Stolperstein für Hermann Fuld: Angehörige aus Florida sind “live” dabei
Weiden. Am Samstag, 11. November, werden für Weiden an weiteren fünf Standorten Stolpersteine für ermordete Juden verlegt. Die Nachfahren von Hermann Fuld möchten per Videocall dabei sein. Der Kaufmann wurde 1938 im KZ Dachau erschossen.
Risa Fuld Himaras aus Florida hat ihren Großvater nie kennengelernt. Hermann Fuld wurde 1938 als erster Angehöriger der jüdischen Gemeinde Weiden in einem Konzentrationslager ermordet. Der Schock war groß. Risas Vater Hans war damals noch ein Kind (9 Jahre). Mutter Julie Fuld floh mit ihm und Bruder Ludwig (16) auf Umwegen in die Amerika. Die Witwe steigt mit ihren Kindern im Mai 1939 ausgerechnet auf die St. Louis, jenen Dampfer, der wochenlang vor der Küste Kubas vergeblich auf Aufnahme hoffte.
Angesehener Geschäftsmann und fürsorglicher Familienvater
Die Geschichte der Fulds beginnt wie so viele der Judenverfolgung in Weiden. Hermann Fuld ist ein angesehener Geschäftsmann. Er führt ein renommiertes, seit 1871 bestehendes Manufakturwaren- und Damenkonfektionsgeschäft in der Wörthstraße, da, wo heute die Volksbank steht. Fuld hat als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg in Belgien gedient. Er kann sich nicht vorstellen, dass Deutschland das NS-Regime dulden wird.
Sohn Hans (später Harry) Fuld erinnerte sich 2018 in einem Brief an Pfarrer Björn Mensing (evangelischen Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte Dachau): “Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit mit meinem Bruder Lou (früher Ludwig) und meinen Eltern. Mein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der in Weiden ein Textilgeschäft besaß. Er wurde von den Bürgern von Weiden und seinen jüdischen und christlichen Kunden hochgeachtet.” Für seine Familie habe Hermann Fuld alles getan. Seine Tochter Erna Weisman aus erster Ehe beschreibt den Vater als “grundehrlichen, braven Menschen”.
Nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1938 spitzt sich die Lage dramatisch zu. Uniformierte erzwingen den Boykott des Geschäfts. Hermann Fuld muss seinen Laden schließen. Er verkauft das Anwesen in der Wörthstraße an die Gewerbebank Weiden. Die „Bayerische Ostmark“ kommentiert dies am 22. Juli 1938 gehässig mit den Worten: „Judenfirma Fuld veschwindet.“
Nach Reichspogromnacht im KZ Dachau erschossen
Keine vier Monate später ist der Kaufmann tot. Hermann Fuld (64) wird am 15. November 1938 im Konzentrationslager Dachau von einem SS-Mann erschossen. Sein Sohn erinnerte sich 2018 noch deutlich an die Verhaftung in der Reichspogromnacht am 10. November 1938: “Es wurde uns mitgeteilt, dass er zusammen mit anderen Juden ins KZ Dachau gebracht wurde.”
Es gibt einen Weidener, den Sozialdemokraten Josef Mörtl, der zur gleichen Zeit inhaftiert ist. Er sagte später dazu aus: „Hermann Fuld wurde auf Baracke 16 von dem Blockführer Hofmann erschossen. Angeblich hätte Fuld ihn bedroht. In Wirklichkeit konnte der Fuld – ein kleiner, alter Mann – niemandem etwas zu Leide tun. Sein ,Verbrechen’ war, dass er als Letzter aus dem Waschraum zurückgekommen ist.“ SS-Blockführer Fritz Hofmann schießt ihn in den Kopf.
Witwe flieht ausgerechnet auf St. Louis
Fuld hinterlässt seine zweite Ehefrau Julie mit den minderjährigen Söhnen Ludwig (16) und Hans (9). Unter dramatischen Umständen gelangen sie nach Nordamerika. Schon vor dem Novemberpogrom waren Hermann Fulds erwachsene Kinder aus erster Ehe in die USA emigriert: Max (29) und Erna (32). Julie versucht ihnen zu folgen, erhält aber kein direktes Einreisevisum für die USA mehr. Sie bekommt nur eine Genehmigung für einen Zwischenaufenthalt auf Kuba.
