Taktik-T-Rex Thomas Tuchel strafft und streckt künftig Englands Nationalmannschaft
London/Regensburg. Joe Enochs kann durchatmen. Trotz der Ergebniskrise beim SSV Jahn braucht der Kalifornier den heißen Atem von Taktik-T-Rex Thomas Tuchel nicht mehr zu fürchten. Der Ex-Nulltuple-Coach des FC Bayern sucht zum zweiten Mal Harry Kane heim.

Spaß beiseite: Dass Thomas Tuchel ein herausragender Taktik-Tiger – Spitzname in Dortmund: Taktik-T-Rex – ist, ist unbestritten. Mit Chelsea holte der bayerische Schwabe den UEFA-Cup, die Champions-League und die Clubweltmeisterschaft nach London.
Nach dem titellosen Alptraum beim FC Bayern und dem würdelosen Poker um den Rücktritt vom Rauswurf der Bayern-Bosse kehrt er jetzt als Trainer der englischen Nationalmannschaft auf die Insel zurück, wo der Fußball-Philosoph mehr Wertschätzung erfahren hat als im eigenen Land.
Postillion: Bayern-Trainer als Sprungbrett
Als Bundestrainer wurde er schon einmal vom Satire-Magazin Postillion gehandelt: „Thomas Tuchel freut sich eigenen Angaben zufolge schon darauf, demnächst den Posten als Bundestrainer übernehmen zu dürfen“, legten ihm die frechen Autoren vor dem Wechsel zum FC Bayern in den Mund. Dies sei ohnehin der einzige Grund, warum er den FC Bayern München coachen würde.
„Jeder weiß, dass der Bundestrainer-Posten seit Jahren mit Leuten besetzt wird, die kurz davor beim FC Bayern München gefeuert wurden“, habe Tuchel erklärt. „Das war bei Flick so. Das war bei Nagelsmann so. Und das wird auch bei mir so sein. Ist ja nicht so, dass der DFB lernfähig wäre.“ Überhaupt laufe alles nach Zeitplan. „Nagelsmann dürfte nicht mehr lange zu halten sein.“
Nach Klopps Abflug: beliebtester Deutscher auf der Insel?
Dass es jetzt die englische Nationalmannschaft wurde, kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Nachdem Liverpools Säulenheiliger die Insel verlassen hat und nun Red Bull Jürgen Klopp zumindest finanzielle Flügel verleiht, kann Thomas Tuchel seine Nachfolge als beliebtester Deutscher des United Kingdom, wenn nicht des Common Wealth antreten.
Voraussetzung dafür: Endlich wieder ein Finale mit den Loosern von London zu erreichen. Dass er in England zumindest internationale Titel holen kann, hat er unter Beweis gestellt. Und vielleicht hilft es ja, dass die Boys der Three Lions den oft nervigen Nerd noch weniger verstehen, als das Münchner Starensemble, deren Führungsspieler Kimmich, Goretzka und Müller er schon kurz nach seinem Amtsantritt erfolgreich verzwergte – von wegen Holding Six.
Tuchels Feind heißt Tuchel
Überhaupt: Der größte Feind des Thomas Tuchel heißt Tuchel. Mit seinen quengelnden Pressekonferenzen, seiner öffentlichen Kritik an den Spielern, wo Selbstkritik besser angebracht gewesen wäre, und seinen oft schrägen Disziplinarmaßnahmen stand sich der Nachfolger des Menschenfischers Klopp bei Mainz und Dortmund oft selbst im Weg.
Wo ein Hansi Flick nicht viel mehr machen musste, um nach dem ebenfalls zickigen Nico Kovač, der am Ende mit allen Spielern im Clinch lag, allein durch die Schaffung einer Wohlfühlatmosphäre das Sextuple abzuräumen, schaffte es Tuchel die Truppe durch gewagte Taktikmanöver und überflüssige Sticheleien zum Nulltuple zu demotivieren.
Britischer Humor in Unterhosen
Ob er aus seinen Fehlern gelernt hat? Ein grenzgenialer Charakter wie Thomas Tuchel dürfte sich nicht so schnell verbiegen lassen. Wer allerdings in Dortmund erlebt hat, wie Tuchel in bester Laune das Training an seinen Imitator Matze Knop abgibt und herzlich über den Spaßvogel und damit auch über sich selbst lachen kann, muss erstaunt zur Kenntnis nehmen: Der Mann hat Humor.
Und mit schwarzem Humor kann er im Land von Monty Python, Roald Dahl und Ricky Gervais (The Office, Vorbild von Stromberg) richtig reüssieren. Als Gary Lineker, englisches Nationalheiligtum mit 80 Länderspielen, die Wette verlor, dass sein Ex-Provinzklub Leicester City niemals den Titel holen würde, löste er seine Wettschulden ein: Die altehrwürdige BBC erlaubte dem Moderator, die Highlight-Show „Match of the Day“ nur in Unterhosen zu moderieren. Wettschulden sind eben Ehrenschulden.
Eine kleine Anleitung für Thomas Tuchel
Thomas Tuchel hat sich früh in die Annalen der komischen Fußballsprüche eingetragen. Ob er Niederlagen oder Siege erklärt, seine Taktik mit der ihm eigenen Fachsprache erläutert, seinen asketischen Diätplan verkündet oder seine Spieler zur Schnecke macht. Tuchel tritt anderen oft auf die Füße – und meint es dabei selten böse.
Auf die Frage an den damals noch jungen Mainzer Trainer, wie er die Bayern zu knacken gedenke, antwortet Tuchel; „Helfen würde uns ein schnelles Tor und ein schneller Abpfiff und vielleicht können wir ja den Mannschaftsbus vor unserem Tor parken.“ Nach der 0:3-Niederlage sagt er folgerichtig: „Sie haben ihn mich nicht reinfahren lassen“– den Mannschaftsbus.
