Zwei Jahre Putins Krieg: Seit Februar 2022 helfen BHS und „Universal Aid Ukraine“ vor Ort
Weiherhammer. Matthias Uri, Leiter Globale Fertigungs- und Technologielösungen bei BHS Corrugated, organisiert seit Kriegsbeginn Transporte in die Ukraine. Inzwischen ist das Unternehmen aus Weiherhammer Hauptsponsor der Hilfsorganisation Universal Aid Ukraine. Ein Video-Call.
Lars und Lea (aus Sicherheitsgründen wollen die beiden nur mit Vornamen angesprochen werden) gründeten die in der Ukraine angemeldete NGO „Universal Aid Ukraine“ (UAU). BHS Corrugated in Weiherhammer unterstützt die Hilfsorganisation der beiden jungen Deutschen. Lea studiert noch in Hamburg, Lars hat seinen Job als Veranstaltungstechniker gekündigt.
Über Video-Call konnten wir mit dem BHS-Manager Matthias Uri und Lars über ihre Erfahrungen, Motivation und die Aussichten im kriegsgebeutelten Nachbarland des Aggressors Russland sprechen.
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine begann nicht mit dem großen Knall vor zwei Jahren, sondern schleichend seit 2014 – mit „grünen Männchen“, wie Kreml-Diktator die russischen Paramilitärs in der Ostukraine zynisch nannte, und der anschließenden Annexion der Krim. Wann wurde Ihnen bewusst, welche Dimension die Allmachtsfantasien Putins hat und dass Sie helfen wollen?
Lars: Richtig realisiert habe ich das erst 2022.
Uri: Die Vorgänge seit 2014 hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Erst mit der versuchten Invasion der ganzen Ukraine im Februar 2022 wurde mir schlagartig klar, dass dort ein Land überfallen wird.
Hatten Sie beide bereits zuvor einen Bezug zu und Kontakte in die Ukraine – Sprachkenntnisse, eine Vorstellung von Land und Leuten und dem Konflikt, der seit der Loslösung von der UdSSR, spätestens seit der Orangenen Revolution latent schwelte?
Uri: Ehrlich gesagt, hatte ich die Ukraine bis dahin überhaupt nicht am Schirm. Lars: Bei mir genauso. Ukrainisch spreche ich leider bis heute nicht, ich arbeite dran, bin aber kein Sprachgenie. Das erschwert die Verständigung natürlich, zumal in der Ostukraine auch kaum jemand Englisch spricht. Das läuft fast ausschließlich über Übersetzer. Wir haben in unserem Freiwilligen-Pool bis zu vier Ukrainer als Helfer und drei Deutsche, die zumindest teilweise Russisch sprechen.
Wie genau kam es dann zum Engagement vor Ort, zur Gründung von Universal Aid Ukraine?
Uri: Wir haben die ersten Hilfsaktionen selbst auf Beine gestellt. Ich bin zuerst mit Bekannten aus dem Schwarzwald mit nach Lviv gefahren. Dort habe ich auch die deutschen Helfer Lars und Lea kennengelernt. Ich organisiere die Transporte von Deutschland aus, die beiden verteilen die Hilfsgüter vor Ort. Ihre Hilfsorganisation hat sich inzwischen weiterentwickelt, ist weiter nach Osten, näher an die Front gewandert, wo sie ihr eigenes Headquarter haben. BHS ist mittlerweile einer der Hauptsupporter von „Universal Aid Ukraine“. Ich bin seitens unseres Unternehmens derjenige, der das managt, der rüber runterfährt. Wir sind aber auch froh, noch andere Unterstützer in der Region als Partner zu haben, wie die Firma Segerer Logistik aus Wernberg-Köblitz. Sie stellen uns das Fahrzeug zur Verfügung, sorgen dafür, dass es anschließend gewartet und repariert wird, was auch dringend notwendig ist nach den Fahrten auf miserablen ukrainischen Straßen.