Für ihre Überfahrt besteigen die Drei die „St. Louis“. Es folgt eine Irrfahrt, die weltweit Schlagzeilen macht: Der Dampfer mit den Flüchtlingen erhält in Kuba keine Landeerlaubnis. Zwei Wochen ankert das Passagierschiff im Hafen von Havana – überfüllt mit fast 1000 Juden. Angehörige umkreisen die St. Louis in Booten und können ihren Lieben nur winken. Auch Max Fuld ist aus New York gekommen. Er muss am Ende allein wieder abreisen.
Flüchtlinge werden vom Holocaust eingeholt
Kuba lässt die Flüchtlinge nicht von Bord. Auch die USA und Kanada verweigern die Aufnahme. Die St. Louis muss nach Europa umkehren. Die Passagiere gehen schließlich in Antwerpen an Land und werden auf Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien verteilt. 623 Passagiere überleben den Holocaust nicht: Sie werden von den deutschen Besatzern eingeholt.
Julie Fuld und ihre Söhne gehören zu den 284 Passagieren, die nach England gebracht werden. In London überleben sie die deutschen Luftangriffe (“The Blitz”) auf London. Fuld-Tochter Erna Weisman erinnert in einem Brief an Historiker Michael Brenner: “Es ist ihnen nichts passiert, außer großen Entbehrungen in vieler Hinsicht. Mutter mit zerrütteten Nerven.”
Neuanfang in New York
Erst 1941 erreichen sie schließlich mittellos New York, wo sie hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten. “Mit eiserner Willenskraft, Zähigkeit und Ausdauer und etwas Mithilfe konnte Mutter ihrer und der Brüder Lebensunterhalt verdienen. Es waren schwere Zeiten für uns alle”, schreibt Erna Weismann. Am Ende habe Julie Fuld einen schönen, ruhigen Lebensabend erlebt. Max gründete ein Herrenkonfektionsgeschäft, starb aber früh 1977 an einer Herzattacke. “Die furchtbaren Erlebnisse haben ihn zermürbt.”
Die Brüder Lou und Harry hatten Erfolg im Geschäft und gründeten Familien. Heute gibt es jede Menge Enkel. Harry Fuld, der mit 9 Jahren Weiden verlassen musste, starb 2019 im Alter von 90 Jahren im Kreise seiner Lieben.
Risa, eine seiner beiden Töchter, berichtet, dass ihr Vater in seiner jüdischen Gemeinden in den USA oft am Gedenktag zur Reichspogromnacht gesprochen habe. Das Erinnern war ihm wichtig. Auch dem evangelischen Pfarrer Mensing in Dachau schrieb er 2018: “Das Teilen dieser Geschichten ist so wichtig. Ich bin dankbar, dass ihr euch einsetzt, das anderen zu vermitteln.”
Am 11. November wird für Hermann Fuld ein Stolperstein in der Wörthstraße 8 verlegt.
(Quellen: Sebastian Schott “Weiden a mechtige kehille”, Michael Brenner “Judenverfolgung im Dritten Reich”, Hans Herlin “Die Reise der Verdammten”. Über Hermann Fuld recherchierten im Rahmen eines Schulprojekts auch Schülerinnen des Elly-Heuss-Gymnasiums.)
Die Schicksale weiterer jüdischer Familien in Weiden:
Grafik mit allen Standorten.
Bahnhofstraße 33: Stolpersteine in Bahnhofstraße: Fabrikantenfamilie Kupfer beinahe ausgelöscht
Obere Bachgasse 8: Stolpersteine für Weiden: Väter der Familie Hutzler und Kahn nach Australien verschleppt
Wörthstraße 8: Stolperstein für Hermann Fuld: Angehörige aus Florida sind „live“ dabei
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