Schels‘ nachhaltige Supermärkte: Neue Wiege der Demokratie?
Regensburg. Das ist mal eine große Vision: der Supermarkt als moderner Marktplatz der Demokratie. Und es stimmt ja. An kaum einem anderen Ort treffen sich Menschen aller Schichten. RATISBONA-Chef Sebastian Schels Gebäude sind nachhaltig und günstig. Haben sie aber auch das Potenzial zur Rettung der Demokratie?

Eine Regensburger Erfolgsgeschichte geht in die nächste Runde: Sebastian Schels Urgroßvater Michael eröffnete 1928 einen Lebensmittelgroßhandel in Regensburg. Sein Vater Rudolf erfand das Discounter-Konzept von Netto. Was mit fünf Netto-Märkten in Regensburg begann, ist heute ein Handels-Imperium mit 4350 Märkten, 87.300 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 17,1 Milliarden Euro. Die Zentrale liegt noch immer vor den Toren Regensburgs, in Ponholz.
Seit 2005 ist Netto ein Tochterunternehmen von Edeka, der Nummer eins im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. Ende der 1990er gab Fußballfan und Jahn-Aufsichtsrat Rudolf Schels die Funktion als Geschäftsführender Gesellschafter von Netto ab und fokussierte sich auf die Projektentwicklung als Geschäftsführer der RATISBONA Handelsimmobilien – einem international tätigen Bauträger, der vor allem Lebensmittelmärkte realisiert.
Schels‘ Schicksalsjahr
Nach dem frühen Tod seines Vaters 2019 trat Sebastian Schels in die Fußstapfen seines Vaters. Es ist Schels‘ Schicksalsjahr. Seine kleine Tochter wird schwer krank, seine Frau bekommt Krebs, im Oktober stirbt der Vater. Schels nimmt sich eine kurze Auszeit. Als er zurückkommt, möchte er das Geschäft anders betreiben, mit mehr Verantwortung für die nächste Generation: Er sucht nach einem eigenen Ansatz, um das Geschäftsmodell mit den Handelsimmobilien mit seiner Vorstellung von Umweltschutz zu vereinbaren.
Dabei stolpert er über Michael Braungarts Konzept Cradle to Cradle (C2C), von der Wiege zur Wiege. Zumindest in der Theorie die perfekte Kreislaufwirtschaft. Schels macht sich das Prinzip zu eigen und beginnt, nachhaltige Supermärkte zu realisieren. Inzwischen sind bereits 40 der 1250 von RATISBONA gebauten Märkte in Holzbauweise hochgezogen. Und ihre Bilanz klingt märchenhaft: Sie sparen 5 bis 7 Prozent Baukosten, 55 Prozent CO₂ im Bau, 60 Prozent CO₂ im Betrieb, die Recycling-Quote liegt bei 58 Prozent – und sie werden immer besser.
Mythos des günstigen konventionellen Bauens
Warum nutzen dann aber nicht alle diese Idee der Kreislaufwirtschaft? „Es hält sich noch immer der Mythos, dass konventionelles Bauen günstiger sei“, sagt Schels seufzend. „Das ist so ähnlich wie am Flughafen, wo alle denken, dass es dort teurer ist.“ Bei den Gastro-Betrieben stimme das ja auch: „Kaffee und Brezen sind exorbitant teurer.“ Aber Schuhe und Jeans seien sogar günstiger. „Diese Wahrnehmung trifft auch auf den Bio-Supermarkt zu, der im industriellen Maßstab günstiger ist.“
Seine Leidenschaft für die Nachhaltigkeit sei im Lauf der Jahre mit der Verantwortung für seine Kinder gewachsen. Ob Vater Rudolf mit dieser grünen Verantwortungsethik einverstanden wäre? „Ich habe mit ihm zeit meines Lebens nicht über dieses Thema gesprochen“, bedauert er. „Worauf ich im Nachhinein gestoßen bin, hat mich allerdings in dieser Entscheidung bestätigt.“ Einer seiner Schulfreunde, Klaus Lausecker, habe die Hühnerfarm seines Onkels in Raymond/Ohio in den USA übernommen.
