SSV Jahn in der Zweiten Bundesliga: Sportchef Achim Beierlorzer im Interview

Wie gefällt Ihnen die EM bisher – kommen Sie trotz der Saisonvorbereitung zum Schauen?

Achim Beierlorzer: Ja, ich komme immer öfter dazu: Am Anfang, mit den vielen Gruppenspielen, habe ich nicht jedes gesehen. Die Topspiele habe ich aber schon angeschaut. Interessant wird jetzt sein, wie die Mannschaften die K.o.-Spiele angehen werden.

Haben Sie besonders aufmerksam die Österreicher verfolgt, die inzwischen mit dem Rangnick-Style tatsächlich mehr sind als Außenseiter – wäre es Hybris, sich daran zu orientieren?

Beierlorzer: Ganz im Gegenteil. Dieser Rangnick-Style, wie Sie sagen – also höher anzugreifen, den Gegner zu attackieren und konsequent auf den zweiten Ball zu gehen – ist für uns sehr interessant. Es ist spannend zu sehen, wie Österreich das macht.

Können Sie sogenannten Expertenrunden etwas abgewinnen, die so aufsehenerregende Beobachtungen machen wie, dass es einen Trend zum Fernschuss und zum Eigentor gebe, die Spanier nicht mehr Tiki-Taka, die Italiener nicht mehr Catenaccio und die Engländer wie immer unter ihren Erwartungen spielen?

Beierlorzer: Ich schaue mir sehr gerne die Spiele an, schalte dann aber meistens den Fernseher aus.

Dann haben Sie sicher auch die Lanz-Runde mit Ewald Lienen nicht gesehen, die zu meiner Überraschung bereits wieder sehr viel Kritik an der deutschen Mannschaft übte: zu durchschaubar, zu abhängig von Kroos, zu schwache Verteidigung, zu langsame Außen. Erinnert Sie solche Kritik daran, wie schnell die Stimmung auch des Jahn-Anhangs von Euphorie wie bei der Hinrunde in Depression wie in der Rückrunde umschlagen kann?

Beierlorzer: Das zeigt, wie der Fußball im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Ist man erfolgreich, sind alle begeistert, bleibt der Erfolg aus, ist man weniger begeistert. Die deutsche Mannschaft hat bisher mit gutem Ballbesitzfußball, einem herausragenden Kader und hervorragenden Spielern überzeugt. Das Spiel gegen die Schweiz war schwierig, da die Schweizer sich sehr gut auf uns eingestellt haben. Jetzt kommen die hopp- oder top-Spiele, da heißt es, alles zu investieren. Ich bin da weit weg, aber ich habe den Eindruck, dass man bisher immer gut auf die jeweilige Situation reagiert hat.

Was uns betrifft: Wir wurden am Anfang nicht als Topfavorit wahrgenommen. Nach der Winterpause, als wir 12 Punkte Vorsprung auf Platz drei hatten, haben sich unsere Gegner auf uns eingestellt. Achim Beierlorzer

Die Spiele waren mit der Bürde des Tabellenführers schwieriger für uns. Wir konnten in dieser Phase nicht die Ergebnisse liefern wie noch in der Vorrunde. Diese Situation hat auch das Selbstbewusstsein und die Selbstverständlichkeit unserer Mannschaft verändert. Mit der Rückrunde waren wir nicht zufrieden.

Die Argumentation, niemand habe erwarten dürfen, dass nach einem Neustart in Liga 3 und dem totalen Umbruch gleich alles glattlaufen würde, leuchtet ja völlig ein. Überrascht hat dann aber schon, wie schnell alles vielleicht zu glattgelaufen ist, auch wenn die Ergebnisse meistens eng waren, und wie deutlich in der zweiten Saisonhälfte die Platzierung nach unten ging, wo man es ja eher umgekehrt erwartet hätte. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz?

Beierlorzer: Wir waren ja nie die Mannschaft, die eine andere an die Wand gespielt hat. Immer, wenn ein Gegner tief stand, wurde es schwierig für uns. Bei unserer neu zusammengestellten Mannschaft war der Verteidigungsmodus überragend. Wir hatten in dieser Phase die beste Abwehr der Liga. Wir hatten knappe Ergebnisse, aber trotzdem gewonnen.

Kann man aus solchen Entwicklungen Schlüsse ziehen, um eine Wiederholung zu vermeiden?

Beierlorzer: Wir versuchen über unsere Neuzugänge die Qualität zu erhöhen. Wir müssen unseren Fokus darauflegen, die Stärken auszuspielen, die uns erfolgreich gemacht haben: Mentalität, Aktivität, schnelles Umschalten.

