Anleitung zur Freimaurerei (3): Aufklärung kollidiert mit katholischen Dogmen

Hahnbach/Weiden. „Freimaurer sind keine zügellosen Libertins und keine Gottesleugner“, erklärt Meister Johannes Witte von der Loge „Septem Fontes“ im „Orient Sulzbach-Rosenberg“. Es gibt gläubige Katholiken unter ihnen. Dennoch werden sie von der Amtskirche ausgegrenzt.

Der Totenkopf ist wie in der gesamten abendländischen Kunst auch bei den Freimaurern ein Symbol für die Vergänglichkeit und die stete Mahnung, seine Lebenszeit weise einzuteilen. Foto: Berliner Loge – Freimaurer Johannisloge Zum Todtenkopf und Phönix Berlin

Gegen Verschwörungstheorien, die im ungefilterten World Wide Web fröhliche Urständ feiern, hilft bislang nicht einmal die Künstliche Intelligenz. Nein, die Freimaurer streben keineswegs zusammen mit den Illuminaten, Bill Gates und den Echsenmenschen die geheime Weltherrschaft an.

Im Gegenteil: Parteipolitische Ränkespiele sind von der Tagesordnung genauso ausgeschlossen wie ein Kulturkampf der Religionen. Das verbietet sich aufgrund des eigenen Toleranzedikts. Was nicht heißt, dass die Männer der Loge „Septem Fontes“ im „Orient Sulzbach-Rosenberg“unpolitische Nihilisten wären.

Für eine offene Gesellschaft

„Wir sind sehr politisch“, betont Ludwig von Stern (62), Mitbegründer der Loge und Kanzler der OTH Amberg-Weiden. „Wir können uns über Politik unterhalten, solange es nicht in ein Streitgespräch mündet – dann muss man aufhören.“ Politik im Sinne des Informationsaustausches sei völlig legitim, verdeutlicht Johannes Witte (68). „Etwa wenn ich über den Islam in seiner Vielfalt informiere oder wo das moderne Judentum steht.“ Er würde einen Freimaurer als Homo politicus, als politischen Menschen bezeichnen.

Ein Begriff, der auf Aristoteles‘ „Zoon politikon“ zurückgeht: Der Mensch als ein gesellschaftliches Wesen, das seine Handlungsfähigkeit nur in Interaktion mit anderen in einer ihnen gemeinsamen Welt erproben und erweitern kann. „Vor allem sind wir politische Menschen, wenn es darum geht, für eine offene Gesellschaft zu kämpfen.“ Es gebe auch politisch aktive Freimaurer: „Aber die tragen ihre Parteipolitik nicht in die Loge“, sagt von Stern. „Bei der aufgeheizten Atmosphäre ist es ansonsten leicht möglich, einen Bruder zu verletzen.“

Freimaurer-Meister Ludwig von Stern (links) und Johannes Witte im Gespräch. Foto: Jürgen Herda

Auch Atheisten werden akzeptiert

Wenn etwa jemand schlecht über Mahatma Ghandi spreche, würde das den OTH-Kanzler treffen. „Das sind Themen, die man in Ruhe lässt“, postuliert von Stern. „Es geht uns um Höheres, der Respekt vor meinen Brüdern.“ Schließlich sei man sich der Fehlbarkeit und Unvollkommenheit jedes Einzelnen sehr bewusst. Rechthaberei, die leicht einsetze, wo hitzige Debatten entstünden, sei deshalb fehl am Platz.