Einladung ins Weiße Haus
Dessen Tochter, Sandra Lausecker, hat die Outward Farm inzwischen übernommen, First Lady Jill Biden hat sie vor Ort besucht und den Betrieb als nachhaltige Hühnerfarm ausgezeichnet. „Sie wurde sogar ins Weiße Haus eingeladen“, sagt Schels, „und ich durfte bei der Gelegenheit mitkommen.“ Sandra habe ihm erzählt: „Ohne den Rat deines Vaters hätten wir das nie gemacht.“ Schels Senior sei Impulsgeber gewesen, der ihrem Vater geraten habe, die Produktion konsequent nachhaltig umzustellen, weil konventionell in eine Sackgasse führe. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er bei uns zu einer ähnlichen Überzeugung gekommen wäre, aber aus rein wirtschaftlichen Gründen.“ Grüne Ideologie habe er abgelehnt.
Was aber macht das ökologische Bauen à la RATISBONA so günstig? „Wir haben im Bau weniger Arbeitsschritte“, erklärt Schels. „Wenn ich werkseitig einen sauberen Abschluss mache, brauche ich weniger Gewerke, weniger Material und die Holzwand kann ich später demontierten und wieder verwenden.“ Um eine ähnliche Effizienz wie mit Holz zu bekommen, müsse man entweder mit einem halben Meter Ziegel arbeiten, um den Dämmwert zu erreichen, oder mit giftigem Styropor. „Wir bräuchten in der Baubranche mehr, die rechnen können.“
Rechnen hilft
Apropos rechnen: „Viele sehen die Kosten isoliert und vergleichen sie nur in Einzelbereichen“, fährt Schels fort. „Wenn ich einen Pflasterstein verbaue, der Wasser speichern kann und Mikropartikel aus Regenwasser filtert, kostet das zunächst möglicherweise mehr.“ Wenn man sich dafür aber Erdarbeiten für Regenwasserrückhaltebecken spare, sei das unterm Strich günstiger. Der einfachere Holzbau könne im Übrigen auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel sein.
„Wir wollen die Beschleunigung einer Wende zur Holzbauweise, weil der Supermarkt als öffentliche Location, wo sich alle treffen, bestens geeignet ist, mit positiven Beispielen zu zeigen, was möglich ist“, verweist Schels auf den Vorbildcharakter seiner Handelsobjekte. „Das wollen wir nutzen und schmieden dafür auch gerne Allianzen.“
Stimmungswende dringend gewünscht
Eine Wende hätte der Unternehmer auch gerne bei der Stimmungslage in Deutschland. „Wir brauchen positive Visionen, anstatt immer neuer Drohszenarien.“ Als Rezept gegen den Klimawandel fordert er, ganz Manager, einen Businessplan, „an dessen Ende mehr Lebensqualität stehen muss“. Wagenburgmentalität helfe nicht weiter. „Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die Burgen mit den größten Mauern am schnellsten eingenommen wurden.“
Ein Vorbild im positiven Denken sei Dänemark. „Die sprechen in Kopenhagen darüber, dass sie einen Fluss haben wollen, in den man reinspringen kann, Luft, die man atmen kann.“ Mit anderen Worten: „Die Dänen machen Lust aufs Radfahren, weil es gesünder ist und Touristen anzieht.“ Anstelle von Dystopien, die Menschen verunsicherten. „Sie versprechen mehr Lebensqualität, um Umweltschutz umzusetzen, anstatt Untergangsszenarien an die Wand zu malen.“
Alles neu erfinden: Vom Auto bis zum Handy
Um die Klimakrise zu bewältigen, müsse alles, was uns umgibt, neu erfunden werden: „Mit gesunden und zirkulären Materialien, vom Handy bis zum Auto.“ Klingt nach einem gigantischen Konjunkturprogramm. Man durchlaufe eine neue industrielle Revolution, die im Begriff sei, sich explosionsartig auszubreiten. „Wir sollten nicht den Fehler machen, uns dabei wie bei der digitalen Revolution zu verweigern.“
Ob sich diese Vorstellung im Rahmen des grassierenden Rechtspopulismus verwirklichen lässt? Nur, wenn man auch die Menschen mitnehme, die berechtigte Angst vor Wohlstandsverlust hätten. „Die Menschen werden dann raffgierig, wenn ich sie reduziere“, sagt Schels. „Wir müssen Mitarbeiter wieder als Menschen begreifen und nicht als Human Ressource Capital, das man Prozent für Prozent mehr auszupressen kann.“ Am offensichtlichen sei das im Krankenhaus, in der Pflege, in der Bildung und der öffentlichen Infrastruktur. „Wir sind ein reiches Land, aber haben eine erbärmliche Prioritätensetzung.“
Kann Discounter auch grün?