Klar arbeiten wir aber auch weiter an der Entwickelung unserer Spieler an der Perfektion im Spiel gegen den Ball und am Spiel mit dem Ball. Achim Beierlorzer

Vor allem müssen wir vermeiden, Bälle sofort wieder zu verlieren, was uns auch in meiner ersten Saison immer wieder mal passiert ist. Da den Ball zu halten, hilft ungemein, um aus dem Druck rauszukommen.

Morgen geht’s mit dem Training los: Steht der Kader jetzt bereits endgültig, mit Christian Kühlwetter, Mansour Ouro-Tagba, Dejan Galjen und Nico Ochojski – und wohl auch Julian Pollersbeck – und was ist dran um die Gerüchte um Max Besuschkow oder Kai Pröger?

Beierlorzer: Julian Pollersbeck und Kai Pröger haben unterschrieben, das kann ich schon sagen. Alles Weitere werden wir erst intern und dann extern kommunizieren.

Sind noch Abgänge zu befürchten: Ich hatte nach der Relegation besonders um Dominik Kother gebangt – vor Wochen hieß es, es gäbe Anfragen aus der Bundesliga und dem Ausland?

Beierlorzer: Da mache ich mir aktuell keine Gedanken. Er ist in Regensburg, fühlt sich hier sehr wohl und bereitet sich mit uns auf die Saison vor. Wenn ein Bundesligist oder ein starker Zweitligist unbedingt meint, ihn verpflichten zu müssen, werden wir uns mit der Situation beschäftigen.  

Was mich etwas gewundert hat: Warum wechselt ein Co-Trainer von einem Aufsteiger zum anderen – gibt es hier für Oliver Seitz bessere Bedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten?

Beierlorzer: Ich denke, das kann man schon nachvollziehen. Wenn man immer im gleichen Verein bleibt, hat man kaum neuen Input. Das war bei ihm ein wichtiger Aspekt. Er hat in den Gesprächen mit Joe und mir gemerkt, dass er für sich eine Weiterentwicklung erreichen kann. Dazu kommen die hervorragenden Bedingungen hier in Regensburg mit dem neuen Trainingszentrum.

Immer wieder hört man, es sei die stärkste Zweite Liga aller Zeiten, mit Hertha, Hannover, HSV, Köln, Schalke – aber die meisten kennen wir ja auch schon. Sehen Sie das auch so?

Beierlorzer: Die Frage ist, was heißt stärker? Wenn man die Finanzkraft und Größe des Vereins als Kriterium nimmt, ist sie definitiv stärker. Wir können uns mit Vereinen wie Köln, Schalke, Berlin, Düsseldorf oder dem HSV nicht vergleichen. Laut den Statistiken der DFL sind wir sehr weit von diesen Vereinen entfernt.

Das sind Mannschaften, bei denen das Stadion mit 50.000 Zuschauern fast immer ausverkauft ist. Wir versuchen insgesamt 15.000 Fans ins Stadion zu bringen. Achim Beierlorzer

Man kann schon sagen, dass unsere Zweite Liga zu den Prestige-stärksten der Welt zählt, weil dort Mannschaften mitspielen, die sich in der 1. Bundesliga sehen. Dazu kommen solide Teams wie Paderborn, Fürth, Karlsruhe, Kaiserslautern – und ich könnte noch mehr aufzählen –, die immer für stabilen Zweitliga-Fußball stehen. Und auch die zwei starken Aufsteiger Münster und Ulm. Das Tolle daran ist, dass wir unsere Spiele wie beispielsweise gegen Hamburg wieder als Underdog austragen können …

… wie beim spektakulären 5:0-Auswärtssieg in Ihrer zweiten Saison …

Beierlorzer: … nichts dagegen. Aber das wird eine sehr schwierige Aufgabe.

Wie stehen Sie eigentlich zum Pyro-Einsatz, der in manchen Fankreisen sehr beliebt, für den Verein aber teuer ist – und zum bengalischen Feuer, mit dem Mustafa, Weidinger und Schönfelder den Aufstieg feierten?

Beierlorzer: Wir müssen uns prinzipiell auf den Umgang mit Regeln verständigen. Der DFB stellt Regeln auf, dann sind diese Regeln einzuhalten. Man kann auch über Tempo 80 diskutieren, aber wenn man immer wieder die Geschwindigkeit überschreitet, ist der Führerschein irgendwann weg.

