Vom Aussterben bedroht: Forst und Regierung wollen Kreuzottern retten
Pressath. Jahrhundertelang lebten Kreuzotter in unseren Wäldern. Zuletzt ist ihr Bestand dramatisch zurückgegangen. Ein neues Projekt soll die Oberpfälzer Ureinwohner retten. Regierung und Forst präsentieren erste Ergebnisse.
Donnerstagvormittag. Vertreter von Forst, Regierung, Landratsämtern und Presse treffen sich im Hessenreuther Wald. Gut 20 Personen – plus der Hund von Förster Hans Frisch, der „Anderl“. Die Hauptfigur lässt sich dagegen nicht blicken: Es geht um die Kreuzotter.
Lukas Feichtmeier (Regierung der Oberpfalz) betreut das ambitionierte Artenschutzprojekt. Zentrales Ziel: „Die Kreuzotter benötigt neue Lebensräume.“ Ein Hauptproblem ist die Zerschneidung der Habitate. Straßen sind tödlich. In einer Kartierung sollen die „Hotspots“ des Vorkommens der Kreuzotter ermittelt und ein Biotopverbund hergestellt werden.
Sieben Reviere durchsucht: „klarer Rückgang“
Mit der Kartierung hat die Regierung den Agrar-Biologen Andreas Schmiedinger beauftragt. Er hat über zwei Jahre hinweg sieben Reviere des Forstbetriebs Schnaittenbach untersucht. Seine Bilanz: ein „klarer Rückgang“. Er schätzt – ganz, ganz grob – noch auf 70 Kreuzottern auf 160 Quadratkilometern.
„Es geht nicht nur um die Art. Das ist ein Signal!“, sagt der Diplom-Agrarbiologe. Allein das Aussterben einer Art würde nicht zum Kollaps führen. Er sorgt sich um das große Ganze: Große Veränderungen sähe man am ersten bei kleinen Tieren. „Es zeigt uns, dass sich ein Lebensraum verändert.“
Kernproblem: „Extreme Trockenheit“
Ein Kernproblem ist die Trockenheit. „Das Klima hat sich definitiv geändert. Man sieht es im Wald.“ Gewässer trocknen aus. Mit ihnen verschwinden Insekten. Damit schwindet das Nahrungsangebot für Frösche und Eidechsen – diese wiederum sind Leibspeise von jungen Kreuzottern. „Wann haben Sie zuletzt einen Grasfrosch hüpfen sehen?“
Am Ende sei der Mensch betroffen: Wichtigste Funktion der Wälder – das habe er schon beim Studium der Agrarbiologie gelernt – sei sauberes Trinkwasser.
Ausbau der B299: „eine der größten Bausünden“
Zweiter Punkt: Es gibt zwar Lebensräume, aber sie sind zerschnitten. Die Kreuzotter ist „nicht gut zu Fuß“, wie Experte Schmiedinger sagt. „Sie müssen sich in die Lage eines Kriechtieres versetzen.“ Kreuzottern ziehen vom Sommer- ins Winterquartier – und das zweimal im Jahr. Die Schlange überquere Straßes – gerade bei Kälte – nur sehr langsam. Im Sommer legt sie sich hingegen gern zum Aufwärmen auf den Asphalt. Beides ist tödlich.
Das Negativbeispiel zerschneidet direkt vor Augen den Hessenreuther Wald: die Bundesstraße B299. Rudolf Leitl (Gebietsbetreuer Amberg-Sulzbacher Land) findet scharfe Worte. Er bezeichnet den Ausbau als „eine der größten Bausünden“: „Man hat das alles gewusst. Es wurde komplett vergessen.“ Nicht zum ersten Mal, sagt er. Auch beim Ausbau der B85 im Landkreis Amberg-Sulzbach habe man nicht auf die Wanderkorridore der Tiere geachtet.
