Gegenseitiger Respekt in Weiden: Juden, Christen und Moslems auf Augenhöhe

Weiden. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 trafen sich Juden, Christen und Muslime, um deutlich zu machen: Mord im Namen Gottes, Jahwes oder Allahs ist eine Pervertierung der Religion. Es ist die Geburtsstunde des Interreligiösen Gesprächskreises. 22 Jahre später wird er nach der Eskalation im Nahen Osten dringender gebraucht denn je.

Lessings Ring-Parabel wird in Weiden gelebt: Pfarrer Alfons Forster (rechts) gratuliert Imam Maher Khedr zur Teilnahme an der ersten deutschsprachigen Imam-Ausbildung, die Jüdische Gemeinde mit Werner Friedmann, Sozialarbeiterin Marina Jourovetskaja und dem Vorsitzenden Leonid Shaulov ist Gastgeberin. Foto: Jürgen Herda

Es gibt sie noch: Menschen, die andere Menschen nicht pauschal nach ihren Vorurteilen in ideologische Schubladen stecken. Die sich mit der einzelnen Person beschäftigen, anstatt mit „den Moslems“ oder „den Juden“. Die sich nicht von Hasspredigern einreden lassen, dass islamisch geprägte Länder automatisch Antisemiten, Messerstecher, Kopftuchmädchen oder Sozialschmarotzer hervorbringen.

Menschen, die ihre Religion oder Weltanschauung nicht über andere stellen. Die miteinander ins Gespräch kommen wollen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen und miteinander auskommen. In den Räumen der gastfreundlichen Jüdischen Gemeinde Weiden tauschen sich Mitglieder des Interreligiösen Gesprächskreises mit großem Respekt und Interesse aneinander aus.

„Begrabt den Krieg, nicht die Leichen!“

An der festlich gedeckten Tafel von Leonid Shaulov, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Weiden, und Sozialarbeiterin Marina Jourovetskaja sitzen an diesem Abend Werner Friedmann, vor 35 Jahren zusammen mit dem katholischen Pfarrer Alfons Forster Mitgründer der christlich-jüdischen Gemeinschaft, sowie Pfarrer Gerhard Pausch, Gründungsmitglied des Gesprächskreises, die evangelische Pfarrerin Christiane Weber mit Susanne Götte, Öffentlichkeitsreferentin des Dekanats, der Imam Maher Khedr des deutschsprachigen Muslimenkreises Weiden, die Integrationslotsin Stefanie Wildenrother mit Thomas Hentschel, ehemaliger Integrationsbeauftragter – und eine Reihe engagierter Frauen verschiedener Gemeinden.

Pfarrer Alfons Forster zitiert eingangs den Appell des Patriarchen emeritus Gregorius III. von Antiochien und dem Ganzen Orient, von Alexandrien und von Jerusalem, von 2000 bis 2017 Oberhaupt der melkitischen griechisch-katholischen Kirche: „In einem Brief schreibt der Patriarch, der demnächst 90 wird, begrabt die Waffen, begrabt den Krieg, nicht die Leichen!‘“

Der interreligiöse Gesprächskreis an der liebevoll gedeckten Tafel der Jüdischen Gemeinde muss nicht darben. Foto: Jürgen Herda

Pfarrer Pausch: „Wissen zu wenig übereinander!“

Pfarrer Gerhard Pausch warnt davor, dass der importierte Nahost-Konflikt sogar an unseren Schulen für Streit unter den Schülern sorgt: „Sie wissen zu wenig übereinander.“ Dass es auch anders gehe, beweise das West-Eastern Divan Orchestra, ein 1999 von Daniel Barenboim, Edward Said und Bernd Kauffmann gegründetes Symphonieorchester, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht. Das Ensemble setzt sich für friedliche Lösungen im Nahost-Konflikt ein und gastiert weltweit.

Auch in Weiden gibt es ein gelebtes Miteinander der Religionen: „Als wir anlässlich der Reichspogromnacht Fürbitten am Gedenkstein für die ermordeten Juden sprachen, war auch Maher Khedr mit dabei“, freut sich Pfarrer Forster. „Ein starkes Zeichen.“ Überhaupt müsse er dem Imam zu seinen klaren Worten in den Medien gratulieren: „Maher hat den mörderischen Angriff der Hamas in aller Klarheit verurteilt“, sagt Forster. Von wegen, muslimische Geistliche würden sich vom Terror gegen Juden zu wenig distanzieren.

