Amoklauf an der Prager Karls-Universität: Student tötet Vater und anschließend 13 weitere Menschen

Prag. Folgenschwerstes Gewaltverbrechen in der Geschichte der Tschechischen Republik: Mindestens 15 Menschen sterben beim Amoklauf an der Prager Karls-Universität. Schlimm genug. Wenn man selbst dort eingeschrieben ist, geht einem das besonders nah.

Polizei-Großeinsatz bei Amoklage an der Karls-Universität in Prag. Foto: Böhmer

„Mehr als 15 Menschen haben ihr Leben verloren und mindestens 24 wurden verletzt“, sagt der tschechische Polizeipräsident Martin Vondrášek am Abend vor Journalisten. Auch der mutmaßliche Schütze, ein Student sei tot. Der junge Mann habe vermutlich bereits mittags seinen Vater in seinem Heimatort Hostouň u Prahy, rund sieben Kilometer westlich der Hauptstadt, getötet.

Da der Polizei bekannt gewesen sei, dass der Student am Nachmittag eine Vorlesung an der Karls-Universität besuchen sollte, habe sie das betreffende Gebäude in der Celetná-Straße frühzeitig geräumt, sagte Vondrášek. Ob er den Amoklauf geplant hatte, sei unklar, jedenfalls habe die Schießerei dann in dem Nebengebäude der Philosophischen Fakultät stattgefunden.

Die Universitätsleitung forderte die Mitarbeiter in einer E-Mail auf, an Ort und Stelle zu bleiben und die Türen zu verschließen. Studenten und Mitarbeiter der Universität teilten in den sozialen Medien mit, dass sie sich in Hörsälen und Büros verbarrikadiert hätten. Auf Fotos war zu sehen, wie Studenten das Gebäude mit erhobenen Armen verlassen.

Fakultät Nähe der Karlsbrücke

Die 1348 gegründete Karls-Universität als eine der ältesten europäischen Universitäten ist natürlich keine moderne Campus-Uni. Die Fakultäten verteilen sich auf die ganze tschechische Hauptstadt. Der Jan-Palach-Platz befindet sich nur wenige hundert Meter von der berühmten Karlsbrücke entfernt, dem Wahrzeichen der Stadt. Von rund 49.500 Studierenden sind etwa 8000 an der Philosophischen Fakultät eingeschrieben, wo man Fächer wie Germanistik, Slawistik oder Geschichte studiert.

Die Polizei hatte sowohl den Jan-Palach-Platz in der Altstadt abgeriegelt als auch die Philosophische Fakultät, wo die Schüsse fielen, geräumt. Die Beamten durchsuchten Gebäude und Platz auch nach Sprengsätzen. Nach einem Bericht des Fernsehsenders Nova soll sich der Schütze zuletzt auf dem Dach des Fakultätsgebäudes aufgehalten haben. Auch eine Explosion sei zu hören gewesen. Innenminister Vít Rakušan gab anschließend Entwarnung: Weitere Angreifer seien nicht am Tatort, es bestehe keine weitere unmittelbare Gefahr.

Blick durch das Tor der Prager Karlsbrücke auf den Jan-Palach-Platz. Foto: Jürgen Herda

Solidaritätsbotschaften aus Deutschland

Der tschechische Präsident Petr Pavel sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Er dankte den Bürgern beim Kurznachrichtendienst X am Donnerstag dafür, dass sie den Anweisungen der Sicherheitskräfte gefolgt seien. Wie das Büro des Staatsoberhaupts mitteilte, bricht Pavel seinen derzeitigen Frankreich-Besuch ab und kehrt vorzeitig nach Tschechien zurück.

„Der Anschlag mitten in Prag trifft Europa im Herzen“, erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ebenfalls auf X. „Wir sind in Trauer.“  EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schloss sich an: „Ich bin schockiert über die sinnlose Gewalt, die heute mehrere Menschenleben in Prag gefordert hat.“ Von „erschütternden Nachrichten“ berichtete Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Tschechiens Präsident Petr Pavel sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Foto: Böhmer

Amokläufe in Tschechien

Dezember 2019: In der tschechischen Stadt Mährisch-Ostrau (Ostrava) hat ein Amokschütze in einem Krankenhaus sechs Personen getötet sowie zwei schwer und eine leicht verletzt. Der Täter floh und wurde wenige Stunden später tödlich verletzt aufgefunden. Offenbar hatte er die Pistole, mit der er zuvor um sich geschossen hatte, gegen sich selbst gerichtet.

Februar 2015: Bei dem Amoklauf von Uherský Brod erschoss der 63-jährige Zdeněk Kovář am 24. Februar 2015 acht Menschen und sich selbst. Der Schütze drang gegen 12:30 Uhr in die Gaststätte Družba im tschechischen Ort Uherský Brod ein und schoss sofort mit zwei Waffen (einer Brünner M 75 und einem Alfa 820-Revolver) um sich. Zum Zeitpunkt des Überfalls sollen sich etwa 20 Menschen in dem Restaurant aufgehalten haben – zwei weitere Gaststätten verwarf der Schütze zuvor, vermutlich waren sie nicht gut genug besetzt. Kovář habe bis zu 25 Schüsse abgegeben und tötete eine 43-jährige Frau und sieben Männer im Alter zwischen 27 und 66 Jahren.

Juli 1973: Die 23-jährige Olga Hepnarová, Tochter eines Bankangestellten und einer Zahnärztin, fuhr mit einem Lkw an der Straßenbahnhaltestelle Strossmayerovo náměstí in eine Gruppe von etwa 25 Menschen. Drei starben sofort, drei weitere später am selben Tag und zwei innerhalb weniger Tage (alle im Alter zwischen 60 und 79). Sechs wurden schwer verletzt, sechs leicht. Sie war die letzte Frau, die 1975 in der Tschechoslowakei hingerichtet wurde, und zugleich eine der letzten, die beim Hängen den kurzen Fall ertragen musste. Vor der Tat schickte sie einen Brief an zwei Zeitungen (Svobodné Slovo und Mladý Svět), in dem sie versuchte, ihr Handeln als Rache „für all den Hass gegen ihre Familie und die Welt“ zu erklären. Die Briefe kamen erst zwei Tage nach dem Anschlag an.

Hepnarová hatte auch mit dem Gedanken gespielt, einen Zug entgleisen zu lassen oder eine Explosion herbeizuführen. In ihren Briefen schreibt sie: „Ich bin eine Einzelgängerin. Ein zerstörter Mensch. Ein von den Menschen zerstörter Mensch […] Ich habe die Wahl – mich zu töten oder andere zu töten. Ich wähle – die Rache an denen, die mich hassen. Es wäre zu einfach, diese Welt als unbekannte Selbstmörderin zu verlassen. Die Gesellschaft ist zu gleichgültig, zu Recht. Mein Urteil ist: Ich, Olga Hepnarová, das Opfer eurer Bestialität, verurteile sie zum Tode.“

* Diese Felder sind erforderlich.