Was eine „Remigration“ für unseren Alltag bedeuten würde
Potsdam/Weiden. AfD-Politiker, Neonazis, Mitglieder der Werte-Union und Unternehmer sollen darüber diskutiert haben, Millionen Menschen aus Deutschland zu vertreiben. Welche Folgen hätte dies für unseren Alltag?
Wie das Medienhaus Correctiv aufdeckte, kam im November in einem Hotel bei Potsdam ein illustrer Kreis von AfD-Politiker, Neonazis, Unternehmern und Mitgliedern der Werte-Union zusammen und sprach unter dem Titel „Remigration“ über nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Der Plan löste nicht nur bei den demokratischen Parteien Empörung aus. So demonstrierten seit dem vergangenen Wochenende deutschlandweit mehr als eine Million Menschen in mehreren deutschen Städten gegen die AfD und für die Demokratie.
Was sagt Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft?
AfD-Funktionäre sprechen heute ganz ungeniert darüber, dass sie die „Remigration“ unter dem Motto „Deutschland muss wieder deutscher werden“ in Gang setzen werden, wenn sie erstmal in Regierungsverantwortung stünden. Unterschrieben haben das Pamphlet alle sechs AfD-Landesvorsitzenden aus den neuen Bundesländern, darunter der „gesichert rechtsextremistische“ Björn Höcke.
Wir haben uns bei Politikern Unternehmern und Gewerkschaftern umgehört, was sie zu diesen rechten Umtrieben sagen und welche Folgen eine „Remigration“ für unseren Alltag hätte.
„Schrecklich und menschenverachtend“
Udo Fechtner, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Amberg, bezeichnet „Remigration“ als schrecklich und menschenverachtend. „Man redet hier von Menschen, die in Deutschland seit Jahrzehnten leben und arbeiten, das Land mitgestaltet haben und Steuern und Sozialabgaben zahlen. Für mich sind Menschen, die so etwas vertreten, Faschisten. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“ Ohne die betroffenen Menschen würde Deutschland als Gesellschaft nicht nur materiell ärmer, sondern auch weniger vielfältig. Diese unsägliche Diskussion führe zur Vernichtung von Tausenden Arbeitsplätzen in Deutschland. „Das sollten sich die Wähler der AfD überlegen.“
Stark nur mit ausländischen Fachkräften
Der Gewerkschafter weiter: Die von einer Remigration betroffenen Menschen würden in Industrie, Handwerk, Handel, Gastronomie ebenso bitter vermisst wie bei Bäckern oder Metzgereien. Sie würden auch in unserer Region fehlen und den ohnehin riesigen Arbeitskräftemangel massiv verstärken. „Wirtschaftlich kann Deutschland nur stark bleiben, wenn die Unternehmen Fachkräfte und Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen. Wer ist denn so bescheuert, in einem Land, das über Remigration diskutiert, noch leben und arbeiten zu wollen?“, fragt Fechtner.
„Ängste der Menschen ernst nehmen“
Was ist zu tun? Die Gewerkschaften müssten sich klar positionieren, für welche Werte sie stehen. Demokratie und Meinungsfreiheit, Vielfalt und soziale Gerechtigkeit seien unverhandelbar. Fechtner: „Wir müssen die Ängste der Menschen vor Altersarmut, zu geringem Einkommen, explodierenden Mieten und hoher Inflation ernst nehmen.“ Gewerkschaften müssen die Interessen ihrer Mitglieder offensiv vertreten und auf politische Fehlentwicklungen hinweisen. „Nur so können wir Einfluss darauf nehmen, dass die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland nicht noch weiter zunimmt. Wir haben kein Finanz-, sondern ein Verteilungs- und Steuerproblem,“, schreibt der 1. Bevollmächtigte.
Neben der Tatsache, dass unser Land an Menschenvielfalt und Kulturen ärmer wäre. Was würde das sonst für Deutschland bedeuten?
- 30,1 % der Altenpflegekräfte haben eine Migrationsgeschichte; 15% besitzen eine ausländische Staatsangehörigkeit
- 27,3 % der Ärzte und Ärztinnen haben einen Migrationshintergrund; 14 % von ihnen haben keine deutsche Staatsbürgerschaft
- 21,1 % der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte haben einen Migrationshintergrund; 10 % von ihnen haben eine ausländische Staatsangehörigkeit
- In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl der ausländischen Fachkräfte im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) um 190 % erhöht. 12,7 % der Arbeitnehmer haben keine deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Fachkräfte erwirtschaften für Deutschland jährlich schätzungsweise 16 Milliarden Euro.
