Schobers Rock Kolumne: neue Klänge für den Winter

Nordoberpfalz. Es ging hier schon mal kohärenter zu, aber so bunt wie der Herbstwald ist auch diese Ausgabe ausgefallen. Nicht minder bunt geht es in dieser Ausgabe zu.

Es war während meiner Zeit im Jugendzentrum, in den 90ern, da konnte ich mich an Dream- und Shoegaze-Bands wie Stereolab, Galaxie 500, Mazzy Star, Luna, Spacemen 3 oder Mercury Rev nicht satthören. Was sie vereinte, war das Velvet Underground-Gen in ihren DNA`s und wie man weiß, bin ich ein großer Verehrer dieser Kapelle. John Cale trat darum ja auch beim ersten Zelt-Festival 1998 auf, später folgte Maureen Tucker im JuZ-Saal.

Jonathan Donahue und Grasshopper, die Urmitglieder von Mercury Rev, haben neue Mitstreiter um sich geschart und „Born Horses“ (Bella Union) veröffentlicht. Das neue Album beschäftigt sich mit der Idee des Fliegens („I dreamed we were born horses waiting for wings“), was sich auch in Song-Titeln wie „Bird Of No Address“ und dem pulsierenden Finale des Albums „There Has Always Been A Bird In Me“ manifestiert.

Musikalisch öffnet sich die Band ganz neuen Welten. Donahue sprechsingt fast nur mehr, was die Intensität dieser Musik noch mehr steigert. Eine Jazz-Trompete sorgt für majestätisch- schöne, melancholische Momente, wie man sie vielleicht bei einem Rundgang im nebeligen November in Prag erleben könnte. „Born Horses“ ist ein sehr rares, filigranes, verwunschenes, glitzerndes Psych-Jazz-Folk-Barock-Ambient-Groß-Werk, das in der aktuellen Musiklandschaft seines Gleichen sucht. Der Velvet Underground-Wahnsinn hat einem Prefab Sprout-Feenstaub Platz gemacht -meistens jedenfalls.

Da schwingt auch der Akademiker gerne mal das Tanzbein

Was mir damals auch noch gut gefallen hat, waren diese Acid-Jazz-Kapellen. Galliano, Jamiroquai, The Brand New Heavies oder Working Week waren deren populärste Vertreter. Man mischte elektronische Musik mit Soul, Funk, HipHop, Dub und House und schmeckte das Ganze mit einem ordentlichen Schuss Jazz ab. Das ergab dann -sagen wir mal- „intellektuelle“ Dance Floor Mucke jenseits des Mainstreams. Tot ist dieses Genre mit nichten, wie das Beispiel des Ezra Collective zeigt. Die gewannen 2023 sogar als erster Jazz-Act überhaupt den Mercury Prize und legen mit dem passend betitelten, „Dance, No One’s Watching“ (Partisan Rec) eine Ode an den heiligen und doch lustvollen Akt des Tanzens vor. Aufgenommen wurde in den legendären Abbey Road Studios, als Gäste hat man sich Yazmin Lacey, Olivia Dean und M.anifest & Moonchild Sanelly ans Mikrophon geholt. Let`s Dance!

Totgesagte leben länger

Noch etwas länger ist es her, da verließ Alison Moyet Yazoo um eine recht erfolgreiche Solo-Karriere zu starten. In jeder 80er-Radio-Playlist tauchen seitdem Songs wie „Love Resurrection“ und „All Cried Out“ auf. Die erscheinen jetzt zusammen mit zwei neuen Liedern (geschrieben mit Sean McGhee und dem Suede-Gitarristen Richard Oakes) auch auf „Key“. Die Moyet liefert aber damit nicht einfach eine Werkschau ihres Schaffens ab, sondernd hat den meisten dieser Evergreens ein zeitgemäßeres Gewand geschneidert. Die beiden Hits klingen so z.B. etwas entschlackter und weniger pomadig und pathosgeladen. Man will an das Geld der Fans, so gibt es eine große Auswahl an physischen Formaten, die exklusiv bei Amazon, HMV und ausgewählte Indie-Stories erhältlich sind. Im offiziellen Shop gibt es Bundles mit marmorfarbenem Vinyl, CD und Kassette – alle Bundles enthalten einen von Alison signierten Druck. Das ist natürlich schon was.