Konkrete Maßnahmen
Was tun? Ein paar mehr Querungen wären schon sinnvoll gewesen, sagt Biologe Schmiedinger mit Blick auf die B299. Auch die „grüne Brücke“, die beim Wanderparkplatz über die Bundesstraße führt, müsse dringend begrünt werden: „Sonst wird das nichts.“ Inzwischen stellten hier Truckerfahrer ihre Sattelschlepper für die Nacht ab.
Für den Forst hat Schmiedinger viel Lob: Die Bayerischen Staatsforsten kommen dem Artenschutz sehr entgegen. Wie Forstbetriebsleiter Philipp Bahnmüller berichtet, mulche man nur noch alle drei Jahre – und auch das nur von November bis Februar, wenn die Kreuzotter ihre Winterruhe hält. Entlang der Wege entsteht so Lebensraum für Kreuzottern. Sie finden Verstecke, kleine Wasserlöcher bilden sich. „Kleinstfeuchtbiotope“.
Bahnmüller appelliert an private Waldbesitzer, ihren Maschinenpark nicht gar so ausgiebig zu nutzen. Manche mulchen zweimal im Jahr – weniger wäre mehr. Auch Totholz sollte liegen bleiben: „Jeder Stamm Totholz ist ein Segen.“ Er zeigt einen alten Stumpen, der zuletzt Winterquartier mehrere Kreuzottern war.
„Es gibt junge Leute, die haben noch nie eine Kreuzotter gesehen“
Ziel ist es, die Population auf den 25.000 Hektar des Forstbetriebs Schnaittenbach so groß zu bringen, dass sie über Verbindungen in andere Bereiche gelangt. Das hofft Biologin Dr. Christina Meindl von der Regierung der Oberpflz. Eventuell entsteht sogar eine Spender-Population.
Vielleicht lässt sich am Ende auch vermeiden, was sie die „Shifting Base Line“ nennt, eine Verschiebung des „normalen“ Zustands der Natur. „Es gibt junge Leute, die haben noch nie eine Kreuzotter gesehen.“ Die „jungen Leute“ in der Runde nicken.
Wie Andreas Schmiedinger verrät, lässt sich die Schlange am Donnerstag vielleicht doch noch blicken. Als der Besucher-Tross „ihr“ Revier verlassen hat – die Vertreter der Regierung, der Landratsämter, des Forstes – kommt die Sonne heraus. „Die Kreuzottern werden heute nochmal raus spitzen. Sie wärmen sich und fressen, bevor die Winterruhe beginnt.“
Interessantes über die Kreuzotter:
- Optik: Erwachsene Tiere unterscheiden sich in der Farbgebung, Weibchen sind dezenter. Zu erkennen sind Kreuzottern an individuellen Kopfzeichnungen und Schilden. Es gibt auch schwarze Exemplare, sogenannte Höllenottern. Sie sind in der Regel 30 bis 40 Zentimeter lang, aber auch bis zu 60 Zentimeter.
- Ernährung: Die Kreuzotter ernährt sich in der Jugend anders. Junge Kreuzottern fressen kleine Frösche und kleine Eidechsen. Sie brauchen also Grasfrösche. Erwachsene Tiere (Lebenserwartung bis 18 Jahre) fressen dagegen Mäuse. „Da gibt es kein Problem, davon gibt es genügend“, sagt Experte Andreas Schmiedinger.
- Nachwuchs: Eine Kreuzotter legt keine Eier. Sie bringt lebende Junge zur Welt. Anders als beispielsweise eine Ringelnatter, die ihre Eier zum Ausbrüten an warme Orte – etwa auf Komposthaufen – legt. Kreuzotter-Weibchen hingegen legen sich gern in die Sonne, um ihre Eier auszubrüten. Ende August werden die Eier dann herausgedrängt und platzen sofort. Vor kurzem hat Schmiedinger eine verunfallte Kreuzotter mit sieben bis acht Jungen im Bauch gefunden – jedes 17 Zentimeter.
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