Schobers Rock Kolumne: Diese Musik holt die Sonne zurück
Scott & Lila / Hazlett / Jacob Karlzon / Olicia / Naked Giants / Flower Face

Wir waren vor zwei Jahren ein paar Wochen in Sri Lanka, meine Frau zum zweiten, ich bereits zum fünften Mal seit den 80er Jahren. Und ich muss sagen, es ist und bleibt für uns das relaxeste asiatische Urlaubsland. Die Insel verändert sich einfach im Zeitlupentempo und das ist schön so. Das Musikerpaar, Scott Hildebrand aus Chicago und Lila Despoix aus Paris verbrachten fast die gesamte Pandemie in diesem tropischen Paradies, nutzten diese Zeit, Songs zu schreiben und Videos zu drehen. Wer wie wir auch diese lebensfrohe Ruhe auf der Insel genießen durften, versteht den lockeren Vibe der hinter diesen Liedern steckt wahrschein noch besser. Als Scott & Lila haben sie gleich siebzehn kleine Folk-Pop-Perlen entworfen, die jetzt auf ihrem gleichnamigen Debüt (Independent) erschienen sind. Entspannt plätschert die Platte zwischen Kinderlied, Vaudeville, Chanson, Folk und Pop mit dezenten Blues- und Jazz-Anleihen und dem unbekümmerten, zweistimmigem Gesang unserer sympathischen Protagonisten vor sich hin und man freut sich auf jedes dieser unangestrengten Kabinettstückchen die wirklich nur sich selbst genügen wollen. Jack Johnson musiziert ähnlich entspannt. Musik zum Runterkommen, Musik zum Fröhlich sein, Musik um in den Urlaub und an den Strand zu fahren -am besten nach Sri Lanka.
Und mit dieser Platte kann man sich sogar das Solarium sparen
Von Asien nach Skandinavien, genauer gesagt nach Schweden. Dort gibt es natürlich verdammt viele Bäume, einsame Wiesen und still vor sich hin plätschernde Bächlein nebst Hütte. In solch eine Behausung zog sich der australische Singer/Songwriter Hazlett, kurz Haz gerufen zurück um den zweiten Teil seiner „Goodbye To The Valley Low“ EP (Nettwerk) aufzunehmen. Der erste Teil erschien bereits im letzten Jahr. Jetzt liegen beide zusammengefasst mit zwölf Songs unter dem gleichen Titel vor (was etwas verwirrt). In Punkto Lockerheit und Entspanntheit steht dieses Werk dem von Scott & Lila in nichts nach, es klingt halt nicht so unverschämt süß, da der weibliche Konterpart fehlt. Ansonsten schrammelt sich Haz mit Bedacht und einigen euphorisch-lustvollen „Ausrutschern“ durch ein minimalistisch-folkloristisches, akustisch-analoges Repertoire, das seine sonnigen Ursprünge nicht verleugnen mag und weit weg ist von der ansonsten bei schwedischen Produktionen herrschenden Melancholie und Schwermütigkeit. Angus Stone lässt grüßen.
Stille Klaviermusik aus Schweden
Ebenfalls aus Schweden stammt Jacob Karlzon. Der fegt den Herbst, den Sommer sowieso von der Bildfläche und stimmt uns schon jetzt mit seinem Instrumentalalbum, „Winter Stories“ (Warner) auf die stade Zeit ein. Der mit vielen Preisen dekorierte Pianist bezieht die Einflüsse für sein markant fließendes, etwas an Ludovico Einaudi erinnerndes Spiel vom Jazz bis zur Folklore und hat neben Eigenkompositionen auch ein paar „Klassiker“ ausgewählt. Darunter befindet sich eine ergreifende, ganz und gar nicht kitschige Version von „Sille Nacht“, das ebenfalls traditionelle britische Weihnachtslied „The First Noel“ oder Taylor Swifts besinnliche Ballade „Evermore“, das diesen dreizehn Kompositionen umfassenden, meditativen Reigen auch eröffnet.
Seltsame Töne erklingen aus Berlin
Verweilen wir noch ein wenig beim Jazz, den diese Künstlerinnen aber nur am Rande streifen. Die in Berlin und Leipzig ansässigen Multiinstrumentalistinnen Fama M’Boup und Anna-Lucia Rupp (Sie waren übrigens auch Teil der letzten Band von Sophie Hunger!) aka Olicia kreieren ihren -nach eigenen Worten- „Electronic Handmade Loopjazz“ aus elektroidem Soul, verspieltem, vielsprachigen Global Pop, Folk-Momenten und ein dem Jazz entlehnter Ansatz der Improvisation innerhalb einer festen Struktur ermöglicht. All diese disparaten Elemente vereinigen sie in erstaunlich konzisen, direkten und emotionalen Pop Songs die in ihrer Experimentierlust ein bisschen die große Laurie Anderson, gesungen von den Indigo Girls wieder aufleben lassen. In „Out Of The Blue“ (The Orchard) verschwimmen digitale und analoge Welten, stehen Akustikgitarren neben Vocoder-Stimmen, fiept der Drum-Computer neben von Hand geschlagenen Holzstöcken, machen Synthesizer seltsame Geräusche. Das hört sich mal etwas spröde, mal ganz kuschelig und warm, meist aber immer sehr minimalistisch und auf den Punkt gebracht an. Ein exotisches Hörerlebnis bleibt es allemal.
Seattle macht seinem Namen mal wieder alle Ehre
Haben Olicia die Ohren schon ein wenig frei geblasen, darf man die Naked Giants ins Haus, b.z.w. die Garage einladen. Denn von dort stammt dieses Trio aus Seattle und man ist dort schon von Haus aus dem gehobenen Indie- und Grunge-Sound verpflichtet, Nirvana, den Foo Fighters oder Band Of Horses sei Dank. Nun klingt „Shine Away“ (Indigo) beileibe nicht übel, hat aber dem Sound bereits genannter Prügel-Rocker auch nichts hinzuzufügen. Okay, es gibt ein paar Kleinigkeiten, die die Ohren spitzen lassen. So klingt Sänger/Gitarrist Grant Mullen beim Outro von „Apartment 3“ wie ein heiserer David Byrne und die poppige Fast-Ballade „Shine Away“ hätten auch Weezer verbrechen und zur Stadion-Hymne machen können, unterm Strich reiht sich aber oft Gehörtes unter oft Gehörtes ein.
Die Schönheit der Melancholie
Vielleicht ist das ja aber auch einfach eine Ausgabe der eher ruhigeren Töne, wo so ein „Rohdiamant“ nicht ins Bild passt. Legen wir daher noch zum Abschluss die kanadische Goth-Folk-Sängerin und Songwriterin Ruby McKinnon aka Flower Face auf, die klingt doch schon vom Namen her so wunderschön zart und versöhnlich. Aber aufgemerkt, gleich im Opener, „Biblical Love“ (und später in „Eternal Sunshine“) bricht plötzlich ein Sturm los, den man nach dem fragil gewisperten Beginn nie und nimmer erwartet hätte. Nach einer schockierenden Trennung nahm sich Ruby dem Herzschmerz an und singt u.a. von „crocodile tears“ die es zu vergießen gilt. Dazu passt diese eher gewisperte, denn gesungene Stimme natürlich wunderbar, der streicherverzierte, barocke Kammer-Folk tut sein Übriges um wohlig melancholische Stimmung zu verbreiten. Die ideale November-Platte ist mit „Girl Prometheus“ (Nettwerk) zu guter Letzt also doch noch gefunden.
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