Integrationsbeauftragte Stefanie Wildenrother im Gespräch mit den engagierten Damen verschiedener Kirchengemeinden. Foto: Jürgen Herda

Deutschsprachige Imam-Ausbildung

Außerdem gratuliert er Khedr zur vor kurzem absolvierten, deutschen Imam-Ausbildung der ersten Stunde in Osnabrück: „Wenn der Imam nicht Deutsch kann, das politische System hier nicht kennt“, erklärt der Imam den Hintergrund seiner Zusatzausbildung, „kann er seine Hauptaufgabe als Vorbild und Seelsorger in seiner Gemeinde nicht erfüllen – ein Imam ist mehr als ein Vorbeter.“

Zudem sei seit langem bekannt, dass die türkische Regierung die Imam-Ausbildung der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) mit ihren 5000 Moscheen in Deutschland in ihrem Sinne steuere. „Es ist nie gut, wenn sich Politik und Religion vermischen.“ Khedr sei als Religionsvertreter in der Oberpfalz so wenig für die Politik im Nahen Osten verantwortlich wie die hier lebenden Juden. „Wir sind hier eine Familie, diese Trennung ist bei türkischer Seite nicht gegeben.“

Ramadan nach der Mondsichel in den Herkunftsländern

Khedr bemängelt außerdem, dass die Muslime in Deutschland nicht in einer Dachorganisation gemeinsame Regelungen etwa zum Beginn des Ramadans treffen würden: „Da fängt jede Volksgruppe an einem anderen Tag an, die Syrer am Samstag, die Marokkaner am Sonntag, die Türken am Montag – wir leben in Deutschland und sollten uns nicht nach der Sichtbarkeit der Mondsichel in den Herkunftsländern richten.“

Pfarrerin Weber hält entgegen, dass es so eine Organisation bereits gebe: „Ich hatte in Regensburg mit den Ahmadiyya zu tun, die seit Jahrzehnten in ganz Deutschland organisiert sind und einen deutschen Koran haben.“

Ahmadiyya und Zeugen Jehovas

Die Ahmadiyya ist eine islamische Reformbewegung, die Mirza Ghulam Ahmad in den 1880er Jahren in Britisch-Indien gründete. Sie hält an den islamischen Rechtsquellen – Koran, Sunna und Hadith – fest, wobei zusätzlich die Schriften und Offenbarungen ihres – vorsichtig formuliert – überhöhten Gründers eine erhebliche Bedeutung haben. „Aus unserer Sicht ist das eine Sekte“, sagt der Imam zurückhaltend. „Ihre Übersetzung enthält einige Fehler.“

So etwas kenne man im Christentum auch, meldet sich eine Besucherin zu Wort: „Die Interpretation der Bibel durch die Übersetzung der Zeugen Jehovas.“ Die Glaubensrichtung Ahmadiyya leitet sich vom zweiten Namen des Propheten Mohammed ab, der im Koranvers 61:6 von Isa ibn Maryam als Ahmad bezeichnet wird. Mirza Ghulam Ahmad sah sich selbst als Prophet, Messias, Mahdi und die Endzeitverkörperung Krishnas.

Das Chanukka-Wunder von Weiden

Wie lebendig die Weidener jüdische Gemeinde ist, beschreibt Pfarrerin Weber mit einem persönlichen Erlebnis: „Letztes Jahr hatten wir israelische Gastschüler bei uns.“ Schnell sei die Frage aufgekommen: „Wo feiern wir Chanukka?“ Von jetzt auf gleich hätte die Gemeinde ein beeindruckendes Fest auf die Beine gestellt: „Das war besser als in Regensburg“, lobt Weber. „Ihr habt einen super Eindruck gemacht.“ Aus dem Stand habe man 50 Gäste, die Schüler mit ihren Gasteltern, mit eingebunden.

Werner Friedmann erinnert sich gut: „Da sind gleich zwei Wunder geschehen“, erzählt er verschmitzt. „Erst standen zwei junge Leute bei mir im Geschäft, es war kalt, sie sprachen Englisch mit Akzent.“ Er habe sie gefragt: „Kommt ihr aus Israel? Was macht ihr morgen Abend, kommt doch zu unserer Chanukka-Feier!“ Die Jungs hätten sich geziert. „Nein, wir sind nicht so religiös.“ Das erste Wunder: „Sie kamen dann doch zu uns.“ Wunder Nummer 2: „Unser Lehrer hat mitbekommen, dass junge Leute kommen, da hat er aus Nürnberg einen Musiker mitgebracht und wir hatten schöne Live-Musik.“

Warum seid ihr beim Interreligiösen Gesprächskreis?

Pfarrer Alfons Forster: „Werner Friedmann und ich haben vor 35 Jahren die christlich-jüdische Gemeinschaft gegründet. Werner Friedmann ist das jüdische Gesicht Weidens, Maher Khedr das moslemische Gesicht. Dr. Sebastian Schott verdanken wir die Grundlagenforschung zu den historischen Hintergründen, ohne ihn hätten wir die Stolpersteine nicht anbringen können. Und auch Dr. Michael Brenner ist ein wichtiger Weidener, Professor für jüdische Geschichte in München, der viele Artikel über den Nahost-Konflikt verfasst, auch wenn er meistens in Washington weilt. Sein Vater war der langjährige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Hermann Brenner, Inhaber des Gardinengeschäfts.“

Pfarrer Gerhard Pausch: „Ich bin seit Beginn an, seit Herbst 2001, mit dabei. Seitdem treffen wir uns in wechselnden Zusammensetzungen. Unser Anliegen ist es, uns gegenseitig besser kennenzulernen, um einen Beitrag zu leisten für ein Miteinander verschiedener Religionen. Wir haben immer wieder unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, mal mit Klettern im Steinwald, mal mit Festen der verschiedenen Religionen.“