Wütendes Gepolter aus Down Under

Wem jetzt vor lauter Wohlklang und Harmonie-Seligkeit nach etwas Abwechslung dürstet, kann sich an dem australischen Duo von Party Dozen laben. Saxophonistin Kirsty Tickle und Perkussionist Jonathan Boulet machen ihrem Namen nämlich nicht alle Ehre, sondernd prügeln sich auf „Crime In Australia“ (Cargo) durch 10 Avantgarde-Punk-Noise-Rock-Nummern, dass einem der Schädel schwirrt. Das leicht angefunkte, mit Wucht-Bass vorgetragene „Les Crimes“ macht davon Pause und erinnert ein wenig an Bill Laswells Musikprojekt Material.

Und auch „The Big Man Upstairs“ nimmt sich in seiner Brachialiät etwas zurück, das Saxophon klingt fast lyrisch und evoziert Vergleiche mit Landsmann Ed Kuepper. Den Leuten -zumindest in Down Under- gefällts, die Band wurde schon für diverse Preise vorgeschlagen und auch ihr Konzert in Hamburg im November ist bereits ausverkauft.

Entspanntes aus den USA

Okay, wahrscheinlich bin ich einfach schon etwas zu alt für derlei geballte Kraftmeierei, mich hatten ja einst Sex Pistols & Co. schon nicht mehr vom Sockel gehauen. Im Rentenalter hört es sich im Umfeld von Roots-Rock, Blues und Americana einfach einfacher. Da kommt so ein Kollege wie Luke Winslow-King genau richtig! Der ist mit seinen 41 Jahren zwar auch noch ein rechter Jungspund, fühlt sich aber den Altvorderen des US-Rock verpflichtet ohne allzu traditionell zu klingen. Nachdem er schon mit und für Jack White oder Taj Mahal gearbeitet hat, legt der studierte Jazz-Gitarrist mit „Flash-A-Magic“ (Bertus) bereits sein neuntes Album vor.

Die Blue Notes scheinen dem Mann weitaus besser zu gefallen als ausgefuchstes Jazz-Gefrickel und so klingen diese Songs immer sehr nahbar, warm und weich im Sound, mit ausgeprägter Orgel- und Klavierunterstützung. Lediglich die „Black Eyed Gypsy“ verlässt das solide Blues-Bett und plündert ein wenig im Reggae-Calypso-Sound. Ein sonniges Vergnügen.

Exotische Töne aus Deutschen Landen

Ein eher obskures Vergnügen sind “The Tape Masters Vol. 1 – Library Music” (Mocambo Music) eines bereits verstorbenen deutschen Music Maniacs. Die Rede ist von Peter Thomas und seinem Sound Orchester. Von wem, werden jetzt die Meisten fragen, kennen tut seine Musik fast jeder, der zumindest die Fünfzig erreicht hat, ist der Mann doch DER deutsche Soundtrack-Komponist. Raumschiff Orion, Der Kommissar, die Kriminalfilme von Jerry Cotton und Edgar Wallace, Derrick, Der Alte, über 600 Filme und Episoden hat der Maestro vertont. Die Gazette, The Independent merkte dazu einst an: “While America had the smooth jazz of Henry Mancini, Italy the lush atmospheric of Ennio Morricone, England the bold brass of John Barry, and France the moog experimentation of Jean Jacques Perry, Germany had all these rolled into one – Peter Thomas.”

Auf zwei Platten gilt es jetzt allerdings nicht eine Art Best Of zu entdecken, die Scheiben fangen vielmehr zwei Dutzend Kuriositäten des Soundtüftlers von fetzigem Big-Band-Funk, Space-Jazz, krautigen Synthie-Experimenten bis hin zu Proto-Hiphop, kosmischen Schlagern, schwerem Easy-Listening, gefühlvollen Soundtrack-Stimmungen und absurd verträumten LSD-Balladen ein. Schrill und aufregend!

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