Lars: Ich saß am 24. Februar 2022 vor dem Fernseher und dachte mir, das kann doch nicht wirklich sein, dass in Europa zwei anerkannte Staaten, Mitglieder der UN, gegeneinander kämpfen. Da entstand bei mir das dringende Bedürfnis, etwas zu tun. Ich kannte eine Gruppe von Leuten, die Hilfsgüter in die Ukraine transportierte. Womit kann ich helfen, habe ich überlegt? Autofahren kann ich, also habe ich von Marburg aus fünf Transporte mit Hilfsgütern an die Grenze zur Ukraine gefahren, und am Rückweg Flüchtlinge mitgebracht, die wir bei Privatpersonen unterbrachten. Im April 2022 habe ich mich dann von meinem Arbeitgeber freistellen lassen, und mich einen Monat lang in Rumänien der Organisation „Help Ukraine Romania“ angeschlossen, habe im Lager Sachen sortiert und ausgefahren. Anschließend kam ich zu der Überzeugung, ich kann mehr tun und habe mich entschieden, den Job zu kündigen. Seit Ende Juli 2022 bin ich mit Ausnahme von kurzen Deutschland-Aufenthalten dauerhaft in der Ukraine. Lea ist öfters wegen ihres Studiums in Hamburg.
Wovon bezahlt ihr eure Lebenshaltungskosten?
Lars: Im Großen und Ganzen ist alles spendenfinanziert. Aber dafür haben wir ein eigenes Konto in Marburg.
Uri: Man muss aber dazusagen, dass ihr euren Dacia auch noch selbst privat finanziert.
Lea ist Rettungssanitäterin, da kann man sich gut vorstellen, wie man sie in einem Kriegsgebiet einsetzen kann. Welche Fähigkeiten bringen Sie als Veranstaltungstechniker mit, die vor Ort gebraucht werden?
Lars: Lea kümmert sich um die Ausgabe der Medikamente. Der komplette medizinische Bereich ist ihr Gebiet. Wir kommen auch gelegentlich in Dörfer, wo sich jemand einen Nagel eingetreten hat oder zu Autounfällen, die sammeln wir regelrecht – der Verkehr ist oft die größte Gefahr. Bei mir hilft, dass ich an lange Arbeitstage mit viel Stress und wenig Essen gewöhnt bin. Ansonsten ist mein Bezug zur Technik nicht hinderlich – ich kann gut mit Fahrzeugen, Funkgeräten und Generatoren umgehen und bin auch für die Sicherheit unseres Teams mitverantwortlich. Wenn wir eine Mission planen, schaue ich, wo ist der Frontverlauf, erkunde auf Satellitenbildern, wie sieht das Gelände aus.
Haben Sie Kontakt zu Bellingcat, der investigativen Journalisten-Organisation, die unter anderem anhand von Satelliten-Aufnahmen Truppenbewegungen beobachtet und Kriegsverbrechen nachweist?
Lars: Nein, es gibt Kontakte vor Ort zu den Dorfvorstehern. Wenn ab und zu das Handynetz funktioniert, haben wir halbwegs aktuelle Informationen.
Apropos Handynetz: Ist Elon Musks Starlink-Satellit noch im Einsatz oder hat er den seit seinem größenwahnsinnigen Vermittlungsversuch abgeschaltet?
Lars: Wir hatten mal ein Starlink-Gerät. Wenn wir unterwegs sind, gibt es keinen Funkkontakt mehr. Aber man lernt immer dazu.
Ihr habt öfters auch den Standort gewechselt – aus Sicherheitsgründen?
Lars: Auch. Wir waren bis Oktober in Charkiw, danach in Kramatorsk.
Wir haben vereinbart, Sie aus Sicherheitsgründen nur beim Vornamen zu nennen. Wie würden Sie die sich verändernde Gefahrenlage in den jeweiligen Stützpunkten beschreiben – gibt es auch Drohungen von russischen Trollen via Mails oder über Russia Today und ähnliche Kanäle?
Uri: Es gab Vorfälle, dass Helfer, die öffentlich aufgetreten sind, durch russische Propaganda in sozialen Medien auch auf ukrainischer Seite in Misskredit gebracht wurden. Bei einem konkreten Vorfall in einer Pizzeria in Kramatorsk, hat man einem kanadischen Volunteer angedichtet, seinetwegen die Pizzeria beschossen zu haben.
Lars: Ich kenne Leute, die auf dem russischen „Channel One“ gelandet sind oder in der Telegram-Gruppe „Track a Nazi“ – das sind prorussische Amerikaner, da tauchen viele bekannte Gesichter auf.
Auf eurer eigenen Website steht ihr mit Bild und Kurzbiographie. Seid ihr nicht, wenn jemand das will, dennoch leicht zu enttarnen?