Leonid Shaulov, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, ursprünglich aus Aserbaidschan: „Ich bin jetzt schon wieder seit 12 Jahren Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Weiden. Das jüdische Volk möchte immer Frieden und Gesundheit für alle Menschen!“

Marina Jourovetskaja,Sozialarbeiterin der Jüdischen Gemeinde, ursprünglich aus Moskau: „Mir ist es wichtig zu zeigen, dass Juden ganz normale Menschen sind. Es gibt nur wenige gläubige Juden in der ehemaligen Sowjetunion, vieles vom Judentum haben die Kontingentflüchtlinge erst hier erfahren. Unsere Gemeinde ist winzig klein, wir haben 182 Mitglieder mit den kleinen Kindern. Es waren schon mal 400, wir waren ja auch eine Aufnahmestelle, viele sind aber anschließend wieder weggezogen. Der Rabbiner kommt aus Hof, wenn 20 Leute zu den Gottesdiensten kommen, ist das gut für uns – aber es kommen mehr als früher. Wir haben zweimal im Monat Gottesdienst, mehr schaffen wir nicht. Wir machen auch sonst viel für die Stadt – Konzerte, Führungen, wir betreuen ukrainische Flüchtlinge, weil wir eine gemeinsame Sprache haben, geben Deutschkurse, Kunsttherapie und machen Ausflüge.“

Werner Friedmann, Mitglied der jüdischen Gemeinde Weiden: „Ich bin immer gerne bereit, Führungen anzubieten. Meine einfache Meinung: Wenn ich die Leute nicht kenne, kann ich nicht ins Gespräch kommen. Viele haben Vorurteile und leben sie zu Hause aus. Wenn Moses mit Hörnern dargestellt wird, ist das zwar ein Übersetzungsfehler, aber diese Vorstellungen sind immer noch präsent. Nur durch das miteinander Reden, kann man diese Vorurteile abbauen. Das klappt nicht bei allen. Es gibt immer auch welche, die ihren Antisemitismus pflegen. Besonders viel Spaß macht es mir, Kinder durchzuführen, denen ich erkläre, dass wir ganz normale Menschen sind, essen, schlafen, einen Witz reißen können.“

Maher Khedr, Vorsitzender deutschsprachiger Muslimenkreis Weiden: „Wir hatten die Situation, dass muslimische Kinder nicht beim Martinszug mitmachten. Ein Vater sagte, christliche Symbole kommen mir nicht ins Haus. Unser interreligiöser Gesprächskreis war hier der beste Ansprechpartner, wir haben ein mehrsprachiges Flugblatt mit großem Erfolg verteilt.“

Christiane Weber, seit zwei Jahren evangelische Pfarrerin in Weiden: „Ich komme von 17 Jahren interreligiöser Arbeit in Regensburg, wo es sieben Moscheen und eine jüdische Gemeinde gibt. Ich möchte das Gesicht einer Religion sein, um ansprechbar zu sein für andere Gesichter.“

Susanne Götte, Öffentlichkeitsreferentin des Dekanats in Weiden: „Ich freue mich über die wunderbar gedeckte Tafel hier bei Ihnen. Mein Beruf ist es, Menschen miteinander zu vernetzen. Ich freue mich, zum ersten Mal bei ihnen sein zu dürfen.“

Stefanie Wildenrother, Integrationslotse: „Ich bin ein neugieriger Mensch und finde es ganz toll, weil hier der Mensch zählt. Ich bin Pragmatikerin, mich interessieren die Hintergründe. Es geht doch immer darum, was der Mensch braucht. Wenn er sich gut entwickelt, ist schon viel gewonnen.“

Thomas Hentschel, früherer Integrationsbeauftragter: „Ich bin seit 2009/10 ursprünglich als Integrationsbeauftragter, seit 2017 privat dabei. Ich bin katholischer Christ, ein Fan der Ökumene und des interreligiösen Dialogs, den ich für wichtig erachte.“

Gabriele Raithel: „Ich bin katholisch, komme aus Altenstadt, habe zwei erwachsene Kinder und bin in Rente, habe also Zeit, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mich interessieren. Seit einem Jahr besuche ich einen Bibelkreis, und merke, wie wenig ich über den eigenen Glauben weiß – wie viel weniger weiß ich dann erst von den anderen. Das möchte ich ändern.“

Monika Lang: „Mein Anliegen ist das Miteinander der Kulturen und Religionen. Als die Flüchtlinge angekommen sind, konnte ich mithelfen.“

Christine Walter: „Ich komme aus der Pfarrei Speinshart, bin katholisch und halte es für sinnvolle Friedensarbeit, wenn man die anderen Religionen kennenlernt.“

Marga Wöll: „Ich war schon öfter dabei und bin erstaunt, wie das gewachsen ist. Mein Traum ist es, dass Frieden werden könnte, und nicht mehr die Religion ganz oben steht, sondern der Mensch.“

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