- circa 48,6 % aller Fußballspieler der 1.Bundesliga sind Ausländer
Quellen:
https://lnkd.in/dmfDJG4Y
Droht der Kollaps?
Stefan Klumpp, Vorstandsvorsitzender der bayme vbm Region Oberpfalz-Nord und Vorstand der Hamm AG in Tirschenreuth, wird mit Blick auf den Arbeitskräftemangel deutlich: “Die Wirtschaft steht unmittelbar vor einem Kollaps.” Die Zuwanderung könnte ein Lösungsansatz sein. “Wir brauchen sie unbedingt, um unser Gemeinwesen am Laufen zu halten.” Was er aber nicht nachvollziehen kann, ist, dass die Migranten hierzulande nicht arbeiten dürfen und stattdessen fürs Nichtstun alimentiert werden. “Dabei sind die Leute hoch motiviert. Sie wollen ein besseres Leben haben.”
BDI-Präsident warnt vor AfD
BDI-Präsident Siegfried Russwurm sieht in der AfD eine wirtschaftliche Gefahr für Deutschland. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie warnt davor, die AfD zu wählen. Die Partei könne Deutschland großen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Wie wohl kein zweites Land profitiere Deutschland als Exportland von Weltoffenheit, internationaler Zusammenarbeit, Handel und vom europäischen Binnenmarkt, sagte Russwurm. „Dass in diesem Land eine starke politische Partei Raum gewinnt, die all dieses infrage stellt, ist wirtschaftlich gefährlich. Ich will kein Land, in dem es darauf ankommt, wo deine Großeltern geboren sind, ob du in diesem Land willkommen bist oder nicht. Das können wir uns gesellschaftlich nicht leisten, jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen.“
„AfD hat Maske fallen lassen“
Der SPD-Stadtverband Weiden schreibt, es sei gerade Sozialdemokraten immer wichtig, die freiheitlichen Grundrechte zu verteidigen und für eine menschenfreundliche Gesellschaft einzustehen. Christoph Birner, der Weidener SPD-Chef, sagt: „Für uns waren die Enthüllungen von Correctiv nicht wirklich überraschend. Die AfD hat damit ihre Maske fallen lassen. Jeder Protestwähler, der bisher ausgeblendet hat, dass viele Mitglieder der AfD Nazis und Faschisten sind, kann sich spätestens jetzt nicht mehr herausreden, dass er davon nichts wusste und die Augen vor den Umsturzgedanken und den Deportationsfantasien der AfD verschließen.“
Birner: „Unser Land darf nicht von Diskriminierung, Hass, Hetze und Menschenverachtung regiert werden. Antisemitismus und Rassismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Unter keinen Umständen tolerieren wir, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Gesinnung aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden. Wir stehen für eine bunte und vielfältige Gesellschaft in einem Sozialstaat, der von Recht und Ordnung bestimmt ist. Eine Gesellschaft, in der Jeder Platz hat und in der sich Jeder sicher fühlen kann.“
Taten folgen lassen
„Wir rufen alle dazu auf, sich aktiv an unserer Gesellschaft zu beteiligen, an einer starken Gesellschaft, in der sich Menschen engagieren, aufeinander zugehen und für andere einstehen.“ Es sei Aufgabe der Politik, für die Menschen da zu sein und ihnen zuzuhören. „Wir haben eine Warnung erhalten, wie fragil unsere Freiheit ist, dass sie uns weggenommen werden kann und wird, wenn wir untätig bleiben. Solange unser gemeinsamer Konsens Menschlichkeit, gegenseitiger Respekt und Toleranz ist, haben die Rechten und der Rechtsruck keine Chance“, betont Christoph Birner.
