Weihnachtsbrauchtum in der Oberpfalz (1): Die Sache mit der Christbaumgurke

Nordoberpfalz. Gurken am Christbaum? Ja, das muss sein. So sagt es jedenfalls ein Brauch. Doch was steckt dahinter? Eine Spurensuche.

20231216 Brauchtum Gurke Foto: Martin Stangl
Eine Gurke am Christbaum? Das zählt zum kaum bekannten Brauchtum in der Oberpfalz. Foto: Martin Stangl

In Verlegenheit bringt man den Donhauser Gerhard so schnell nicht. Seit 49 Jahren ist er Jahr für Jahr auf dem Weidener Christkindlmarkt vertreten. “Nicht einmal Corona hat mich daran gehindert, meine treuen Christkindlmarktbesucher mit exklusivem Christbaumschmuck zu versorgen.” Auf die provokative Frage “Hast Du denn auch eine Christbaumgurke”, schnellt sein Zeigefinger in die erste Reihe seiner Auslage. Dort liegen sie, die ungewöhnlichsten Schmuckgegenstände für einen Oberpfälzer O-Tannenbaum: die Christbaumgurken.

Eine Gurke am Christbaum?

Tatsächlich spielte sich dieses Gespräch genau so am Christkindlmarkt in Weiden ab. Ungläubig starren zufällig anwesende Käufer auf das Glasgemüse zwischen den Christbaumkugeln und fragen verwundert: “Eine Gurke am Christbaum, echt jetzt?”
Die Passanten sind sich nicht sicher, ob das wirklich ein einheimischer Weihnachtsbrauch oder wieder einmal ein neumodischer Schnickschnack aus Amerika ist. Eine Recherche tut Not.
Tatsächlich ist die “Gurke am Christbaum” in der einschlägigen Brauchtums-Literatur von Wolfgang Bauernfeind, einem bedeutenden Heimatkundler der Region, nicht vorhanden. Der Brauchtumsforscher aus Windischeschenbach hat 1910 das Buch “Aus dem Volksleben – Sitten, Sagen und Gebräuche” verfasst. Also hier herrscht schon mal Fehlanzeige, was die Klärung dieses Brauches betrifft.

Christmas Pickle – Made in Germany

Der “Brockhaus” aus dem Jahr 2006, die letzte gedruckte Bastion gegen das ungesicherte Wissen im Internet, weiß bedauerlicherweise auch nichts über eine (saure) Gurke am Christbaum. Also bleibt nur die Recherche im Internet. Natürlich bietet sich als erster Treffer – wie in Wissensfragen stets vorgeschlagen – Wikipedia an. Doch dem erfahrenen User empfiehlt es sich mehrere Quellen anzuzapfen. Und siehe da, der Brauch ist gut bekannt: “In den USA ist ‘The Christmas Pickle – Made in Germany’ seit Jahren der Weihnachtsrenner”. Doch echt und wie bitte: Ein Brauch aus Deutschland schwappt nach Amerika? Da werden Pink, Britney und Bruce richtig blass.

Das Geheimnis der Gurke

Nach so viel Vorrede ist nun endgültig Zeit, das Geheimnis der Gurke zu lüften. Doch einfach wird es – wie so oft beim Brauchtum – nicht. Die Amerikaner, bei denen der Gurken-Brauch teilweise verbreitet ist, glauben fest daran, dass ‘Good old Germany’ und insbesondere ‘Brave Bavaria’ für die Gurke verantwortlich ist. Nebenbei: Christbaumgurken sind schon seit 1909 in den USA erhältlich.

Angeblich soll ein Ur-Bayer namens Hans Lauer – nach seiner Auswanderung John C. Lower genannt – der Christbaumgurkenerfinder sein. Der Legende nach soll der Kriegsveteran am Heiligabend durch die Barmherzigkeit seines Gefängniswärters vor dem Hungertod gerettet worden sein. Der Aufseher erbarmte sich des Halbverhungerten, schenkte ihm eine Essiggurke und rettete damit dessen Leben. Als Überlebender gedachte er fortan seinem Retter, indem er seinerseits für den Rest seines Lebens eine Gurke neben den traditionellen Kugeln am Christbaum versteckte.

Was bedeutet der Gurken-Brauch hier und heute?

Am oberpfälzischen Christbaum wird oft neben den traditionellen Strohsternen und den Glaskugeln ebenfalls eine (einzige) Weihnachtsgurke aus Glas in den Baum gehängt. Nachdem die tarn-grün ist und möglichst versteckt platziert wird, ist sie schwer zu finden. Vor der Bescherung dürfen sich deshalb die Kinder auf die Suche nach dem Gemüse machen. Der Legende nach soll das Kind, das die Gurke entdeckt hat, im kommenden Jahr besonders viel Glück haben. Und vorab bekommt es am Heiligen Abend ein besonderes, zusätzliches Geschenk.

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