Nach dem Amoklauf an der Prager Karls-Universität: Professor und Kollegen „in Ordnung“

Prag. Erleichterung nach dem Schrecken: Professor Jiří Pokorný, Dekan an der Philosophischen Fakultät der Karls-Uni, gibt auf Nachfrage Entwarnung: „Was unsere Fakultät und unsere Freunde an der Philosophischen Fakultät anbelangt, sind wir in Ordnung – vielen Dank für Ihre Worte.“

Ein Polizist am Donnerstagabend vor dem Absperrband, das das Gelände der betroffenen Fakultät der Prager Karlsuni großräumig absperrt.

Als ob ein Amoklauf nicht schon schlimm genug wäre: Dieser Anschlag kurz vor Weihnachten an der Prager Karls-Universität, an der ich für meine Promotion eingeschrieben bin, geht mir auch persönlich nahe – aus Sorge um meine Professoren und Kollegen.

Große Erleichterung deshalb, als mein Dekan, Professor Jiří Pokorný, donnerstagnachts auf Nachfrage Entwarnung gibt: „Was unsere Fakultät und unsere Freunde an der Philosophischen Fakultät anbelangt, sind wir in Ordnung – vielen Dank für Ihre Worte.“

Rektorin Králíčková: „Unser tief empfundenes Beileid aus“

Nach und nach treffen weitere Nachrichten der Universitätsleitung ein: „Im Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen, die sich am 21. Dezember 2023 an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität ereigneten, bei denen Menschen ums Leben kamen und viele Menschen schwer verletzt wurden, drücken wir gemeinsam mit der Leitung der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität unser tief empfundenes Beileid aus.“

Das schreiben die Universitätsrektorin Milena Králíčková und Dekanin Eva Lehečková in einer gemeinsamen Botschaft. „Unsere Gedanken sind bei allen Hinterbliebenen, die geliebte Menschen verloren haben und gleichermaßen bei denen, die jetzt im Krankenhaus ums Überleben kämpfen, und bei ihren Familien.“

Universitätsrektorin Milena Králíčková, Foto: Univerzita Karlova

„Als ob das Leben stehen geblieben ist“

Schon zuvor hatte sich Dekanatsbeirat Professor Michal Nedělka mit einer zweiten Mail korrigiert und Seminare für den heutigen Freitag abgesagt: „Ich melde mich heute zum zweiten Mal bei Ihnen. Die heutigen Ereignisse führten zunächst zur pauschalen Absage des morgigen Unterrichts.“ Eine solche Maßnahme könne allerdings bei einigen zu einem Gefühl der Lähmung, führen, „als ob das Leben stehen geblieben ist. Und für manche ist es trotz der Tragödie notwendig … gewohnte Aktivitäten in einer Gemeinschaft zu teilen.“

Allerdings hätten Entscheidungen, die eine Fakultät beträfen, oft auch Auswirkungen auf andere: „In Abstimmung … wird die Lehre daher auch an unserer Fakultät nicht stattfinden.“ Noch gestern hätte man sich kaum vorstellen können, dass an einer der eigenen Fakultäten etwas passieren könne, worüber man sonst nur in den Nachrichten aus entfernten Orten lese. „Umso mehr ist der heutige Tag für uns ein Schock, und wir verspüren das Bedürfnis, den Opfern persönlich oder postum unser Mitgefühl auszudrücken. Aber wir fühlen uns auch hilflos.“

Nedělka: „Wir leben nicht nur für uns selbst“

Heute könne man nur versuchen, diejenigen zu trösten und unterstützen, die vom Verlust eines geliebten Menschen betroffen sind oder unter dem traumatischen Erlebnis leiden. „Für die Zukunft müssen wir aber auch darüber nachdenken, was wir tun können, damit wir uns auf dem Campus und darüber hinaus sicher fühlen“, fährt Nedělka fort. An der Fakultät für Bildungswissenschaften befasse man sich mit Bildung und Ausbildung: „Wir sind immer noch davon überzeugt, dass dies die wirksamsten und nachhaltigsten Instrumente sind“, Menschen davon zu überzeugen, „dass wir nicht nur für uns selbst, sondern für andere leben“.

