Voller Kultursaal: „Stolpersteine“-Lesung von Christine Ascherl im Rahmen der Literaturtage

Weiden. Christine Ascherl stellte im Kulturzentrum Hans Bauer ihr Buch über jüdische Familien und die Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden vor.

Stellen die Geschichten und Gesichter hinter den Stolpersteinen vor: (von links nach rechts) Sebastian Schott, Stefan Voit und Christine Ascherl bei der Vorstellung des Buchs "Jüdische Familien - Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden" im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden. Foto: Jürgen Herda

Im Herzen der Weidener Altstadt im Kulturzentrum Hans Bauer erzählte Journalistin und Autorin Christine Ascherl am gestrigen 9. April live von der Arbeit an ihrem Buch „Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden in der Oberpfalz“.

„Und wie war es, sich weltweit in Archive reinzufuchsen?“, fragte Moderator Stefan Voit. Ascherls Antwort – „Darf ich dir verraten, dass mir das Spaß macht?“ – wurde mit einem fröhlichen Zwischenruf kommentiert: „Das merkt man!“ Und damit hatten Moderation, Autorin und Publikum den Ton des Abends gesetzt: Neugierig, zugewandt, interessiert, nicht nur niedergeschlagen angesichts des Nazi-Grauens, sondern aktiv und verbunden im Jetzt, um einen Abend Erinnerung zu gestalten.

Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda

Rappelvolles Kulturzentrum

Das Interesse war sehr groß. Bestuhlt war für 120 Personen, knapp 200 kamen und lauschten der Begrüßung durch Pfarrer Alfons Forster, Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. „Petra Vorsatz, du bist zu den Wurzeln zurückgekehrt, du hast die Stolpersteine ja von Anfang an begleitet“, begrüßte er die ehemalige Kulturamts-Chefin und ihre Nachfolgerin Sabine Guhl. Für die Stadt Weiden Oberbürgermeister Jens Meyer, für den Landkreis Neustadt/WN die stellvertretende Landrätin Andrea Lang, Ruth Neumann von den Weidener Literaturtagen, Ehemann Michael Ascherl und die Töchter Paula und Emma, Schulen und Lehrkräfte, dazu Bürgermeister Lothar Höher „mit einer Anzahl von Stadträten“ und Vertretern aus Erbendorf, “die bald Stolpersteine verlegen werden”.

So voll war der Raum, dass selbst Fensterbänke zu Sitzgelegenheiten wurden: Blumenschmuck, der im Weg stand, verschwand für gut zwei Stunden an den einzig noch freien Platz: Unter einen Tisch, seinerseits voll gestapelt mit Büchern der Autorin, die später die Fläche leer signierte.

Weitere Termine in Weiden, Pressath und Tirschenreuth

Wer nicht kommen konnte, im vollen Saal ums Eck zuhören oder wieder gehen musste, sei hiermit eingeladen zu den nächsten Gelegenheiten:

  • Am Mittwoch, 30. April, ist das Buch Thema im Erzählcafé des Maria-Seltmann-Hauses in Weiden, Beginn 15 Uhr. Es werden auch Fotos gezeigt.
  • Weitere Lesungen sind in Pressath, 8. Mai, 18.30 Uhr, in der Buchhandlung Eckhard Bodner
  • sowie in Tirschenreuth, 15. Mai, 18.30 Uhr, in der Buchhandlung St. Peter.

Erinnerung an Opfer nationalsozialistischer Gewalt

„Die Zeit der Zeitzeugen geht vorbei und es beginnt die Zeit der Erinnerungskultur“, unterstreicht Moderator Stefan Voit im 80. Jahr nach Kriegsende, genau am 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer. Ziel sei, den Opfern nationalsozialistischer Gewalt ein Gesicht zu geben und eine Stimme.

Das tut Christine Ascherl, und ihre Stimme ist lebendig. Begeistert. Begeisternd. Sie hatte begonnen, die Geschichten der Weidener Jüdinnen und Juden zu erzählen, die Stolperstein-Verlegungen begleitet, die Geschichten der Menschen in ein Buch gegossen und lässt nun die Zeugen der Zeit wie zum Saal sprechen.

Sie zeigt Fotoaufnahmen der Weidenerinnen und Weidener, die teils im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatten, deutsche Vornamen wie Hermann oder Willi trugen, in Vereinen und als Unternehmer, als Schülerinnen und Schüler ganz Teil dieser Stadt waren, in der jeder jeden kennt – und über die doch der Wahnsinn hereinbrach. Damit schuf sie für alle im Raum Anknüpfungspunkte fürs Empfinden: „Jeder von euch wird in diesem Buch jemanden entdecken, in dessen Alter und Erfahrungen, Gedanken er sich besonders gut hineinversetzen kann.“

Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda

Dr. Sebastian Schott, Motor der Stolperstein-Verlegungen in Weiden, erinnert an die ersten Steine, die Künstler Gunter Demnig 2022 verlegte. Der Wunsch kam von Peter Kupfer, Nachfahre der Glasfabrikanten Kupfer, aus den USA. Inzwischen sind es 47. Der Leiter des Stadtarchivs und Stadtmuseums hebt das Engagement der Schulen der Stadt hervor: Sophie-Scholl-Realschule, Pestalozzi-Mittelschule und Kepler-Gymnasium. Im Juli beteiligt sich das Augustinus-Gymnasium.

