Schleuser lässt Verletzte an A6 liegen: Versuchter Mord?

Weiden/Leuchtenberg. Im Sommer 2023 überschlug sich ein Schleuserfahrzeug an der A6 bei Leuchtenberg und flog 32 Meter durch die Luft. Der Fahrer (20) ließ fünf schwerverletzte Frauen und Kinder zurück. Das wird ihm jetzt zum Verhängnis.

Schleuser Unfall Leuchtenberg
Das verunglückte Schleuserfahrzeug am 18. Juni 2023 an der Abfahrt Leuchtenberg. Foto: Bundespolizei Waidhaus

Der 20-Jährige aus Georgien stand am Dienstag vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Weiden. Nach den ersten Zeugen unterbrach Richter Wolfgang Höreth. Er verwies das Verfahren an die Jugendkammer des Landgerichts Weiden weiter. Aus seiner Sicht kommt versuchter Mord in Betracht. Tötungsdelikte werden am Landgericht verhandelt.

Höreth wirft dem 20-Jährigen vor, den Schwerverletzten in keinster Weise geholfen zu haben. Der Georgier ließ die zwei Türkinnen, eine davon mit ihren drei Kindern (15, 13, 10), beim Wrack im Wald liegen und floh zu Fuß. Der Ernst der Lage sei ihm bewusst gewesen. So schrieb er an einen Komplizen: “Es ist etwas Schreckliches passiert. Ich weiß nicht, ob sie gestorben sind.”

Fahrer: “Ich war unter Schock”

Der Georgier hätte zumindest vor Ort bleiben müssen, meint Höreth. Die Rettungskräfte wussten anfangs nicht einmal, nach wie vielen Personen sie suchten. Alle Insassen waren aus dem Auto geschleudert worden. Einen Buben fand man unter dem Kofferraumdeckel. Der Angeklagte berufe sich “wenig glaubhaft” auf einen Schock, habe aber sofort nach dem Unfall etliche Nachrichten zur eigenen Abholung abgesetzt: “Sie waren nur darauf bedacht, ihre eigene Rettung zu organisieren.”

Ein Rechtsgespräch zu Beginn der Verhandlung mit Verteidiger Serkan Gürses (Berlin-Neukölln) war ohne Ergebnis geblieben. Die Vorstellungen lagen zu weit auseinander. Der Angeklagte ist geständig und reuig: “Ich möchte mich entschuldigen, es war ein großer Fehler. Ich bin eigentlich ein Kind.” Er habe von seinem Auftraggeber die Anweisung erhalten, bei einer Kontrolle nicht anhalten zu dürfen. Sein Verhalten nach dem Unfall erklärt er mit großer Angst: “Ich war wirklich unter Schock, ich konnte nicht nachdenken.” Sein Schleuserlohn: 1000 Euro.

Tödlicher Unfall bei Pilsen

Der Unfall ereignete sich am Sonntag, 18. Juni, gegen 9.15 Uhr. Laut Oberstaatsanwalt Christian Härtl war der Chevrolet Teil eines Konvois. In Ungarn waren nachts drei Fahrzeuge mit polnischen Kennzeichen gestartet, am Steuer saßen jeweils Georgier. Zielort war Weiden. Schon gegen 8 Uhr verunglückte eines der Autos bei Pilsen. Ein Afghane, der im Kofferraum dieses Opel Astra saß, erlitt dabei tödliche Verletzungen. Der Fahrer war ebenfalls georgischer Staatsangehöriger.

Auch der Unfall bei Leuchtenberg hätte tödlich ausgehen können. Ein Bundespolizist erinnert sich: “Wenn man das Auto sieht, ist es ein Wunder, dass alle lebend herausgekommen sind.” Einer der Buben saß im Kofferraum. Kein Passagier war angeschnallt. Die Insassen erlitten innere Verletzungen, Wirbelsäulenverletzungen, Schnitte, Brüche, ein Polytrauma. Der Georgier (20) lief einfach davon. Er wurde am Abend in Lückenrieth aufgegriffen, nachdem er bei Anwohnern nach einem Ladekabel gefragt hatte.

Schleuser wollte vor Zoll fliehen

Dem Unfall war ein Kontrollversuch durch den Zoll vorausgegangen. Schon bei der Ausfahrt Lohma bei Waidhaus sah der Schleuser die Streife. Die Fahrt ging 14 Kilometer weiter – auf abenteuerliche Weise. Der 20-Jährige täuschte ein Verlassen der Autobahn an, scherte dann mit 40 km/h ruckartig wieder auf die A6 ein. Er beschleunigte maximal auf Tempo 160 und ignorierte alle Signale des Zollfahrzeugs.

Mehrfach wechselte er die Fahrspuren, um den Zoll am Überholen zu hindern. Dabei soll er auf Höhe Obernankau eine Motorradfahrer-Gruppe gefährdet haben. Die Abfahrt Leuchtenberg schoss der 20-Jährige dann regelrecht herunter, laut Gutachter mit 78 bis 86 km/h. Der Chevrolet kam von der Fahrahn ab, flog über die Einfahrt und landete nach 32 Metern mit der Schnauze nach unten in einem abschüssigen Waldstück.

Die Staatsanwaltschaft geht von einer größeren Vereinigung aus, die hinter der Schleusungsfahrt steht. Mehrere Tatverdächtige befinden sich inzwischen in Haft. Angeklagt war gewerbe- und bandenmäßiges, lebensgefährdendes Einschleusen, verbotenes Kfz-Rennen sowie unterlassene Hilfeleistung.

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Der 20-jährige Schleuserfahrer mit Übersetzer (links) und Anwalt Serkan Gürses (Berlin-Neukölln). Foto: Christine Ascherl

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