Nedělka führt eine lange Liste mit Kontaktadressen auf, wohin sich traumatisierte Personen wenden können. „Zögern Sie nicht, diese bei Bedarf nach diesem Ereignis zu kontaktieren, wenn Sie Ihre Erlebnisse mitteilen möchten, bei psychischen Problemen wie Schock, Angstzuständen oder Schlaflosigkeit.“

Prager Bürger zünden am Freitag nach dem Amoklauf eine Kerze vor dem Universitätsgebäude an. Foto: Böhmer

Bisherige Bilanz des Amoklaufs

David K., der 24-jährige Amokläufer, absolvierte an der Prager Karls-Universität nach seinem Bachelor-Abschluss in Geschichte und Europastudien einen Master mit Schwerpunkt auf der Geschichte Polens. Die Polizei kennt außerdem bereits die Identität aller Todesopfer der Schießerei vom Donnerstag im Gebäude der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität im Zentrum Prags.

Der tschechische Innenminister Vít Rakušan (Bürgermeisterpartei Stan) sagte im Tschechischen Fernsehen am Freitagvormittag, dass die Zahl der Opfer bei 13 liege. Der 14. Tote sei der Schütze selbst. Es sei kein Ausländer unter den Opfern, fügte er hinzu. Insgesamt wurden 25 Menschen verletzt. Zwei der Verletzten stammen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, einer aus den Niederlanden. Im Gegensatz zu anderen Amoktaten tötete der Täter seine Opfer auch aus großer Distanz – aus bis zu 400 Metern, was nahelegt, dass David K. ein geübter Schütze gewesen sein muss.

Szenen wie aus einem US. Thriller: David K. feuert mit einem Sturmgewehr vom Dach des Universitätsgebäudes. Screenshot eines Amateurvideos

Staatstrauer und Gedenk-Gottesdienst im Veitsdom

Die Polizei habe landesweit Vorsichtsmaßnahmen für Schulen, Krankenhäuser und andere so genannte weiche Ziele ergriffen, besitze aber keine Informationen über eine andere spezifische Bedrohung, heißt es auf der Plattform X. Die Maßnahmen würden mindestens bis zum 1. Januar aufrechterhalten. Am Samstag, 11 Uhr, wird ein Gottesdienst für die Opfer der Tragödie im Veitsdom auf der Prager Burg stattfinden. Erzbischof Jan Graubner zelebriert die Messe.

In der Tschechischen Republik wurde für Samstag, 23. Dezember, eine eintägige Staatstrauer ausgerufen, um der Opfer der Schießerei zu gedenken. Das hat die Regierung auf ihrer Krisensitzung am späten Donnerstagabend beschlossen. Premier Petr Fiala rief die Bürger auf, an diesem Staatstrauertag eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer der Tragödie einzulegen.

Szenen wie aus einem US. Thriller: Studenten und Lehrpersonal verstecken sich am Dach des Universitätsgebäudes. Screenshot eines Amateurvideos

Zuvor Doppelmord an Vater mit Säugling?

Wie der tschechische Polizeipräsident Martin Vondrášek bereits am Donnerstag mitteilte, soll der Angreifer über ein „riesiges Waffen- und Munitionsarsenal“ verfügt haben. Das schnelle Eingreifen der Polizei habe ein noch größeres Blutbad verhindert. Schon vor dem Amoklauf sei die Polizei auf den 24-jährigen David K. aufmerksam geworden. Die Suche nach dem Studenten habe begonnen, nachdem dessen Vater tot im Wohnort des Täters, Hostouň u Prahy, gefunden wurde. Der Schütze habe sich auf den Weg in die Hauptstadt gemacht und gesagt, er wolle sich selbst töten.

Außerdem geht die Polizei inzwischen davon aus, dass der Bewaffnete am 15. Dezember auch einen jungen Mann und seine zwei Monate alte Tochter bei einem Spaziergang in einem Wald im Osten von Prag getötet haben könnte. Laut Vondrášek habe sich der Täter möglicherweise von einem „ähnlichen Fall“ in diesem Herbst in Russland inspirieren lassen. In einem Blog auf seinem Telgram-Kanal hatte der Student die Taten einer 14-Jährigen beschrieben. Sie hatte Anfang Dezember im russischen Brjanks eine Mitschülerin und sich selbst mit einem Jagdgewehr erschossen. Auch einen Amoklauf aus dem Jahr 2021, bei dem neun Menschen starben, erwähnt er dort.

