Steinmeier bei Seltmann: Freundlicher Empfang, knallharte Anliegen
Weiden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird in der Porzellanfabrik Seltmann herzlich begrüßt. In einer Diskussionsrunde geht es dann knallhart zur Sache. Inhaber Christian Seltmann sagt: "Die Politik hört uns nicht."

Erst das Vergnügen: Steinmeier erlebt hautnah, wie das Weißgeschirr (hergestellt in Erbendorf) in Weiden veredelt und dekoriert wird. Der Präsident darf selbst Hand anlegen, angeleitet von den Porzellandruckerinnen Mariella DeLuca und Kerstin Wabra. Beim Spritzroboter zeigen ihm Sinan Akaya und Seid Tukue die farbigen Teller. Mit Marie Murrmann macht Steinmeier die Endkontrolle. Mit weißen Handschuhen streicht er über das Porzellan.
Die Diskussionsrunde im Musterzimmer startet der Präsident mit einem Einstiegsgag. „Wollen Sie Kaffee?“, wird er gefragt. „Haben Sie denn Geschirr?“, fragt er zurück. Dann wird es ernst. Ernster, als er vielleicht vermutet hätte. Inhaber und Geschäftsführer Christian Seltmann, Geschäftsführer Josef Kallmeier, Gesamtvertriebsleiter Michael Vogl und Betriebsleiter Franz Fahrnbauer haben dringende Anliegen.
Dreifache Gaspreise
Stichwort: die Energiepreise. „Wir zahlen beim Gas fast das Dreifache wie 2019“, sagt Geschäftsführer Josef Kallmeier. Hartporzellan wird bei 1400 Grad Celsius gebrannt. Am Gas führt beim Brand kein Weg vorbei. Feldversuche mit grünem Wasserstoff verlaufen zwar vielversprechend, sind aber von der Serienreife noch weit entfernt.
Beim Strom liegen die Kosten bei einem Plus von 60 Prozent. Die Energiepreise in Deutschland gehörten zu den höchsten Europas. Kallmeier: „Wir wollen nicht nach dem Staat schreien. Aber wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen.“
Wir wollen mehr. Wir können mehr. Aber dafür brauchen wir zwei Komponenten: Energie und Fachkräfte. Michael Vogl, Gesamtvertriebsleiter bei Seltmann
„Wir ersticken in Bürokratie“
Zweites Stichwort: überbordende Bürokratie. „Wir ersticken in Bürokratie“, sagt der Geschäftsführer. Mittlerweile beschäftige das Unternehmen mehr Spezialisten zur Erfüllung von Rechtsverordnungen als in Produktion und Vertrieb. Kallmeier hat einen Stapel von zehn Verordnungen dabei: vom Gebäudeenergiegesetz bis zum Energiesteuergesetz. „Wir blicken nicht mehr durch.“ Dabei ist er selbst Steuerberater.
Aktuell stehe das neue Lieferkettengesetz der Europäischen Union vor der Tür. Es erfordere einen irren Aufwand an Statistik. Inzwischen befürchte man, die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten nicht mehr erfüllen zu können. Schon allein, weil man das Personal dafür nicht findet. Christian Seltmann: „Ich habe schon im Gefängnis gefragt, ob sie eine Zelle freihaben.“
Unternehmen jagen sich Miarbeiter ab
Dritter Punkt: der Fachkräftemangel. „Wir könnten in allen Bereichen sofort 15 Leute einstellen“, sagt Kallmeier. Die Unternehmen in der Region jagen sich gegenseitig die Leute ab. Prämien werden gezahlt, mit iPhones wird gelockt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz – „ein Rohrkrepierer“. Es sei für Mittelstandsunternehmen schlicht nicht umsetzbar.
60 bis 70 Prozent der Ausgaben des Unternehmens sind Löhne. Jede Mindestlohnerhöhung treffe auch Seltmann, weil nachgezogen werden muss. Die Mitarbeiter fordern einen Abstand zum Mindestlohn von mindestens 20 Prozent. Vize-Betriebsratsvorsitzender Jürgen Jakob bestätigt, dass es Leute gebe, die sagen: „Wieso soll ich 40 oder 50 Kilometer zur Arbeit fahren und acht Stunden arbeiten, wenn ich mit Bürgergeld daheim bleiben kann?“
Unteren Lohngruppen muss mehr bleiben
Gerade in unteren Lohngruppen müsse mehr netto vom brutto bleiben, fordert Seltmann: „Den unteren Lohngruppen sollte gar nichts abgezogen werden. Die Leute müssen doch leben.“ Und nicht nur das: Sie müssten sich Sicherheiten schaffen können, etwas zur Seite legen. Betriebsratsvorsitzende Karin Roderer berichtet von der Angst der älteren Beschäftigten, bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten zu müssen. In der Fabrik haben manche schon mit 15 begonnen. Sie selbst wird nach 50 Jahren im Betrieb in den Ruhestand gehen.
Am Ende schnauft der Geschäftsführer tief durch: „Es liegt hier einiges im Argen. Verzeihen Sie, dass wir Sie hier so bombardieren.“ Steinmeier nimmt es gelassen: „Dafür bin ich ja da.“ Er verweist auf internationale Entwicklungen (etwa den Ukraine-Krieg), für die die deutsche Politik nichts könne. Aber er sagt zu, die Themen „in die zuständigen Ministerien zu transportieren“.
Schon Corona eine Herausforderung
Steinmeier honoriert, wie der Betrieb schon die Corona-Krise durchgestanden habe. „Im Unternehmen ist keine Sekunde lang nachgedacht worden, ob man durchhält. Sondern nur, wie man durchhält.“ Die Produktion ging trotz gewaltiger Einbrüche im Gastrobereich (der 50 Prozent des Geschäfts ausmacht) nie in Kurzarbeit.
Die Verwaltung schon: „Wir waren im April alle zu Hause. Alle Augen waren auf den Auftragseingang gerichtet“, erinnert Gesamtvertriebsleiter Vogl an die dramatische Situation 2020. Letztlich rettete Seltmann der Wunsch der Menschen, es sich in den Lockdowns daheim schön zu machen. „Es gab immer ein Licht am Ende des Tunnels“, sagt Vogl. Das soll auch künftig gelten.
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