Schullesungen im Rahmen der Literaturtage: wichtig, beeindruckend und inspirierend

Weiden/Neustadt. Während die Erwachsenen noch auf ihre Lesungen im Rahmen der Weidener Literaturtage warten müssen, sind in den Schulen bereits einige Autoren unterwegs. Sehr beeindruckend sind die Reaktionen der Schüler auf die Lesung mit Reiner Engelmann.

20250409 Literatur Engelmann Foto: Martin Stangl
Rainer Engelmann liest aus seinem Buch “Sie brachten uns Hoffnung: Die Geschichte von Edward Galinski und Mala Zimetbaum. Foto: Martin Stangl

Derzeit schwärmen im Rahmen der Weidener Literaturtage Schriftsteller in verschiedene Schulen in Weiden und Neustadt/WN aus. Das Veranstaltungsteam unter Führung von Regionalbibliotheks-Duo Ruth Neumann und Katja Sauermann hat perfekte Vorarbeit geleistet.

Bedrückend, aber wichtig

Die berühmte Stecknadel hätte man im Musiksaal der Hans-Scholl-Realschule hören können: Knapp fünfzig Jungs aus den 9. Klassen im Alter von 15 Jahren hörten zwei Schulstunden gebannt Reiner Engelmann zu. Wie bereits zuvor am Augustinus Gymnasium und der Fachoberschule widmete er sich einem ganz besonderen dunklen, aber wichtigen Thema der deutschen Geschichte: Konzentrationslager Auschwitz.

Die Geschichte von Edward Galinski und Mala Zimetbaum

Schulleiter Michael Meier war es wichtig, den Autor Reiner Engelmann den Schülern persönlich vorzustellen. Er berichtete, dass dieser beispielsweise sich beim Amnesty International engagiert und für sein Lebenswerk 2023 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekam.

Noch bevor Engelmann die ersten Worte über eine der beiden Hauptpersonen sprach, nahm ein an die Leinwand geworfenes Bild von Edward Galinski die Schüler in Empfang. Ein junger Mann im Alter der Anwesenden blickt in Häftlingskleidung in den stillen Musiksaal der Realschule.

Diesen Häftling erweckte der Autor mit seiner Geschichte nun zum Leben: Ein Jugendlicher, der gerade einmal mit sechzehn Jahren dem Terror der Nazis zum Opfer gefallen ist. Er wurde willkürlich verhaftet und im Konzentrationslager Auschwitz interniert.

Häftlingsalltag im KZ Auschwitz

Gekonnt wechselte Rainer Engelmann zwischen Erzählen und Vorlesen. So berichtete er über der Prozess der Registrierung von neu ankommenden Häftlingen im Konzentrationslager: “Man hat diesen Menschen schon beim Transport nach Auschwitz die Würde genommen und sie in überfüllten Viehwagons nach Polen verbracht. Im Lager angekommen, wurden sie kahl geschoren, mit einer Nummer tätowiert und anschließend in entwürdigender Form für die Akten fotografiert.”

Aufgrund seiner besonderen handwerklichen Fähigkeiten blieb dem jungen “Edek” wenigstens die Haupthaarrasur erspart. Durch sein Geschick erhielt er auch den Status als Funktionshäftling, der ihm einige Freiheiten einbrachte.

Mala Zimetbaum verhaftet und interniert

Die junge Polin Mala Zimetbaum, die vor dem Wahn der Nazis mit ihren Eltern nach Antwerpen geflohen war, wurde wegen ihres jüdischen Glaubens von Belgien – ebenfalls unter menschenunwürdigen Umständen – nach Auschwitz verschleppt. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen sprachlichen Fähigkeiten wurde sie vom Aufsichtspersonal als Dolmetscherin beschäftigt, was ihr eine gewisse Freizügigkeit innerhalb des Konzentrationslagers einbrachte. So lernte sie den jungen Edward Galinski kennen und schließlich verliebten sich beide ineinander.

Immer wieder ließ Reiner Engelmann Alltagsdetails und reale Namen aus dem Konzentrationslager einfließen. So erwähnte er die grausamen Versuche eines sogenannten Arztes, der sich über Massensterilisation und Zwillingsforschung bis in alle Ewigkeit einen unrühmlichen Namen als Kriegsverbrecher gemacht hat. Leider konnte er nie zur Rechenschaft gezogen werden.