Pyrotechnik kann optisch sehr schön sein, aber dass das auch durch Hitze- und Rauchentwicklung eine Gefahr für die Zuschauer darstellt, ist auch nachvollziehbar. Und es kostet uns als Verein viel Geld. Achim Beierlorzer

Natürlich sind wir mit den Fans im intensiven und stetigen Austausch. Die verstehen schon unsere Situation auch, aber Pyro ist ein Teil ihrer Identität, ein Baustein der Ultra-Philosophie – genauso wie das bedingungslose Anfeuern, das uns sehr hilft. Es ist schwierig, diesen Gordischen Knoten zu lösen.

Wobei man sich schon auch fragt, wie sie das Zeug immer wieder ins Stadion schmuggeln können – gibt’s noch keine KI, die das riecht?

Beierlorzer: (lacht) So weit sind wir noch nicht.

Bis zu zwölf Millionen Euro mehr aus höheren TV-Einnahmen und Sponsoren-Geldern: Auf der anderen Seite höhere Ausgaben für den Kader und das Stadion – wie ist diese Summe vor diesem Hintergrund einzustufen?

Beierlorzer: Da die Auskehrung der zentralen Medienrechterlöse an Clubs der Größe des SSV Jahn mitunter stark von den Säulen Einsatz und Ausbildung abhängt und da die Sponsoring-Vermarktung gerade in der Hochphase ist, lassen sich keine finalen Umsatzwerte nennen.

Wir können auf jeden Fall davon ausgehen, dass uns der Aufstieg die Finanzierbarkeit ein Ticken leichter macht als in der 3. Liga. Achim Beierlorzer

Es ist ja noch nicht so lange her, dass wir aus der DFL ausgeschieden sind. Hat sich an der Satzung etwas verändert?

Beierlorzer: Grundlegende Veränderungen hat es nicht gegeben, Philipp Hauser und ich sind demnächst bei der Informationsveranstaltung für die neue Saison dabei. Wir müssen die Standards der DFL erfüllen, aber das kennen wir aus den vergangenen Jahren bereits. Das sind sehr viele Voraussetzungen, etwa, was den Frauenfußball, die Nachwuchsförderung oder die Nachhaltigkeit betrifft, die wir erfüllen müssen.

Wie optimistisch sind Sie für das Pokalspiel gegen Bochum am 18. August?

Beierlorzer: Pokal ist wie Achtelfinale, alles ist möglich! Bochum ist ein Bundeligist, der eine schlagkräftige Mannschaft haben wird. Aber genau das macht es ja aus.

Wer wird Europameister?

Beierlorzer: (lacht) Sie wissen schon, dass Sie einen Fußballfachmann und keinen Hellseher fragen? Und dann wäre auch noch die Frage zu klären, ob es um die Mannschaft geht, die ich objektiv am stärksten einschätze, oder die, welche ich mir wünsche …

… Deutschland oder Rangnick (Anm. d. Red. Interview vor dem Ausscheiden der Österreicher) …

Beierlorzer: … kein Kommentar (lacht) Jetzt geht die K.o.-Runde los. Meistens haben sich Mannschaften wie Frankreich durchgesetzt, weil sie eine defensive Herangehensweise präferieren, aber in der Offensive trotzdem immer für viele Tore gut sind.

England hat man in der Öffentlichkeit schlecht geredet, aber jetzt geht es um die Ausscheidungsspiele. Sie haben Topspieler, die häufig auf höchstem Niveauin der Champions-League performen. Achim Beierlorzer

Dazu gehört auch Deutschland. Da haben wir schon auch eineQualität. Der Turnierbaum ist zwar etwas linkslastig – mit Deutschland, Spanien, Frankreich undPortugal auf der einen Seite. Da bin ich gespannt, wer aus beiden Seiten den Einzug ins Finale schafft. Von mir gibt es aber keinen Tipp. Ich freue mich, dass wir weitergekommen sind.

Was ist Ihr ganz persönliches Saisonziel verglichen mit dem sensationellen Platz 5 in Ihrem ersten Trainerjahr beim Jahn in Liga 2?

Beierlorzer: Das war damals nicht das Ziel, es war das erfreuliche Ergebnis, das wir erreicht haben. Das einzige Ziel für uns kann sein, dass wir in der darauffolgenden Saison wieder in der Zweiten Liga Spielen und die magische 40-Punkte-Marke erreichen. Wir müssen aber auch auf dem weiteren Weg aufpassen.  Stillstand ist in unserer Gesellschaft nicht zu akzeptieren. Wir müssen aber schon immer sehen, mit welchen Bedingungen wir die Klasse in der Zweiten Bundesliga halten müssen. Das allein ist schon eine tolle Leistung für den SSV Jahn.