Anleitung zur Freimaurerei (2): Erkenne dich selbst!

Hahnbach/Weiden. Geheimnisse laden zum Spekulieren ein: Was treiben die Freimaurer der Loge „Septem Fontes“ im „Orient Sulzbach-Rosenberg“ in ihrem Hahnbacher Tempel? Ihr wichtigstes Ziel ist so unspektakulär wie zutiefst menschlich: Selbstfindung, um ein besserer Mensch zu werden.

Freimaurer-Meister Ludwig von Stern (links) und Johannes Witte im Gespräch. Foto: Jürgen Herda

Heute muss man kein Maurer oder Steinmetz sein, um bei den Freimaurern über die wichtigsten Werte der Aufklärung – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – zu diskutieren: Lediglich „ein freier Mann guten Rufes“ sollte man sein. Doch was bedeutet das konkret?

„Frei bedeutet ökonomisch frei“, sagt Ludwig von Stern (62), Mitbegründer der Loge Septem Fontes im Landkreis Amberg-Sulzbach und Kanzler der OTH Amberg-Weiden. „Sodass man in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten.“ Nicht mit sich selbst, sondern finanziell, versteht sich. Grundsätzlich sind auch Arbeitslose nicht von der Loge ausgeschlossen. „Wir halten aber viel davon, wenn Menschen, die was übrighaben, etwas abgeben.“

Freies Denken, moralisches Handeln

Der Begriff „frei“ sei vor allem immateriell gemeint, ergänzt Johannes Witte (68). „Frei durch seinen Lebensrahmen, ein Mann, der seinen Kopf zum verantwortungsbewussten, freien Denken benutzt.“ Die Formel stamme aus dem frühen Barock, als Menschen noch in Leibeigenschaft standen. „Deshalb wollen wir im übertragenen Sinn keine Leibeigenen sein“, sagt von Stern. Frei sei man vielmehr von Gepflogenheiten, Mitgliedschaften und Dogmen: „Es bedeutet aber nicht, die Freiheit von Moral.“

Und der gute Ruf sei kein gesellschaftliches Etikett, klärt Witte auf, dass es nicht um oberflächliche Imagefragen geht. „Das bezieht sich auf die Moralität in seinem Tun, Denken und Wesen“, sagt der Apotheker im Ruhestand. Und von Stern fügt hinzu: „Wichtig ist, dass er es nachhaltig ernsthaft meint.“ Niemand muss aber befürchten, dass nur Heilige vor den Augen der Brüder Gnade finden: „Wir Menschen sind alle fehlbar“, sagt von Stern, „es geht um den Willen, ein besserer Mensch zu werden.“

Der Prozess der Aufnahme

Da kommt nun also ein – in diesem Sinn – „freier Mann guten Rufes“ und klopft an, wie die Freimaurer das nennen. Er begehrt Einlass und zeigt damit Interesse an der Bruderschaft, die sich der Aufklärung verschrieben hat. Wie aber wollen die Brüder Meister erkennen, ob es der Kandidat auch ernst meint, mit dem auf Lebenszeit angelegten Beitritt zu den Freimaurern? „Man kann schlecht in einen Menschen reinschauen“, gibt von Stern zu. „Wir schauen uns den Besucher an, versuchen uns ein Bild zu machen – aber Bilder können täuschen.“

Dabei gehe es nicht um eine Bewertung des Menschen: „Wir versuchen im Interesse beider Seiten abzuklären, ob wir zueinander passen, damit nachher keiner enttäuscht ist.“ Witte erklärt den Vertrauensvorschuss, den man bereit sei zu geben: „Es ist der Versuch ehrbarer Menschen, von der Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit des Gegenübers auszugehen.“ Was man erhoffe, wolle man dem anderen unterstellen. Und man bedenke: „Wenn jemand völlig fremd zu uns kommt, kann sich der Prozess der Aufnahme Monate bis Jahre hinziehen.“

Freimaurer-Symbole auf der Bibel: Mit dem Winkelmaß wird gemessen, ob etwas im rechten Winkel steht, Symbol dafür, dass der Mensch seine Taten daran messen soll, ob sie gerecht und menschlich sind. Mit dem Zirkel zieht man einen Kreis, symbolisch beinhaltet der Kreis die Menschen im eigenen Umkreis. Foto: Jürgen Herda

