Schobers Rock Kolumne: Der Herbst kündigt sich mit seiner Farbenpracht an.
Nordoberpfalz. Nicht minder bunt geht es in dieser Ausgabe zu.

Ein in der Oberpfalz oft Gehörter begeistert mit einem neuen Album
In der Vergangenheit war Joo Kraus bestimmt schon zweimal in Weiden, zumindest einmal in Amberg und viele Male in der Regensburger Mälzerei zu Gast. Damals, in den Neunzigern, war er noch das neu hinzugekommene „Küken“ des Kraut- und Jazz-Rock-Urgesteins Kraan um Bassisten Helmut Hattler. Kraus fügte sein markantes Trompetenspiel nahtlos in den Kraan´chen Mahlstrom ein, sorge aber schon damals für Glücksmomente und Akzente. Bald wird es den beiden zu eng, denn die Kraniche sind in die Jahre gekommen und dabei etwas flügellahm geworden. Tab Two heißt dann das erfolgreiche Duo-Projekt von Kraus und Hattler, dass sogar eine Komposition für Tina Turners Album „Wildest Dreams“ abliefert. Nach acht Alben ist aber auch hier Schluss, Kraus will raus aus dem Schatten Hattlers (der überragt ihn auch wirklich um eine gute Kopfgröße) und sein eigenes Ding machen und/oder sich in andere Projekte einbringen. „No Excuse“ (Jazzhaus Records) ist ein passender Name für das, was seit dem neuen Jahrtausend mit dem Ulmer so passiert. Kraus probiert sich auf diesen dreizehn Kompositionen aus, wobei immer eine Brise Jazz dabei ist. Ansonsten verarbeitet er Einflüsse aus seiner Kraut-Rock-Vergangenheit ebenso wie HipHop, Latin, Pop, Ambient oder das Singer/Songwriter-Genre. Zu Hilfe eilt ihm zeitweise die wunderbare Malawisch-Britische Sängerin Malia, die für ordentliches Soul- & Funky-Feeling sorgt. „No Excuse“ für alle, die an diesem großartigen Album achtlos vorbei gehen.
Ein Minimalist mit einer opulenten Symphonie
Ist Joo Kraus ein extrem abwechslungsreiches wie kurzweiliges Album gelungen, mag es der Brite Jon Hopkins eher kompakt. „Ritual“ (Domino) enthält exakt den einzigen gleichnamigen, in acht Sequenzen unterteilten, gut 40-minütigen Song. Es ist eine elektronische Symphonie, die einer emotionalen Achterbahnfahrt gleicht. Da sind Bässe, die das Zwerchfell in Schwingungen bringen, hypnotisches Schlagzeugspiel und transzendente Melodien, die wie das Licht am Ende eines Tunnels hinter geschlossenen Augenlidern wirken. Aufgenommen mit seinen langjährigen Mitarbeitern Vylana, 7RAYS, Ishq, Clark, Emma Smith, Daisy Vatalaro und Cherif Hashizume entstand ein Ambient-Werk, das in der Klasse eines Brian Eno spielt, wobei hier vor allem seine Arbeiten mit Cluster gemeint sind.
Sperrige Gitarren treffen auf waghalsige Melodien
Etwas Symphonisches, verspieltes, grenzen sprengendes und experimentelles steckt auch im achten Solo-Album des Sängers und Gitarristen der Alternative-Ikone Sonic Youth, Thurston Moore. Schwebte die Mutter-Band schon immer über dem Rest der Kollegen, erschafft Moore auf „Flow Critical Lucidity“ (Cargo) einen intellektuellen Überbau und sinniert über die Natur, den Krieg und der Stellung des Menschen in dieser dystopischen Welt. Die Melodien sind trotz ihrer Sperrigkeit auch irgendwie liebevoll (wie der Mann selbst), sein Gitarrenspiel unkonventionell und fordernd. Mit dabei My Bloody Valentine-Bassistin Deb Googe, Gitarrist James Sewards, Drummer Jem Doulton und Electro-Komponist Jon Leidecker. Mit Stereolab-Chanteusse Laetitia Sadier duettiert er im zarten wie eindringlichen, nur mit Gitarre und Klavier gebauten „Sans Limites“.
Ein Tiger zeigt seine bezaubernden Zahnlücken
Trotz aller Güte, leicht verdaulich ist diese Thurston Moore Scheibe nicht. Erholung verschafft Kitty Liv, besser bekannt als ein Teil der Familienband Kitty, Daisy and Lewis. Auf ihrem Solo-Debüt, „Easy Tiger“ (Best Recordings) mischt sie Einflüsse von Erykah Badu und D’Angelo bis hin zu Al Green und der Blues-Legende Howlin‘ Wolf zu einem leicht verdaulichen, beschwingten Gute-Laune-Mix aus Soul, Gospel, Blues, Funk, Pop und Rock’n’Roll, den man sich gerne zu einer Autofahrt anhören wird. Man kann diese Live im Studio aufgenommenen Aufnahmen als stringent, aber auch als ein wenig gleichförmig bezeichnen. Ein paar solistische Sperenzchen, ein paar mehr Ecken & Kanten hätten dieser Platte gutgestanden.
Großartige Experimentierkunst in Pop
Diese haben Andy Clutterbuck und James Hatcher, besser bekannt als Honne nicht nötig. Ihr neues Album, „Ouch“ (Smile More Recordings) ist auch so ein Füllhorn an Ideen. Die beiden haben sich einen ganzen Musikalienladen eingekauft, mikrophoniert und verkabelt, um jederzeit daraus die unglaublichsten Melodien und Arrangements zaubern zu können. Andy Clutterbuck ist Vater von zwei kleinen Kindern geworden, während James Hatcher kurz vor Beginn der Aufnahmen seine langjährige Partnerin geheiratet hat. Diese freudigen Ereignisse flossen in die Produktion mit ein, sie klingt gleichzeitig geerdet wie unbeschwert und grenzenlos in ihrem Erfindungsreichtum. Wir hören wunderbar verspielte wie liebevolle Gesangsarrangements, verschachtelte Melodien, ein paar kurze Klangexperimente und immer wieder den Willen, trotz allem Eklektizismus („Happy Day“ durchzieht etwa der Bass-Groove von „Walk On The Wild Side“) etwas Besonderes, noch nie Gehörtes zu erschaffen. Als würden Arlo Parks, They Might Be Giants, Alt-J und The The zusammen jammen.
Herzergreifende Americana-Songs aus Philadelphia
Man kann es kaum glauben, dass ich diesen Künstler vor vielen Jahren auf einer Hütte beim Snowboarden zum ersten Mal gehört hatte. Dort erklingt ja bekanntlich der übliche Hüttengaudi-Schwachsinn, der zumindest mich immer wieder schnell auf die Piste treibt. Bei Amos Lee bin ich dann erst einmal geblieben und hab mit dem Wirt eine gute Stunde über Musik gefachsimpelt. Inzwischen hat der US-Singer/Songwriter sein bereits elftes Album, „Transmissions“ (Thirty Tigers) eingespielt -und ich bin im treu geblieben. War zuletzt seine Hommage an Lucinda Williams herzergreifend, sind es diese neuen, wieder selbstverfassten Lieder die sich mit dem Tod, dem Älterwerden und der Liebe auseinandersetzen nicht minder. Seine dunkel schimmernden, minimalistischen Americana-Arrangements reichert er mit ein wenig Streichern an, die dadurch noch an Tiefe gewinnen. Wer dann beim ergreifenden „Carry You On“ keine Tränen bekommt, muss aus Stein sein.
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