 2009, als er Innenminister war, und als Mitglied im Finanzausschuss von 2009 bis 2013, als er Finanzminister war, mit Wolfgang Schäuble zu tun“, sagt der langjährige CSU-Bundestagsabgeordnete Alois Karl zu OberpfalzECHO. „Für mich war er eine der beeindruckendsten Persönlichkeiten meines politischen Lebens.“

Zu seinen größten Leistungen zählt der damalige Repräsentant des Wahlkreises Amberg-Neumarkt: „Dass er als rechte Hand Helmut Kohls die deutsche Einheit verhandelt hat und dass er es zusammen mit den Kollegen im Haushalts- und Finanzausschuss hingebracht hat, dass wir 2013 den ersten neuverschuldungsfreien Haushalt hinbekommen haben – das ist eine großartige Leistung.“

Eiserne Selbstdisziplin nach dem Attentat

Größten Respekt zollt er dem Mann im Rollstuhl für seine eiserne Selbstdisziplin trotz der tragischen Folgen des Attentats und vieler politischer Rückschläge, die Schäuble sowohl das Kanzleramt als auch den Einzug ins Schloss Bellevue als Bundespräsident verwehrten: „Der Mann hat seine Aufgaben unheimlich professionell erledigt“, sagt Karl, „eine Gegnerschaft zu Merkel war ihm nicht anzumerken.“ Als Finanzminister habe er nach der Kanzlerin die wichtigste Funktion der Bundesregierung ausgeübt – mit Veto-Recht in allen Finanzierungsfragen.

„2012/13 haben wir auf Vorschlag Schäubles durchgesetzt, dass der Personalstand in Regierung und Verwaltung um ein Prozent gesenkt wurde, anschließend dann noch einmal um ein halbes Prozent – das muss man sich mal vorstellen, wo man heutzutage ständig neue Posten schafft.“ Außerdem habe er in der Finanzkrise die Forderungen des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis abgebügelt: „Die Griechen wollten immer neues Geld, ohne etwas zu verändern.“

Gemeinsame Abende im „Il Punto“

Auch persönlich sei Alois Karl dem verstorbenen CDU-Politiker immer wieder begegnet. Etwa, als er zusammen mit dem Minister als Vorsitzender der deutsch-baltischen Parlamentariervereinigung einen Orden Lettlands erhielt: „Wolfgang Schäuble hat natürlich den höheren Orden bekommen“, sagt der Oberpfälzer demütig.

Und als Mitglieder in den jeweiligen Ausschüssen hätte Schäuble die Abgeordneten wiederholt zum Essen eingeladen: „Da hat er sich nicht lumpen lassen“, sagt Karl. „Es gab immer wieder sehr schöne Essensabende im Berliner Politikertreff Il Punto.“ Niemals habe er sich dabei seine Beeinträchtigung durch das Attentat anmerken lassen. „Das war nie Thema.“ Nach dem jüngsten Wahldesaster und dem Verlust aller Ämter sei es allerdings still geworden um Schäuble.

Wolfgang Schäubles letztes Interview

Wolfgang Schäuble (†81) empfing nach einem schweren Jahr – seine Frau Ingeborg litt an den Folgen eines Radunfalls – Ende November Reporter des „Spiegel“ zu Hause in seiner Wohnung in Offenburg. Die CDU-Legende war nach dem Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als erfahrener politischer Kommentator wieder gefragt.

Der älteste aktive Bundestagsabgeordnete fühlte sich trotz der vielen Anrufe inzwischen allein, wie er den Reportern sagte: „Ja, ich bin einsam.“ Aus seiner Generation sei ja niemand mehr da. „Ich kann mein Leben jetzt betrachten, wie es zu Ende geht“, sagte Schäuble dazu in seiner nüchternen, manchmal nur scheinbar harten Art. „Ich finde es spannend, mich selbst zu beobachten.“

Wolfgang Schäuble hielt ein paar kluge Ratschläge an die eigene Partei parat. Olaf Scholz solle man trotz seiner Unbeliebtheit im Land nicht unterschätzen. „Ich habe vor der Wahl schon gesagt, dass Scholz unser gefährlichster Gegner sein wird“, sagte Schäuble, „und er wird es auch bei der nächsten Wahl sein“.

Die Bürger schätzten es, dass er im Ukrainekrieg einen sehr vorsichtigen Kurs fahre, glaubte der erfahrene Wahlkämpfer. Schäubles letzte große – und fast verlorene – Schlacht war es, seinen Vertrauten Friedrich Merz doch noch zum CDU-Vorsitzenden zu machen.

Merz rufe noch immer mal bei ihm an, um sich Rat geben zu lassen, sagte Schäuble – wenn auch nicht oft („Merz braucht keine Ratschläge“). Merz war zuletzt der Einzige in der CDU/CSU-Fraktion, mit dem er sich duzte. Mit Angela Merkel war er in seiner aktiven Zeit immer per Sie – was aber mindestens so sehr Ausdruck von Respekt wie von Distanz war.

Schäuble hatte nach seinem langen Politikerleben viele Einsichten gewonnen, die die Zeit überdauern werden. „Sie gewinnen mehr Zustimmung, wenn Sie den Leuten nicht nach dem Munde reden“, sagte er. „Nur wenn Sie den Menschen widersprechen, glauben sie Ihnen.“

Sein letztes Interview gab Schäuble der „Welt am Sonntag“ an Heiligabend, zwei Tage vor seinem Tod. Darin formulierte er trotz der kritischen Weltlage einen optimistischen Ausblick: „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Selbst im Chinesischen ist das Schriftzeichen für Krise und Hoffnung dasselbe. Und wenn Krisen Chancen sind, dann haben wir im Moment große Chancen, denn wir haben große Krisen.“

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