Vortrag: Kindheit war fast immer grausam

Weiden. Im Martin Schalling-Haus referierte Prof. Dr. Franz Staudt am Montag über die Geschichte der Kindheit und der Kinder in der Gesellschaft von der Antike bis zur Gegenwart.

Prof. Dr. Franz Staudt. Foto: Siegfried Bühner

Seit der Antike bis in die allerjüngste Vergangenheit wurden Kinder geschlagen, gequält, getötet oder galten allenfalls nur als billige Arbeitskraft. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird Kindheit in Europa als wichtige Lebensphase anerkannt. Man kann es sich heute in Deutschland kaum mehr vorstellen: Über Jahrtausende hinweg wurde der Wert eines Kindes ausschließlich nach dessen Nutzen für die Eltern beurteilt. Das Kind wurde zur Sache herabgestuft. Kindheit war oftmals grausam und es war nicht selbstverständlich, dass ein Kind überhaupt leben durfte.

Die Rolle des Kindes

Der Vortrag „Kindheit einst und jetzt“ des ehemaligen Chefarztes der Kinderklinik Passau, Professor Dr. Franz Staudt, beleuchtete die Situation von Kindern im Laufe der Menschheitsgeschichte. Eingeladen hatte der Freundeskreis Weiden der Evangelischen Akademie Tutzing. Staudt betonte, dass es gerade einmal ein knappes halbes Jahrhundert her ist, dass sich die Rolle des Kindes in der Gesellschaft, seine Erziehung und Wertschätzung fundamental verändert hat. Eine wichtige Bedeutung hatte dabei die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989.

„Lasset die Kinder zu mir kommen“

Begonnen hat der Vortrag mit der Situation von Kindern in der griechischen und römischen Antike. Platon und Aristoteles hätten Kinder auf eine Stufe mit Tieren gestellt. Mädchen durften getötet oder ausgesetzt werden. Kriegstauglichkeit war das einzige Beurteilungsmerkmal, deshalb gab es harte Überlebenstests und Schläge. Im römischen Recht durfte die Annahme eines Kindes durch den Vater verweigert werden.

Dass im Christentum den Kindern von Jesus hohe Wertschätzung entgegengebracht wurde („lasset die Kinder zu mir kommen“), sei in der gesellschaftlichen Realität wenig umgesetzt worden, betonte Staudt. „Trotz Bibel wurden Kinder zweitausend Jahre lang geprügelt und ermordet“, sagte er.

Nur Kinder aus „vornehmen Familien“ wurden damals geschätzt. Auch das von Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert in seinen Schriften entwickelte „Verständnis für Kinder als besondere Persönlichkeit“ setzte sich in der Gesellschaft kaum durch. Dazu seien später entsprechende Schriften von Kant, Pestalozzi und Montessori gekommen. Doch „in Deutschland wurde geprügelt, als hätte es die alle nicht gegeben“.

Viele Jahre der Verharmlosung

Kinderarbeit, die in der industriellen Revolution besonders gefragt war, wurde erst ab 1890 verboten. Die heutzutage strafrechtlich sanktionierten Begriffe wie „Kindesmisshandlung und – missbrauch, Kinderarbeit und Vernachlässigung“ hätten lange Zeit nicht existiert oder seien verharmlost worden. Eine „Zäsur“ sieht Staudt in der systematischen Tötung von Kindern im Rahmen der NS-Euthanasie, an der auch Ärzte beteiligt waren. Auch der spätere Kindesmissbrauch durch Priester und in Heimen in der Nachkriegszeit sowie bekannt gewordene Fälle im Sportbereich stehen für Staudt auf der Negativliste.

“Das köstlichste Gut eines Volkes“

Bis heute seien Kinderrechte im Grundgesetz noch nicht verankert, kritisierte Staudt. Lediglich in der bayrischen Verfassung seien diese als „das köstlichste Gut eines Volkes“ bezeichnet. Und erst in den Jahren 1998 und 2000 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch zum Schutz von Kindern ergänzt. Wenn jemand heutzutage von einem „Jahrhundert des Kindes“ spricht, müsse dies laut Staudt mit Blick auf die hohe Kinderarmut in unserer Gesellschaft und die fehlende Kindergrundsicherung relativiert werden. Und er verwies darauf, dass durch Corona und Inflation sich die Situation armer Familien, besonders bei Alleinerziehenden, deutlich verschlechtert habe.

Erst nachträglich seien soziale und mentale Probleme als Folge der Lock-down-Maßnahmen erkannt worden. Verbesserungsbedarf sieht der Referent es auch im Bereich der Finanzierung der Kindermedizin. Und er verwies auf die Diskussion über eine eventuelle Schädlichkeit sozialer Medien für Kinder. „Kinder und Eltern sollten digitale Medien gemeinsam betreiben“ wurde empfohlen.

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