Vor dem Viertelfinal-Rückspiel gegen Manchester City (1:1), das leider nicht zum Weiterkommen reicht, forderte er: „Wir brauchen das Momentum und in den kleinen Momenten den Moment auf unserer Seite.“ Tja: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“
„Taktik-T-Rex“ wurde Tuchel in seiner Dortmunder Zeit genannt. Der 51-Jährige hat einen enormen Fundus an taktischen Ideen und Vielseitigkeit, mit denen er seine Gegner immer wieder vor große Probleme stellt. Nicht zuletzt beim Champions-League-Finale 2021. Sein FC Chelsea gewinnt gegen Manchester City auch deshalb, weil der „T-Rex“ den großen Kontrahenten Pep Guardiola auf taktischer Ebene austrickst.
Tuchel ist ein akribischer Fummler mit wissenschaftlichen Methoden. Seine Trainingsprinzipien erweitert er anhand neuester Erkenntnisse der Gehirnforschung. Etwa mit dem Ansatz des differenziellen Lernens nach Wolfgang Schöllhorn. Er lässt bewusst keine isolierten Passformen und Muster trainieren, weil durch diese Muster effektives Lernen behindert würde. Stattdessen lässt er häufig in sich verändernden Spielformen trainieren: im Kreis, Diamant oder Schlauch – und überfordert dabei schlichtere Gemüter.
Seine Exzentrik macht ihn oft zur Zielscheibe von Parodisten, was Tuchel mit Selbstironie hinnimmt. Komiker Matze Knop etwa, der sich leidenschaftlich an Tuchels Marotten abarbeitet, lässt er ein „Training“ leiten (siehe Video oben). Tuchels Sprache nimmt Knop treffend auf die Schippe. Ein kleines Best-of:
„Mein Vorgänger bei Chelsea war Frank Lampard, ein großartiger Trainer, aber ich habe in seinem Spind Produkte gefunden, die ein Trainer in der Premier-League so nicht verwenden darf. Das waren Gummibärchen-Tüten, ich habe Schokolade gefunden, ich habe zum Teil Aufschnitt, Käse, Wurst, Salami, Schinken, teilweise Leberwurst, Halbfettleberwurst, gefunden. Aber das sind alles Produkte, von denen muss man sich als erfolgreicher Trainer trennen. Ich habe mich jetzt zum Beispiel von meinen Socken und meiner Unterhose getrennt, weil Ballast beim Laufen stört.“
„Zum Beispiel zu Timo Werner, ein großartiger Spieler, habe ich gesagt, Timo, trenn‘ dich von deinem Nachnamen. Werner, das sind sechs Buchstaben, auch auf dem Trikot. Jeder Buchstabe hinten auf dem Trikot kostet dich beim Laufen Gewicht und Geschwindigkeit. Timo Werner heißt bei uns jetzt nur noch T. Und das ist das, was ich meinen Spieler auch zum Essen gebe: Tee. Man kann bei großem Hunger auch schon mal den Beutel lutschen oder ihn vielleicht sogar öffnen, aber das muss auch reichen, wenn man Erfolg haben will.“
„Kai Havertz habe ich jetzt auch gelobt. Weil er hat zwei Tore gemacht gegen Fulham. Und da habe ich gemerkt, dass sie gegen uns die Hosen full ham.“
Halbfinale mit Chelsea gegen Madrid: „Ich hab‘ eine Taktik, die wirklich im Kreise großer Proficlubs so noch nie aufgetreten ist. Ich hab‘ mein Gehirn gestrafft, getreckt, gerafft, gereckt und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, meine Taktik ist Gewinnen. Da rechnet niemand damit, Madrid schon gar nicht.“
„Edin (Terzić) hat irgendwann im Spiel das System gewechselt, dann hatten wir mehr Breite im Spiel, im vorderen Bereich hatten wir mehr Spitze. Und dann haben wir teilweise auf eine Fünferkette umgestellt, sind dann wieder zurück zur Dreierkette. Ich hab‘ dann irgendwann die Viererkette ausgerufen. Edin hat darauf auch wieder reagiert, und am Ende war es so ein Durcheinander, dass wir gar nicht wussten, warum wir so gut gespielt haben.“
„Thomas Müller habe ich am Ende auch noch seine drei Minuten gegeben, damit er seine Einsatzprämie abrechnen kann. Ja, Harry Kane ist vorm Tor eiskalt, er ist halt ein Engländer, die überlegen ja auch im Urlaub nicht, wenn die Sonne scheint, dann denken sie nicht daran, sich einzucremen.“
„Wir hatten heute die Stiffness, wir haben uns gestrafft und gestreckt.“
„Wir haben die Niederlage erfahren, wir haben sie durchlebt, wir haben sie durchschritten und wir brauchen uns nach diesem Spiel nicht grämen, sondern wir müssen uns fürs nächste Spiel strecken und straffen.“
„Die Laufwege auf dem Platz, in der Kabine zur Dusche auf dem Klo, auf der Wiese, egal, mit langer oder kurzer Friese im Supermarkt am Regal, mit Schal oder ohne ist egal.“
„Ja, gegen Lotte brauchen wir keine Taktik, wir müssen die Laufwege hochdrücken, wir müssen die äußeren Innen suchen, die inneren Außen, wir müssen mal reingrätschen.“
„Eigentlich ist heute mein Fastentag, aber weil ich Derby-Sieger bin und mich so darüber freue, esse ich heute hier seit langer Zeit mal wieder Fleisch. Fruchtfleisch.“ „Flach spielen, hoch gewinnen, reinschleichen, gewinnen, rausschleichen!“
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