Uli Grötsch nicht überrascht
Auch Uli Grötsch, Weidener SPD-Bundestagsabgeordneter und designierter Polizei-Beauftragter des Bundes, ist nach eigener Aussage von dieser Meldung überhaupt nicht überrascht. „Angespornt von den Umfrageergebnissen bereitet sich die AfD zusammen mit Ultra-Rechten auf eine Machtübernahme vor. Dabei wäre schon eine Regierungsbeteiligung, ob im Bund oder in den Ländern, eine Katastrophe für unsere Demokratie.“ Ein AfD-Verbotsverfahren sehe er dennoch skeptisch. „So sehr ich diese Forderung verstehe, so schwierig ist es umzusetzen. Ein Verbotsverfahren muss extrem wasserdicht und die Rechtslage absolut klar sein.“
Das sagt der AfD-Kreisvorsitzende
Zum Thema befragt, antwortete Roland Magerl für den Vorstand des AfD-Kreisverbands Weiden schriftlich. Wir veröffentlichen Auszüge daraus:
„Die AfD steht für eine konsequente, rechtsstaatskonforme Asyl- und Einwanderungspolitik. Das ist weder neu noch geheim, sondern seit 2016 öffentlich zugänglich im Grundsatzprogramm der AfD nachzulesen. Remigration bedeutet für uns nicht, dass gut integrierte, im Idealfall assimilierte Ausländer abgeschoben oder ‚deportiert‘ werden sollen. Der konsequente Vollzug der Asyl- und Einwanderungspolitik verspricht eine bedeutende Reduzierung der Zahl einreisender Asylbewerber, durch echte Grenzkontrollen und der Verhinderung der Einreise von Personen ohne Einreisepapiere oder aus sicheren Drittstaaten. Die zeitlich befristete Aufnahme von echten Flüchtlingen bis zur Beendigung des Fluchtgrunds und die Zuwanderung von dringend benötigten Fachkräften nach kanadischem Vorbild sind feste Bestandteile des AfD-Grundsatzprogramms.
„Kriminalität wird reduziert“
Der konsequente Vollzug der Asyl- und Einwanderungspolitik verspricht eine bedeutende Reduzierung der Zahl einreisender Asylbewerber, durch echte Grenzkontrollen und der Verhinderung der Einreise von Personen ohne Einreisepapiere aus sicheren Drittstaaten. Zugleich setzen wir uns für eine konsequente Abschiebung illegal eingereister Migranten, Straftäter und islamistischer Gefährder ein. Dies wird dazu führen, dass keine neuen Flüchtlingsunterkünfte notwendig sind und bestehende Einrichtungen verkleinert oder aufgelöst werden.
„Sinkende Wohnungspreise“
Ein weiterer positiver Effekt ist die Verringerung des Drucks auf den Wohnungsmarkt. Mit einer sinkenden Zahl an Schutzsuchenden und illegal Eingereisten können wir eine Entspannung erreichen, was wiederum zu sinkenden Wohnungspreisen führen wird.
In der PISA-Studie schneiden deutsche Schüler so schlecht ab wie nie. Zudem ist es nicht von der Hand zu weisen, dass durch die massenhafte Migration unser Bildungssystem leidet. Durch Remigration werden kulturelle und religiöse Konflikte in Schulen reduziert. Das Lerntempo steigt und das für Deutschland dringend notwendige Bildungsniveau wird wieder erhöht. Das betrifft nicht nur unsere Schüler, sondern auch unsere Auszubildenden. Die einzige natürliche Ressource, die Deutschland im internationalen Vergleich bieten kann, ist Bildung.
Auch die Gesundheitsversorgung würde durch Remigration erheblich entlastet. Unser Gesundheitssystem ist auf die Zuwanderung von jährlich einer Großstadt nicht vorbereitet. Pflegeberufe und Assistenzkräfte im Gesundheitswesen leiden unter einem enormen Fachkräftemangel, der sich immer mehr durch längere Wartezeiten, fehlende Hausarztpraxen usw. bemerkbar macht. Zudem könnten die enormen Kosten im Gesundheitswesen gesenkt werden.“
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1 Kommentare
Es wäre hilfreich, wenn man die rechtspopulistischen Sprüche der AfD nicht einfach ohne weitere Einordnung in den Medien wiedergegeben würde. Roland Magerl kann hier behaupten, dass auch die AfD „echte Flüchtlinge“ aufnehmen würde, ohne dass die Leser darauf hingewiesen werden, dass die andere Forderung der AfD, nämlich die „Verhinderung der Einreise von Personen ohne Einreisepapiere oder aus sicheren Drittstaaten“ in der Praxis bedeutet, dass überhaupt kein Flüchtling mehr einreisen kann.