Abkürzung im Kennenlernen

Nur keine Bange, beruhigt der OTH-Kanzler: „Es kann länger dauern, aber man kann auch ganz schnell zueinander finden – es kommt darauf an, wie sehr sich jemand einsetzt.“ So ist das also: Die Brüder wollen keine Karteileichen, sie wollen aktive Mitglieder. Ganz schön anspruchsvoll in einer Zeit, in der immer weniger Menschen bereit sind, sich längerfristig zu binden. Früher sei es üblich gewesen, dass der Vater den Sohn, der Freund den Freund und der Kollege den Kollegen mitgebracht habe: „Das ist heute eher ein seltener Fall, den ich einmal erlebt habe“, erzählt Apotheker a.D. Witte. „Das ist dann eine Abkürzung im Kennenlernen.“

Der Regelfall sei, dass die Interessenten über eine der drei Homepages auf die Loge aufmerksam würden: „Unsere eigene, die der Distrikt-Loge oder die der bundesrepublikanischen Großloge.“ Dort werde auf die geographisch nächstgelegene Loge verwiesen. Damit kein Missverständnis entsteht, klärt Witte auf: „Die schweben nicht über den Logen, wir sind basisdemokratisch, jede Loge hat eine Stimme.“ Sie unterscheiden sich in ihrer Funktion: „Das ist auch eine Dienstleistungsfrage, weil die höhere Ebene eher in der Lage ist, für Fortbildung zu sorgen, ein überregionales Kennenlernen zu ermöglichen und internationale Beziehungen zu unterhalten“, weiß von Stern aus jahrzehntelanger Erfahrung.

Ausschluss-Kriterien

Gibt es definitive Ausschluss-Kriterien wie Vorstrafen, Schulden oder die Mitgliedschaft in extremen Parteien? „Wir prüfen das“, sagt von Stern, „Mitglieder extremer Parteien passen gar nicht zu uns.“ Wie überprüft man eine Gesinnung oder den Kontostand in Zeiten verschärften Datenschutzes? „Wir versuchen, extreme Ansichten abzuklopfen“, erklärt Witte. „Auch zu Geschlechterrollen, weil unsere Damen auch zu unserer Gemeinschaft gehören.“ Bekennende Machos also eher unerwünscht.

Apropos Damen: „Dass Frauen nicht zugelassen sind, ist kein Werturteil“, versucht von Stern den Charakter des Männer-Klubs zu erklären. „Es geht darum, dass wir Männer uns im Kreis von Frauen anders verhalten.“ Die Erfahrung zeige: „Männer neigen zum Imponiergehabe, wenn Frauen dabei sind.“ Man habe einen Rahmen gegenseitigen Vertrauens geschaffen, in dem man sich offen austauschen könne. „Das geht nicht, wenn man sich als Konkurrent um das Herz einer Dame begreift.“

Ein Stuhlmeister während einer Zeremonie in der Großloge: Im Mai 1948 fand zum ersten Mal nach dem Verbot durch die Nazis im Gebäude der Erlanger Freimaurerloge “Libanon zu den 3 Zedern” der erste Großlogentag “Zur Sonne” statt. Die im Jahre 1741 gegründete Großloge gehört zu den größten deutschen Logen. Amerika, Frankreich und die Tschechoslowakei entsandten Vertreter. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W1028-507-

Schwächen eingestehen

Das Thema der Geschlechtertrennung bedarf weiterer Erläuterung: „Wir wollen uns als Menschen verändern“, sagt Witte, „das heißt, sich Schwächen einzugestehen.“ Unsere Gesellschaft sei aber sehr auf Konkurrenzdenken ausgerichtet: „Gebe ich aber einem Menschen, den ich als Konkurrenten empfinde, meine Schwächen zu?“ Naivität statt negativer Emotionen ermögliche dieser intime Rahmen. „Dasselbe gilt für eine Damenloge“, weiß der promovierte Pharmazeut aus eigener Anschauung von einer Nürnberger Damenloge: „Ich hatte die Ehre, mehrfach zu Gast sein zu dürfen.“

Gemischte Logen gebe es übrigens nur in Frankreich. Und siehe da: Die Annahme, das ewig Weibliche lenke die Männer nur ab, habe sich bewahrheitet: „Die sind meist kurzlebig, es kommt zu Spannungsverhältnissen“, sagt von Stern, „das konterkariert unser grundlegendes Ziel, aus einem Menschen einen besseren Menschen zu machen.“ Wenn man sich als Mensch weiterentwickeln wolle, sollte das von keinen amourösen Störgeräuschen begleitet sein.