Gretchenfrage: Ein überkonfessioneller Brüderbund, bei dem die Bibel am Altar aufliegt – schließt der auch Agnostiker und Atheisten mit ein? „Wenn jemand, wenn er viel in sich hineingehört hat, an keinen Gott glauben kann, wird das respektiert“, stellt von Stern fest. Witte assistiert: „Wenn ein Atheist einen tiefen Glauben an die Mitmenschlichkeit hat, ist er kein dummer Gottesleugner.“ Dagegen verwehre man sich: „Freimaurer sind keine zügellosen Libertins und keine Gottesleugner.“

Das allsehende Auge im goldenen Dreieck und Strahlenkranz symbolisiert den großen Baumeister aller Welten, in den jeder Freimaurer seine Religion hineininterpretieren kann. Foto: Freimaurerloge „Absalom zu den drei Nesseln“ zu Hamburg

Die Wahrheit der Dogmatiker

„Deshalb ist es für mich so enttäuschend“, erklärt von Stern, „dass die Kirche an der Unvereinbarkeit von katholischem Glauben und Freimaurerei festhält – es gibt viele aufrichtige Katholiken, die aufrichtige Freimaurer sind.“ Mit Verkündigungen darüber, was er zu glauben habe, habe Witte ohnehin seine Probleme. „Aber das zu bedauern, habe ich aufgegeben.“ Er habe genug zu tun mit dem, was er selbst falsch gemacht habe. „Wir sind fehlbar“, räumt von Stern unumwunden für die Freimaurerei ein.

Leider hat die katholische Kirche das Talent auch Menschen zu bekämpfen, die sich besonders ernsthaft und leidenschaftlich mit Glaubensfragen auseinandersetzen. Oder wie es Gerhard Ludwig Müller zu seiner Zeit als Bischof von Regensburg einmal im Redaktionsgespräch ausgedrückt hat: „Mir sind drei Katholiken, die den wahren Glauben haben, lieber, als Millionen mit einem lauen Glauben.“ Was wahr ist, verkünden die Dogmatiker.

„Moralische Richtschnur auch ohne Religion“

„Über Jahrhunderte konnten sich Menschen Moralität ohne Religion nicht vorstellen“, erklärt Witte. Dabei hätten Philosophen von der Antike über das Mittelalter, von Erasmus von Rotterdam, über Spinoza und Kant bis Feuerbach darüber nachgedacht, wie sie ihre Erkenntnisse in moralische Normen überführen können. „Man braucht keine Religion, um eine moralische Richtschnur zu finden.“ Noch heute wolle die Kirche nicht akzeptieren, dass sich eine nicht religiöse Gemeinschaft zu einer tiefen moralischen Instanz entwickeln kann. „Sie laden ihre Probleme bei uns ab.“

„Deshalb ist es auch so erschütternd“, hakt von Stern ein, „dass man uns vorwirft, wir seien beliebig.“ Man sei keine Glaubensvereinigung, schließt Witte das Kapitel. „Die Mitgliedschaft endet in dieser Welt.“ Muss man sich dann überhaupt noch an einer katholischen Kirchenelite abarbeiten, die selbst unter dramatischem Vertrauensverlust leidet? „Es mag sein, dass das zu den letzten Zuckungen gehört“, überlegt der Kanzler. „Sie steht in einer Tradition, die zuletzt Ratzinger vertreten hat, und sie ist Schwankungen unterworfen.“

„Anerkennung der Redlichkeit“

Diese Haltung sei eine Desavouierung der vielen katholischen Brüder, die aufrichtig glauben: „Man tut so, als ob die keinen Gott kennen“, ärgert sich von Stern. Witte weist darauf hin, dass es auch andere Stimmen in der katholischen Kirche gegeben habe: „Nach dem zweiten Vatikanum hat der belgische Jesuit Michel Dierickx das Buch ,Freimaurerei – Die große Unbekannte‘ einen Text voller Hochachtung und Anerkennung der Redlichkeit der Freimaurer verfasst – eines der besten Bücher von Außenstehenden.“ Diese Formulierung gefällt dem Kanzler: „Anerkennung der Redlichkeit, das ist genau das, was wir beanspruchen können.“

Welche Themen beschäftigen die Freimaurer ansonsten? „In Passau haben wir uns an Semesterthemen orientiert“, sagt von Stern. „Etwa ein Semester über Armut und soziale Fragen, ein Semester über den Clash of Culture, der lange vor der Islamismus-Debatte heiß diskutiert wurde.“ Man könne sich an solchen Themenplänen orientieren, aber es gebe auch Zusammenkünfte, bei denen jemand darüber spreche, was ihn aktuell besonders bewegt: „Als Aiwanger mit seinem unappetitlichen antisemitischen Flugblatt in der Zeitung war, war es mir ein Bedürfnis, über den Holocaust zu sprechen“, erklärt von Stern.