„Das Päcklein“ wird verfilmt

Ascherl erzählt vom Recherchieren in Archiven (“weltweit wird fleißig digitalisiert”) und von Daniel Heiman. „Des is a vogelwuide G’schicht!“, die mit einem Päckchen begann („man beachte die Hitler-Briefmarken“). 82 Jahre lagerte die Schachtel mit Familiendokumenten in Weiden. Nachfahren des ermordeten Ehepaars Heimann waren nicht zu finden. Über die sozialen Medien gelang 2024 die Kontaktaufnahme zu ihrem Sohn Daniel, die zu einer Reise von Christine Ascherl und Tochter Emma führte („Mama, dein Englisch! Ich komm’ mit!“). Sie übergaben dem 98-Jährigen das Paket im Sommer 2024 in seinem Haus in Hod Hasharon, einem Vorort von Tel Aviv.

Eine Neuigkeit des Abends: „Dass die Geschichte verfilmt werden wird, hat mir gerade Wolfgang Bäumler von Vantage Film erzählt“, freut sich Ascherl sichtlich, dass die Stolpersteine weite Kreise ziehen, auch überregional und in andere Medien. Studenten der Filmakademie Baden-Württembreg planen einen Kurzfilm. Ascherl scherzt die eigene Verlegenheit weg: „Die Schauspielerin, die mich spielen soll, ich muss sagen, die ist schon sehr jung und seeeehr attraktiv …“

Verleger Josef Roidl vom Verlag Battenberg-Bayerland im Gespräch mit der Buchhändlerin Maria Rupprecht am Rande der Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Maria von Stern

Das Grauen spüren, und doch: den Mut

Der Saal lacht. Vielleicht auch erleichtert? Weil die Erinnerung an ein so schwarzes Kapitel der deutschen Geschichte – von den Nazis so penibel dokumentiert und doch so unfassbar – von Christine Ascherl so lebendig vermittelt wird. Weil das Entsetzen und die Betroffenheit, die sich dabei einstellen, nicht in Sprachlosigkeit münden müssen, sondern in Mitfühlen, Mitdenken, Handeln verwandeln können. Und dadurch nicht der Schrecken siegt, sondern die Menschlichkeit, unverzagt und stärker: „In dem Buch finde ich persönlich neben dem Schrecken auch viel Mut“, so Ascherl.

Dass ein 20-Jähriger wie Justin Kohner sagte, „ich kämpf’ dagegen an“ zum Beispiel. Er ging 1933 nach Paris und schloss sich der Résistance an. 1945 kehrte er mit den allierten Streitkräften zurück und ermittelte gegen die Weidener Täter der Reichspogromnacht. Dass die Jüdin Rosa Hoffmann versteckt wurde, sei ein Beispiel für Zivilcourage. „Das Buch soll nicht deprimieren: Positive Energie finde ich da scho aa“, ermutigt Ascherl.

„Wie geht es weiter mit den Stolpersteinen?“, beantwortet Sebastian Schott stellvertretend für die Stadt Weiden, die jüdische Gemeinde und die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit: „2025 wird ein Stein verlegt werden, 2026 weitere neun. Für drei Steine à 120 Euro werden noch Paten gesucht.“

Pfarrer Alfons Forster begrüßte bei der Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda

Gemeinschaftswerk: Dank an alle Unterstützer

Ascherl dankte allen, die an der Entstehung des Buchs und der Organisation des Abends beteiligt waren: Ruth Neumann (Ascherl mit „schauen Sie mal, was Sie hier angerichtet haben“) für die kurzfristige Aufnahme ins (im übrigen fast ausverkaufte) Programm der diesjährigen Weidener Literaturtage. Für sein Wissen und seine Bereitschaft, es zu teilen, dankte Ascherl Dr. Sebastian Schott. Er hat schon Anfang der 1990er für seine Dissertation über die Jüdische Gemeinde Weiden umfassend recherchiert.

Martin Stangl, ehemaliger Buchhändler, hatte den Kontakt zum Battenberg-Bayerland-Verlag hergestellt, dessen Leiter Josef Roidl ihr vertraut und freie Hand gegeben habe. Stefan Voit, der den Abend moderierte, habe sie immer wieder angestoßen, das Buch zu schreiben („Mach des! Mach des! Mach des!“).

Vorstellung des Buchs
Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
Verleger Josef Roidl vom Verlag Battenberg-Bayerland im Gespräch mit der Buchhändlerin Maria Rupprecht am Rande der Vorstellung des Buchs
Verleger Josef Roidl vom Verlag Battenberg-Bayerland im Gespräch mit der Buchhändlerin Maria Rupprecht am Rande der Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Maria von Stern
Peter Kupfer (links im Bild) bei der Verlegung des ersten Stolpersteins in Weiden im Jahr 2022, gezeigt bei der Vorstellung des Buchs
Peter Kupfer (links im Bild) bei der Verlegung des ersten Stolpersteins in Weiden im Jahr 2022, gezeigt bei der Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
Pfarrer Alfons Forster begrüßte bei der Vorstellung des Buchs
Pfarrer Alfons Forster begrüßte bei der Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
Vorstellung des Buchs
Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
Vorstellung des Buchs
Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda.
Vorstellung des Buchs
Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
Vorstellung des Buchs
Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
Vorstellung des Buchs
Vorstellung des Buchs “Jüdische Familien – Schicksale hinter den Stolpersteinen in Weiden” von Christine Ascherl am 09. April 2025 im Kulturzentrum Hans Bauer in Weiden in der Oberpfalz. Foto: Jürgen Herda
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