Lars: Das Risiko besteht natürlich. Auf der anderen Seite brauchen wir auch eine gewisse Aufmerksamkeit für unsere Arbeit. Was wir nie machen, ist, Bilder aus der Basis zu posten, damit sich unser Standort nicht bestimmen lässt. Das Gleiche gilt für unsere Missionen, die Postings dazu folgen immer verzögert. Es ist nicht so einfach rauszubekommen, wo genau wir uns befinden, wenn wir irgendwo im Oblast Donezk unterwegs sind.
Die Lage wird für die Ukraine immer schwieriger. Sie Munition bleibt aus, das Milliardenpaket aus den USA ist durch den Shutdown eingefroren, die EU ist sich nicht einig, Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den populären General Walerij Saluschnyj gegen den unstrittenen, russisch-stämmigen Oleksandr Syrskyj ersetzt und am Horizont droht Trump – wie hat sich die Stimmung verändert?
Lars: Unser Eindruck ist, dass im Verlauf des Sommers bis Herbst immer mehr Menschen kriegsmüde wurden. Der große Motivationsschub durch die Gegenoffensive ist abgeebbt. Es sieht so aus, als würde sich nichts mehr bewegen. Der Verlust von Bachmut und Awdijiwka, wo die Russen die Hauptstraße übernommen haben, und es keinen Weg mehr raus und rein gibt, das waren alles negative Nachrichten. Wir waren auch in Bachmut und Awdijiwka aktiv – bis vor drei Wochen.
Uri: Noch ist es aber kein wirkliches Patt. Die Ukrainer zerstören immer wieder Nachschubwege im Hinterland. Vor kurzen erst hat Russland das dritte Schiff verloren – gegen ein Land ohne Marine ist das bemerkenswert. Aber hat keine direkten Auswirkungen auf die Front, was auch an den zögerlichen Hilfsleistungen liegt.
Wie gehen Sie mit der eigenen Angst um?
Lars: Man lernt zu unterscheiden, was reinkommt und Bumm macht und was rausfliegt und Bumm macht – wie nah das ist, wie groß oder klein. Wenn etwas 5 Kilometer entfernt einschlägt, nimmt man das kaum mehr wahr. Ich träume nicht viel. Angst habe ich nicht wirklich, eher Respekt vor der Gefahr. In dem Moment, wo der weg ist, ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Dann wird’s gefährlich.
Uri: Man bekommt ohnehin wenig Schlaf, der ist dann so intensiv, da ist keine Zeit zum Träumen.
Haben Sie den Eindruck, dass sich auch die Menschen vor Ort an die ständige Bedrohungslage gewöhnt haben?
Lars: Wie alle Zivilisten wollen sie, dass es aufhört. Sie sitzen in ihren Häusern und Kellern, machen nur ab und zu mal was draußen, wenn es ruhiger ist. Ich glaube, dass es inzwischen vielen egal ist, wer am Ende gewinnt. Hauptsache, es hört auf, dass Sachen in die Luft fliegen, und alle paar Tage Nachbarn sterben. Vor allem im Donbas, wo die Leute eine Rente zwischen 40 und 100 Euro haben. Sie haben den Eindruck, dass sie weder für die Russen noch für die Ukrainer höchste Priorität haben. Allerdings gilt das nicht für alle. Es gibt auch einige alte Leute, die sagen: „Die sollen nur kommen, die Russen, ich gehe hier nicht weg.“
Hat sich auch die Stimmung gegenüber Deutschland verändert, seitdem aus dem extrem zögerlichen Scholz so etwas wie der schüchterne Antreiber einer größeren europäischen Anstrengung geworden ist – und hat die Rolle Deutschlands überhaupt einen Einfluss auf die Wahrnehmung eurer Hilfsaktion?
Lars: Ironischerweise wird wahrgenommen, dass Deutsche als Helfer da sind. Es gibt noch ein paar ältere Leute, die Deutsch sprechen. Die kommen uns sagen, „Hände hoch, Papiere“, was sie noch von den deutschen Besatzern aus dem Weltkrieg kennen. Sie finden es lustig, dass jetzt Deutsche hier sind, um ihnen gegen die Russen zu helfen. Für uns ist es etwas seltsam, für viele Ukrainer unverständlich. Allerdings halten sich unsere Kontakte auch in Grenzen. Wenn jemand seine Medikamente mitnimmt und schnell wieder in seinen Keller will, hat er kein Bedürfnis nach langen Gesprächen. Die Soldaten bekommen die Diskussion über die Waffenlieferungen schon mit, aber Einfluss auf uns hat das nicht. Allerdings ist es für uns schon ärgerlich, dass ewig diskutiert wird. Wären die Waffenlieferungen umfangreicher, würden wir nicht ständig beschossen, weil wir eine bessere Luftverteidigung hätten und ruhiger schlafen könnten. Weil die Munition knapp ist, werden die gegnerischen Bumms häufiger, die ausgehenden seltener.