Jakob Weizman postet ein Foto mit der verbarrikadierten Tür, hinter der er sich vor dem Amokläufer verborgen hält. Foto: Weizman

Täter nennt Motive auf Telegram

Bereits kurz nach der Tat teilte die Polizei auf dem Kurznachrichtendienst X mit, dass der Schütze „eliminiert“ worden sei. Später gab ein Sprecher bekannt, der Student habe Suizid begangen. Demnach habe er sich auf dem Dach des Gebäudes selbst getötet, nachdem er gesehen habe, wie „die Polizei ihn aus allen Richtungen“ umzingelte. Was treibt einen jungen Mann dazu, 14 Menschen regelrecht hinzurichten? Erste Hinweise liefert ein russischsprachiger Kanal auf dem Messaging-Dienst Telegram, den David K. am 9. Dezember eröffnet haben soll.

In einer Nachricht bezeichnet er diesen als sein „Tagebuch, in dem ich über mein Leben vor der Tat berichten werde“. Den Kanal wolle er aber erst kurz vor dem Anschlag öffnen. Mittlerweile seien einige Nachrichten gelöscht worden. Die längste Telegram-Nachricht ist allerdings noch einsehbar. David K. begründet seine mörderische Wut damit, in seinem Leben immer nur „von allen gehasst“ worden zu sein. „Das ist mir scheißegal, weil es auf Gegenseitigkeit beruht.“ In diese Stimmungslage steigerte er sich offensichtlich immer stärker hinein: „Ich hasse die Welt und möchte so viel Schaden anrichten wie möglich.“ Er gesteht eine regelrechte Mordlust: „Ich wollte immer töten.“

Polizei-Großeinsatz bei Amoklage an der Karls-Universität in Prag. Foto: Böhmer

Liberales tschechisches Waffengesetz

Für seine Tat hatte er laut Tageszeitung „Lidové noviny“ ein Sturmgewehr vom Typ AR-15 benutzt. David K. habe das Gewehr legal besessen, erklärte Ondřej Moravčík, Sprecher der Polizei in Prag, in einer Pressekonferenz am Donnerstagabend. „Er hatte viele Waffen – insbesondere solche, die auch mehrere Armeen benutzen.“ Für alle Waffen habe er eine Erlaubnis besessen. Das liberale Waffengesetz in Tschechien sieht seit 2021 „das Recht, sein Leben oder das Leben eines anderen Menschen mit der Waffe zu verteidigen“ vor.

Um einen Waffenschein zu bekommen, muss man sich von einem Arzt die persönliche Eignung zum Führen einer Waffe bescheinigen lassen und bei der ausstellenden Behörde beweisen, dass man nicht wegen unerlaubten Waffenbesitzes vorbestraft ist. Außerdem wird mit einem Test geprüft, ob der Antragssteller übermäßig viel Alkohol oder sonstige Drogen konsumiert. Besteht man alle drei Teile dieser Eignungsprüfung, bekommt man einen Waffenschein und kann Waffen und Zubehör in entsprechenden Läden kaufen.

Blick durch das Tor der Prager Karlsbrücke auf den Jan-Palach-Platz. Foto: Jürgen Herda

Russische Amokläufer als Inspiration

Als Inspiration nennt David K. in der längsten Nachricht auf seinem Telegram-Kanal eine junge Frau namens Alina Afanaskina. Die 14-jährige Russin hatte bei einem Amoklauf in der russischen Stadt Brjansk am 7. Dezember zwei Mitschülerinnen in ihrer Schule erschossen und fünf weitere verletzt. Nach ihrer Tat tötete sich Afanaskina schließlich selbst.

In der gleichen Nachricht erwähnt David K. Ilnaz G., einen weiteren russischen Amokläufer. G. hatte am 11. Mai 2021 an einem Gymnasium in der russischen Großstadt Kasan neun Menschen getötet und 23 weitere verletzt. Anders als Afanaskina und wohl auch David K. blieb Ilnaz G. nach seiner Tat am Leben. Vor Gericht bekannte er sich schuldig und wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt.

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