Perverse Perfektion: “Stehbunker”

Ein schrecklicher Zufall läutet das Lebensende der beiden Hauptpersonen ein. Aufgrund einer zufälligen Rempelei mit einem Aufseher wurde der junge Edward Galinski zu fünf Nächten “Stehbunker” verurteilt. Das bedeutete eine nächtliche Unterbringung von vier Menschen in einem Raum von knapp einem Quadratmeter und einer Höhe von 1,6 Metern. Um die Folter zu potenzieren, gab es nur ein kleines Luftloch, das etwa Handteller groß war.
Der junge Häftling überlebte diese Folter und beschloss mit seiner Freundin die Flucht aus dem Konzentrationslager.

Flucht zunächst geglückt

Was zunächst nach einem Happy End aussieht, endete furchtbar. Mala und Edward gelang zunächst die Flucht aus dem KZ Auschwitz. Beide hatten den Plan, in Ungarn eine Familie zu gründen und ein neues Leben zu beginnen. Tatsächlich wurden sie aber nach drei Wochen aufgespürt, verhaftet und zurück nach Auschwitz gebracht. Ein Mithäftling rettete damals Dokumente, woraus Reiner Engelmann das furchtbare Ende der beiden jungen Leute rekonstruierte: Beide wurden gefoltert und schließlich hingerichtet.

Betroffene Stille bei den jugendlichen Zuhörern

Der Autor war abschließend bemüht, mit den Jugendlichen, die sichtlich beeindruckt waren, einen Blick auf die Parallelen in der Gegenwart zu werfen. Schnell kam das Thema auf Äußerungen der AfD, die den Nationalsozialismus (“Nazizeit war nur ein Fliegenschiss in der deutschen Geschichte”, Zitat “Ehren”vorsitzender der AfD) verharmlosen.

Die Frage, ob die Geschichte des Liebespaars Fiktion sei, beantwortete Engelmann eindeutig mit “Nein”. Noch heute ist im Lagermuseum Auschwitz ein im KZ gemaltes Portrait von Mala Zimetbaum zu sehen, das zusammen mit einer Locke Malas von einem Mithäftling bei der Befreiung gerettet werden konnte.

Ein beeindruckendes Kompliment eines jugendlichen Zuhörers, das ihm offensichtlich sehr spontan über die Lippen kam, begeisterte Reiner Engelmann, stellvertretende Schulleiterin Stephanie Müller und Studienrätin Birgit Winter Pausch, die auch die Lesung organisiert hat: “Herr Engelmann, das haben Sie uns sehr anschaulich, eindringlich und spannend erzählt. Herzlichen Dank dafür!”

Literaturtage sind für Weiden unverzichtbar

Es gab Zeiten, in denen im Weidener Stadtrat über die Notwendigkeit der Weidener Literaturtage diskutiert wurde. Freilich muss in Zeiten eines angespannten Haushaltes jeder Cent umgedreht werden. Aber…

Wer einmal die Gelegenheit hatte, einen Autor bei einer Schullesung zu beobachten, der sucht schnell andere Einsparpotentiale.

In den Grundschulen kommen im Rahmen der Literaturtage die Kids mit der Faszination des Lesens in Berührung. Ob ThiLO, Ulrich Hub und Jörg Hilbert alle sind “kampferprobte” Schullesungsprofis, die Begeisterung für Bücher wecken. Yasmin Shakarami spricht punktgenau junge Erwachsene an (neudeutsch: ‘Young Adults’) an.
Reiner Engelmann übernimmt eine äußerst wichtige Funktion beim Blick in die unrühmliche deutsche Vergangenheit und macht auf Parallelen in der Gegenwart aufmerksam. Gerade in Zeiten, in denen ein Parlamentsabgeordneter ungestraft und ohne sich zu schämen als “freundliches Gesicht des Nationalsozialismus” bezeichnet, ist diese Bildungsaufgabe unverzichtbar.
Wie sagte kürzlich Bürgermeister Lothar Höher so treffend: “Kultur rechnet sich nicht, Kultur zahlt sich aus!”

Liebe Stadträte, denkt an diesen weisen Satz, wenn die Kohle wieder einmal knapp ist!

Martin Stangl

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