In welcher Lage würdet ihr sagen, wir müssen die Mission schweren Herzens beenden und das Land verlassen?
Lars: Es gab einmal Gerüchte von größeren Truppenbewegungen, dass die Russen durchbrechen könnten, um Charkiw und Kramatorsk abzuschneiden. Komplett das Land verlassen hätten wir aber nur, wenn es einen atomaren Unfall gegeben hätte oder bei Katastrophenszenarien, wenn Atombomben auf Kiew fallen. Wir haben im Kopf, dass so etwas passieren kann. Ich glaube aber nicht, dass die Front plötzlich kollabiert. So schnell bewegt sich ja nichts. Wir würden mitbekommen, wenn die Ukrainer sagen, wir ziehen uns zurück.
Spenden für „Universal Aid Ukraine“
„Universal Aid Ukraine“ (UAU) ist eine in der Ukraine gemeldete NGO. „Das hört sich aber größer an, als es ist“, sagt Co-Gründer Lars. „Lea und ich sind die Gründer, Lea ist die Direktorin. Im Endeffekt ist das nur der Name und die Repräsentation, unter diesem Dach arbeiten die Helfer.“ Der Vorteil für die Spender und Empfänger der Hilfsgüter: keine Verwaltungskosten. „Wir haben noch einen anderen Verein, ,Lift Ukraine‘ in Marburg, darüber rechnen wir unsere Sprit- und Lebenshaltungskosten ab, alles andere geht direkt an die Hilfsbedürftigen.“
„Zu Beginn konnte man die Hilfsgüter noch problemlos über die Grenze fahren“, erklärt Matthias Uri, Leiter Globale Fertigungs- und Technologielösungen bei BHS Corrugated. „Inzwischen muss jeder Transport deklariert, der Empfang bestätigt werden – es bestand die Notwendigkeit, so eine Organisation mit NGO-Konto und Stempel zu gründen.“
Man könnte meinen, die Ukraine würde Hilfslieferungen erleichtern – was ist der Grund, für diese Hürden? „Es ist ein Mittel gegen die Korruption, weil es leider nicht selten vorkommt, dass Hilfsgüter zu Geld gemacht werden“, sagt Lars. „Bei den Mengen an Sachspenden, die ins Land kommen, geht es wahrscheinlich um Milliardenwerte.“
„Das ist auch ein Grund für uns, unsere Sachspenden von BHS-Mitarbeitern, Nahrungsmittel und Medikamente direkt ins Lager von Lars und Lea zu bringen“, erklärt Uri. „Da es gibt es keine Zwischenhändler.“ Der BHS-Manager war im vergangenen Jahr viermal in der Ukraine. „Wir nehmen bewusst einen Fiat Ducato unter 3,5 Tonnen als Transporter, um Lkw-Stau an der Grenze zu umgehen.“ Und Lebensmittel könne man vor allem im westlichen Landesteil bis Charkiw gut vor Ort einkaufen.
Bei seinen Fahrten ist Uri immer eine Woche unterwegs. Dazu kommt die Vor- und Nachbereitung. „Ich habe großes Glück, dass ich von der BHS so unterstützt werde“, freut er sich über die Rückendeckung der BHS-Geschäftsführung mit Christian und Lars Engel, die voll hinter den Hilfsaktionen steht. „Vor allem auch beim Einkauf, weil man Verbandsmaterialien und sonstige spezifische Hilfsgüter nicht so einfach online kaufen kann.“
Am dringendsten bräuchten die kriegsgeplagten Ukrainer Medikamente, Lebensmittel, Wasser, Decken und Winterklamotten. „Auch Baumaterial, um weggesprengte Fenster zunageln zu können“, ergänzt Lars. „Teilweise auch Generatoren, sofern sie an Benzin kommen.“ Auch Tierfutter würde erstaunlich oft nachgefragt. „Die Leute sagen, wir haben so viele streuende Hunde und Katzen, weil die Besitzer weg oder gestorben sind – die können wir doch nicht sich selbst überlassen.“
Wer Lars und Lea bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit in der Ukraine unterstützen möchte, findet hier verschiedene Möglichkeiten.
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