ILS Oberpfalz-Nord: Notrufe einer halben Million Bürger

Weiden/Amberg. Das ist der ganz normale Wahnsinn bei der ILS Oberpfalz-Nord: Babys in Atemnot, Dutzende Fehlanrufe und täglich eine Alkoholvergiftung. Und dann melden sich noch täglich Krankenhäuser wegen Überlastung ab.

ILS Jahrespressekonferenz
Von rechts: Dr. Josef Kick, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, Jürgen Meyer, Leiter Betriebsstätte Weiden und Pressesprecher, Rudolf Niedl, stellvertretender Geschäftsleiter ZRF Oberpfalz-Nord, Thomas Ebeling, Landrat und Verbandsvorsitzender, Robert Schmid, kommissarischer Leiter ILS Oberpfalz-Nord, Stefan Brunner, kommissarischer Leiter Betriebsstätte Amberg. Foto: Christine Ascherl

Eine halbe Million Bürger kommt hier an, wenn eine Notlage auftritt und die „112“ gerufen wird. Aktuell sitzen die Disponenten in Weiden und Amberg. Sobald die neue ILS-Zentrale in Wernberg gebaut ist, werden die Betriebsstätten zusammengelegt. Landrat Thomas Ebeling (Schwandorf) bei der Jahrespressekonferenz: „Die Planungen laufen, das Grundstück wird erworben.“ Der Notartermin stehe fest.

Erstmals präsentierten die beiden Betriebsstätten am Donnerstag ihre Zahlen gemeinsam. Die Bilanz von Pressesprecher Jürgen Meyer: Coronabedingt waren es 2023 etwas weniger Einsätze als 2022 (von 136.000 auf 135.000). Der Krankentransport rollte 40.355 Mal.

Heißes Eisen: Veränderungen im Krankenhauswesen

Ein heißes Thema: Immer öfter melden sich Krankenhäuser bei der ILS ab. Das bedeutet, sie nehmen in der Notaufnahme oder auf einzelnen Stationen keine Patienten mehr auf. Laut Jürgen Meyer könne es eine „Herausforderung“ sein, ein Krankenhaus zu finden: „Aber wir kommen bisher zurecht. Wir können gewährleisten, dass wir all unsere Patienten schnell und zeitnah in eine Fachabteilung bekommen.“ Er nannte Zahlen: Im Bereich Amberg käme zu 4,4 Abmeldungen pro Tag, ebenso im Bereich Weiden.

Wie ärztlicher Leiter Dr. Josef Kick erklärte, gelte die Abmeldung für Stationen (Chirurgie, Geburten, Internistisch) immer bis zum Folgetag, 8 Uhr. Anders ist das bei den Zentralen Notaufnahmen der beiden Schwerpunktversorger Amberg und Weiden, die sich so schnell wie möglich zurückmelden.

Ärztlicher Leiter: Abmeldungen sind ein Problem für Rettungsdienst

Die ILS versucht in der Zwischenzeit, den Patienten in das nächstmögliche Krankenhaus weiterzuleiten. Mit den Zentralen Notaufnahmen ist laut Kick vereinbart worden, sich sofort zurückzumelden, wenn das „Überloading“ bewältigt ist und „sie wieder Herr der Lage sind“: „Dieser Informationsaustausch zwischen Klinik und Leitstelle ist extrem wichtig.“ Die Engpässe in den Kliniken sind laut Kick auf fehlende Betten und fehlende personelle Kapazitäten zurückzuführen.

Der ärztliche Leiter glaubt, dass sich diese Zahlen angesichts der Umstrukturierung im Krankenhauswesen in den nächsten Jahren „nicht zum positiven, sondern eher zum negativen verändern“ werden. Der Patient habe ein Recht auf Notfallversorgung im Krankenhaus. „Aber die Kliniken haben vermehrte Probleme, das zu erfüllen.“ Die Abmeldungen seien „ein großes Problem aus ärztlicher Sicht“. Sie verlängern Transportzeiten und binden Ressourcen. Aber: „Die Struktur der Krankenhäuser ist auf politischer Ebene zu entscheiden: auf Landes- und Bundesebene.“

„Helfer vor Ort“ retten Leben

Eine wichtige Rolle spielen im Bereich der ILS Oberpfalz-Nord die „Helfer vor Ort“. Diese „First Responder vor Ort“ gelten als Speerspitze. Sie überbrücken die Zeit, bis der Rettungsdienst eintrifft. Stefan Brunner, kommissarischer Leiter der ILS-Betriebsstätte Amberg, ist selbst Mitglied in einem solchen Verein.