Keine Seilschaft, keine Karrieristen

Dass die Herren der Loge keine neandertalesken Geschlechterrollen befürworten, stellt Witte klar: „Es ist egal, ob jemand eine gleichgeschlechtliche Beziehung hat.“ Und Transgender? „Damit haben wir uns noch nicht befasst“, gibt Witte zögernd zu und ergänzt: „Wenn er sich als Transgender vorwiegend männlich darstellt, warum nicht?“ Viel wichtiger als sexuelle Orientierung sei die materielle Interessenlosigkeit: „Wir sind keine Karrieristen, die uns den Steigbügel halten“, lehnt von Stern Kandidaten ab, die sich von den Freimaurern eine Seilschaft erhoffen. 

„Wir haben drei Stufen“, fährt der OTH-Kanzler fort, „den Lehrling, den Gesellen und den Meister, wobei das nicht hierarchisch zu verstehen ist, sondern als Erfahrungswissen im Umgang mit unseren Ritualen.“ Freimaurer blieben vielmehr ein Leben lang Lehrlinge, die an sich arbeiteten. „Um eine Stufe zu erlangen, muss ein Bruder eine Zeichnung angelegt haben, wie wir einen Vortrag über ein Thema nennen.“ So bringe jeder mindestens zwei Zeichnungen ein, bis er den dritten Grad des Meisters erreiche.

Die englische Frauenrechtlerin Annie Besant setzte die erste gemischte Loge Human Duty Nr. 6 am 26. September 1902 in London durch. Sie war 1912 Mitbegründerin des Order of the Temple of the Rosy Cross (OTRC) in London. Foto: Freimaurer-Wiki/Annie Besant in Helsinki im Jahre 1937

Selbstfindung statt Selbstoptimierung

„Eine Zeichnung dauert etwa zehn Minuten“, präzisiert Witte. „Aber die Vorbereitung dauert ein paar Stunden. Es kann passieren, dass ich zwei, drei Wochen mit einem Thema schwanger gehe, und dass es dann in zwei, drei Stunden aus mir rausfließt.“ Das Themenspektrum sei weit gefächert – Gott und die Welt, immer mit dem Fokus, wie der einzelne das Thema auf sein Leben beziehen kann. Muss man aber als Novize nicht befürchten, den Ansprüchen der seit Jahrzehnten praktizierenden Meister nicht gerecht zu werden? „Es geht nur darum, sich aufrichtig zu bemühen“, beruhigt von Stern. „Auch uns sind manche Zeichnungen besser, andere weniger gelungen.“

Könnte man die Bereitschaft zur Arbeit an sich selbst im Zeitalter der Selbstoptimierung nicht auch gründlich falsch verstehen? „Selbstoptimierung klingt für mich nach Gurus, nach ,tschakka‘, nach ,du schaffst das‘“, korrigiert Witte. „Es geht bei uns um Selbstfindung.“ Auch darum, mit Fragen der Eitelkeit umzugehen, sagt von Stern: „Wir versuchen, relativ uneitel zu sein.“ Das sei auch ein Gegenstand der Selbstbewertung: „Wie demütig, wie stolz bin ich? Es heißt nicht von ungefähr, ,Dummheit und Stolz wachsen auf demselben Holz‘.“ Unter realen Bedingungen sei nie das Optimum zu erreichen: „Es ist das Leuchten, das man in der Ferne sieht.“

„Das Glück ist dünnes Eis“

Der Prozess der Selbstfindung könne, wie im Fall Wittes, auch zur Erkenntnis führen: „Die Umgebung passt nicht zu meiner Zukunft.“ Der Arbeitgeber, das private Umfeld bedürften einer Veränderung. „Wenn wir sagen, wir arbeiten an uns, verändern wir uns. Es gibt meines Erachtens keinen geradlinigen, aber einen folgerichtigen Lebensweg.“ Er selbst habe sich eine universitäre Laufbahn vorstellen können. „Dann war ich in der Industrie, aber ich hätte vielleicht meine große Liebe verloren.“ Er habe sich schließlich für ein Leben als selbstständiger Apotheker entschieden: „Heute bin ich ein zufriedener Rentner, der mit seiner Frau 38 Jahre verheiratet ist, und wir sind noch immer verliebt“, sagt Witte strahlend.