Hat Schels dabei nicht schon einmal das Gefühl beschlichen, sein Discounter-Geschäftsmodell könne selbst Teil des umweltpolitischen Problems unserer Gesellschaft sein? Die Marktmacht der Konzerne übt massiven Preisdruck aus, der den landwirtschaftlichen Produzenten die Luft zum Atmen nimmt und zum Wachsen oder Weichen zwingt. „Ich kenne das Problem“, räumt er ein. „Mein Schwager ist Milchlandwirt.“ Die Crux sei das System dahinter. „Die EU-Landwirtschaftspolitik begünstigt die Landbesitzer mit der größten Fläche.“
Wenn man das Ziel der Kreislaufwirtschaft ernst nehme, könne man nicht bei der Hülle der Supermärkte stehenbleiben. „Natürlich müssen wir uns auch über die Produkte und deren Verpackung Gedanken machen, die zu einer großen Umweltbelastung führen.“ Generell müsse man die Rolle der Märkte überdenken. „Wenn es uns gelingt, Supermärkte in puncto Nachhaltigkeit auf die Spitze zu treiben, können diese Märkte Orte werden, die Menschen wieder verbinden.“
Cradle to Cradle: Neue Wiege der Demokratie
Schließlich habe die Wiege der Demokratie auf den Marktplätzen des antiken Griechenlands gestanden – von wegen Cradle to Cradle. „Es waren öffentliche Orte, wo gehandelt wurde, Innovationen entstanden und politische Entscheidungen getroffen wurden.“ Die Supermärkte von heute seien mit die letzten öffentlichen Einrichtungen, in denen sich Menschen aller Schichten begegneten. „Es liegt in unserer Hand, sie entsprechend anspruchsvoll als Orte zu gestalten, die den Menschen Hoffnung geben, wie eine positiv gestalte Zukunft aussehen kann.“
Hält er es für denkbar, dass Lebensmittelhändler von Amazon und Co. langfristig ähnlich unter Druck geraten könnten wie der stationäre Handel in anderen Bereichen? „Ich sehe keine Entwicklung, die ansatzweise dieses Risiko bestätigt.“ Im Gegenteil, einige Online-Player zögen sich bereits wieder aus dem Markt zurück. „Wenn es uns gelingt, die Märkte so attraktiv zu machen, dass sie zu ungeplanten, spannenden Begegnungen führen, können wir das Miteinander und damit auch die Demokratie stärken.“
Schels neue Prioritätensetzung
Wie aber soll man in der Bundesrepublik, die gerade durch das Kompromiss-Modell der sozialen Marktwirtschaft erfolgreich wurde, durch das Aushandeln von Kompromissen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, zu einer neuen Prioritätssetzung kommen? „Wir bräuchten einen Leader, einen, der dafür einsteht, dass er auch gegen Widerstände notwendige Entscheidungen trifft“, sagt RATISBONA-Chef Sebastian Schels.
Ein solcher Leader oder Anführer, der das Allgemeinwohl im Fokus hat, setzt aber doch voraus, dass die betreffende Person eine Art platonischer Philosophenkönig ist, der frei von eigenen Interessen handelt. In Wirklichkeit sind die Anführer, die derzeit auf den Plan treten, narzisstische Egomanen wie Höcke, Le Pen und Trump.
„Ich spreche von Leadership im Rahmen der repräsentativen Demokratie, deren Handeln an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet ist.“ Die Parteienlandschaft, wie wir sie kennen, werde gerade zerlegt, große Parteien marginalisiert, Entscheidungen nicht an Inhalten, sondern im Geschacher zwischen Koalitionsparteien getroffen. „Solange es kein Radikaler ist, ist es mir egal, wer vorne steht, aber wir müssen uns mit den wirklichen Problemen auseinandersetzen.“
* Diese Felder sind erforderlich.