Im ländlichen Bereich könne es auch „mal zehn Minuten oder länger dauern“, bis der Rettungsdienst angefahren sei. „In einer Minute verliere ich 10 Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit“, laute die Faustregel. Die „Helfer vor Ort“ starten Reanimationen, drücken Blutungen ab, legen Patienten in die stabile Seitenlage. Im Bereich der ILS Oberpfalz-Nord gibt es an 60 Standorten „Helfer vor Ort“, so viele wie in ganz Bayern nicht. Sie rückten 8.884 Mal aus.

Ein Durchschnittstag bei der ILS:

  • täglich 37 Herz-Kreislauf-Patienten
  • zwei bis drei Telefon-Reanimationen
  • vier bis fünf Wohnungsöffnungen
  • fünf bis sechs Verkehrsunfälle
  • vier Mal löst eine Brandmeldeanlage aus
  • Jeden Tag gibt es zwei Oberpfälzer, die einen psychischen Ausnahmezustand haben
  • 13 bewusstlose Personen
  • 16 Patienten mit massiven Schmerzen
  • sechs kranke Kinder
  • 111 Krankentransporte
  • 80 Fehlanrufe
  • 27 Trauma durch Sturz oder Unfall
  • 18 Feuerwehreinsätze und technische Hilfe,
  • Drei Intoxikationen, darunter mindestens einer, der zu viel über den Durst getrunken hat und die Hilfe des Rettungsdienstes braucht
  • In der Woche drei Frühgeborene, die im Intensiv-Transport-Inkubator verlegt werden.
  • Jede zweite Woche ein Kind oder Säugling, der reanimiert werden muss.
  • Jede zweite Woche eine Person in Wassernot.

Extrem herausfordernd: 15 Babys wiederbelebt

Seit Jahren steigen die Einsätze mit Säuglingen und Kindern bis zwölf Jahre (letztes Jahr 2.189 Einsätze). Fast 700 Kinder waren vital bedroht. Dr. Josef Kick, ärztlicher Leiter Rettungsdienst, berichtete von gravierenden Erkrankungen der Atemwege durch den RS-Virus. In 16 Fällen mussten Kinder wiederbelebt werden, darunter 15 Säuglinge. Insgesamt wurde im letzten Jahr 883 Patienten reanimiert. Oft unterstützte die Leitstelle die Ersthelfer am Telefon.

Geburten im Rettungswagen

Auch Geburten im Rettungswagen kommen immer wieder vor. Im Bereich Amberg rückte der Rettungsdienst zu 102 Geburten aus, die unfreiwillig zu Hause starteten, in Weiden zu 81. „Die ein oder andere Geburt passierte im Rettungswagen“, berichtete Jürgen Meyer: „Da steht dann in der Geburtsurkunde ‘B470, Kilometer irgendwas’.“

Alarmierend: hohe Suizidalrate

Alarmierend sei nach wie vor die hohe Suizidalrate in der Nordoberpfalz. „Warum haben wir so eine hohe Rate?“, fragte Jürgen Meyer. Eine Antwort habe in den letzten Jahren nicht gefunden werden können. „Es liegt nicht am Granit, es liegt nicht an der Kultur.“ 443 Patienten riefen in ihrer psychischen Not die „112“ bei Suizidgedanken. In 427 Fällen lag ein Suizidversuch vor.

Depressiv? Hier bekommen Sie umgehend Hilfe

Haben Sie suizidale Gedanken oder kennen Sie eine Person, der es so geht? Hilfe bietet die Telefonseelsorge unter den kostenlosen Nummern 0800/1110111 und 0800/1110222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de.

29.000 fehlgeleitete Anrufe

Pro Jahre gehen knapp 29.000 Anrufe ein, die nicht für die Leitstelle gedacht sind: „Hosentaschenanrufe“, mutwillige Anrufe aus Jux und Tollerei oder stille Notrufe. Jeder Anrufer müsse ernst genommen werden. Das strapaziere die Disponenten, die nicht wissen können: „Ist das ein atemloser Jogger oder jemand, der nicht mehr sprechen kann?“

Großes Thema ist auch der eCall ohne Spracherwiderung. Autos der neuen Generation können Unfälle selbstständig an die ILS melden. Brunner erklärte, wie das abläuft: „Wir bekommen einen Datensatz vom Fahrzeug geschickt: Standort, Fahrtrichtung, Personenbesetzung, Treibstoffstand. In Millisekunden.“ Dann werde die ILS automatisch in den Innenraum des Autos weitergeleitet und könne mit dem Unfallopfer sprechen. Wenn kein Kontakt möglich ist, werden sicherheitshalber Feuerwehr und Rettungsdienst vor Ort geschickt. Unfälle sind Tagesgeschäft (2023: 2924 Unfälle).

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