„Und ich bin glücklich – das trauen sich Freimaurer zu sagen.“ Warum sollte man sich das auch nicht zu sagen trauen? „Weil es die Furcht gibt, das Glück zu beschreien“, erklärt er den Gedankengang. „Vor eineinhalb Jahren bin ich mit meiner neuen Enduro – meine Frau und ichsind begeisterte Motorradfahrer – über ein Hindernis gefahren.“ Er habe sich bei dem Sturz beide Unterarme gebrochen. „Das Glück ist dünnes Eis.“ Noch heute schaffe er es nicht, mit seiner Straßenmaschine in die volle Kurvenlage zu gehen. „Aber ich bereue es nicht, ich habe auch daraus gelernt – woran hängen meine Ängste? Wo hast du deinen Knacks weg?“

Anleitung zur Freimaurerei (3): Aufklärung kollidiert mit katholischen Dogmen Lesen Sie in der nächsten Folge der fünfteiligen Serie

Freimaurer Johannes Witte schätzt sich glücklich. Foto: Jürgen Herda

Moderater Mitgliederbeitrag

Kann sich aber auch jeder den Verein der freien Männer guten Rufes leisten? „Der Mitgliederbeitrag bei uns Freimaurern bewegt sich in der Größenordnung eines preiswerten Sportvereins“, hält Meister Jonannes Witte den Ball flach. „Auf alle Fälle unter dem der Rotarier oder Lions.“ Man müsse halt die Miete erwirtschaften. „Das ist nicht so viel“, erklärt der Apotheker, „wir sind hier Untermieter der Loge unserer amerikanischen Brüder, der ,Pyramid Lodge No. 869‘ aus Vilseck.“ Die hätten diese ehemalige Ferienwohnung in Hahnbach angemietet. Dann kämen noch Ausgaben für rituelle Gegenstände: „Eine Kerze ist irgendwann abgebrannt“, sagt er mit Blick auf die drei Kerzen, die Weisheit, Schönheit und Stärke symbolisieren.

„Auch der Aufnahmebeitrag ist moderat“, sagt von Stern. „Das ist nicht wie in manchen Golfklubs, die 20.000 Euro Eintrittsgebühr verlangen.“ Anders sei es bei Logen, die Gründerzeit-Villen unterhalten müssten. „Für das Fürther Anwesen hat die Loge wohl mehr alseine Million für die Sanierung aufgebracht“, weiß Witte. „Eine andere Logehatten denHolzbock im Dachdes Logenhauses, so etwas kann eine Loge von 20 bis 30 Brüdern in den Ruin treiben.“ Hohe Ansprüche stelle man vielmehr ans Innenleben. „Die Interessenten sollten am geistigen Leben teilnehmen“, fordert von Stern. „Wir treffen uns alle zwei Wochen, außer im Juli und August“, nennt er einen Zeitrahmen. „Aber wir respektieren, wenn jemand aus beruflichen oder familiären Gründen nicht teilnehmen kann.“

Organisatorisch funktioniere man wie ein eingetragener Verein. „Es gibt einen Vorsitzenden, einen Schatzmeister, einen Sekretär und weitere Ämter, die den Meistern vorbehalten sind“, sagt Witte. Auch das sei keine Rangfolge: „Der Umgang mit den besonderen Formen muss eben erlernt werden.“ Bei Funktionsträgern rede man von Beamten: „Die sind Meister, weil sie firm sein müssen in den Ritualen“, ergänzt von Stern. Und Lehrlinge sind eben eingeladen zu Lehrlingsarbeiten. Brotzeit holen muss hier aber keiner. „Wir treffen uns immer auf Augenhöhe und mit größtem Respekt.“

* Diese Felder sind erforderlich.

1 Kommentare

Birte - 25.01.2024

„Gemischte Logen gebe es übrigens nur in Frankreich. Die Annahme, das ewig Weibliche lenke die Männer nur ab, habe sich bewahrheitet: „Die sind meist kurzlebig““ Veto! Es gibt in Deutschland zahlreiche gemischte Logen – vgl. google. Und es gibt Grosslogen für gemischte Logen Als Beispiel sei die 1959 gegründete Großloge Humanitas genannt: gemischte-freimaurerei.org oder der Souveräne Großorient von Deutschland. Ausserdem gibt es seit 1949 auch reine Frauenlogen – mittlerweile in knapp 30 Städten. Siehe „freimaurerinnen.de“