Die Gemeinschaft der Ungleichen

„Alle Themen sind unter der Begrifflichkeit der Freimaurer zu betrachten“, ergänzt Witte, „den Werten der Aufklärung und Vorurteilslosigkeit.“ Der Apotheker formuliert die Themensetzung in der Sprache der Freimaurer: „Wenn wir uns in vertraulicher Runde austauschen, diskutieren wir auf dem Bauplatz der Ideen.“ Man lebe eben aus der Symbolik der Bauhütten: „Manchmal kann ich mit den Bausteinen etwas anfangen, manchmal erst später, manchmal nie.“ Es sei aber allemal sehr fruchtbar, einen Gegenstand aus einer anderen Perspektive zu betrachten. „Wir sind eine Gemeinschaft der Ungleichen, dadurch gibt es immer wieder überraschende Impulse.“

Etwa aus Sicht eines Unverbildeten: „Wir haben Brüder mit und ohne höheren Bildungsabschluss – bitte nicht despektierlich verstehen“, bittet Witte, „viele haben so einen klaren Mutterwitz, dass die Zeichnungen ein Genuss sind.“ Handwerker gehen natürlich anders ran, als ein promovierter Jurist oder Naturwissenschaftler. Wichtig sei nur, dass dabei Gedanken formuliert würden, die des Zuhörens wert sind. „Ob ich Qualität rausziehen kann, liegt auch an mir.“ Es könne sein, dass ein Thema ihn auch mal gar nicht berührt. „Wohlgemerkt, das war bei Ludwig noch nie der Fall …“ – „Hahaha, das wollte ich hören“, amüsiert sich Ludwig von Stern prächtig.

Anleitung zur Freimaurerei (4): Sinn des Lebens Lesen Sie in der nächsten Folge der fünfteiligen Serie am 23, Dezember

Vorsichtige Öffnung: Outing nicht ohne Risiko

Die Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, ist den Oberpfälzer Freimaurern nicht leichtgefallen. Nach dem Motto Luthers, „hier stehe ich und kann nicht anders“, bekennen sich einige Meister zu den Werten ihrer Loge: „An die Öffentlichkeit zu gehen, hat positivere Effekte, als ich gedacht hätte“, sagt Meister Ludwig von Stern. „Wobei man nicht weiß, was alles hinter dem Rücken gesagt wird“, schränkt er ein.

Erfahrungen aus seiner Passauer Zeit hätten ihn gelehrt, vorsichtig zu sein: „Einem Architekten, der hauptsächlich von Kirchenaufträgen gelebt hat, wurde die wirtschaftliche Grundlage entzogen.“ Das sei ihm eine Lehre gewesen. „Mittlerweile kann mir in meiner Lebenssituation materiell nicht mehr viel passieren“, sagt der OTH-Kanzler, dessen Ruhestand in Sichtweite ist. „Es sei denn, man zündet mein Haus an.“

„Man muss ehrlicherweise sagen“, stimmt Johannes Witte bei, „ich würde jedem Bruder empfehlen, der mit kirchlichen Institutionen zu tun hat: ,Halt den Mund!’“ In seinem Freundeskreis wüssten alle, dass er Freimaurer ist: „Und alle finden es gut.“ Im weiteren Freundeskreis, wie auch in seinen Sportvereinen, sei er vorsichtig. „Ich binde es nicht jedem auf die Nase“, unterscheidet Witte, „aber es ist auch eine Frage der Aufrichtigkeit, dass ich dazu stehe, wenn ich gefragt werde.“ Er empfinde den Umgang mit den Ideen und Werten seiner Loge als so wertvoll, dass er das auch öffentlich vertreten möchte.

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