Grafenwöhr: Fakenews über US-Hyperschall-Rakete Richtung Moskau

Weiden/Leipzig. In meiner täglichen Fahrrad-Mittagspause höre ich Podcasts, wie den zum Krieg in der Ukraine. Bei der Frage einer Leserin aus Weiden werde ich hellhörig: „In einem Video wird behauptet, dass in Grafenwöhr Raketen Richtung Moskau stationiert werden – stimmt das?“ Eine Aufklärungsmission.

Der prorussische Ex-Linken-Abgeordnete Dieter Dehm behauptet in einem Video, die USA würden in Grafenwöhr atomare Hyperschallraketen stationieren, die in zehn Minuten Moskau erreichen könnten. Fotos/Collage: Screenshot/jrh

„Was tun, Herr General?  – Der Podcast zum Krieg in der Ukraine“ ordnet seit Beginn des russischen Angriffskrieges die Situation in der Ukraine Woche für Woche sachlich und nüchtern ein. Der Dialog zwischen MDR-Moderator Tim Deisinger und dem früheren Nato-General Erhard Bühler ist eine verlässliche Quelle für alle, die das Stimmen-Wirrwarr in Medien und Internet zunehmend ratlos zurücklässt.

Wenn Bühler und Deisinger dann auch noch Themen besprechen, die unmittelbar die nördliche Oberpfalz betreffen, weckt das natürlich auch das Interesse von OberpfalzECHO. Umso mehr, da sich offensichtlich immer wieder Menschen von höchst dubiosen Quellen aus dem Netz verunsichern oder beeinflussen lassen – wie die Frau aus Weiden, die in Ihrem Leserbrief an general@mdraktuell.de schreibt:

„Ich bin in den Sozialen Medien über ein Video gestolpert, in dem behauptet wird, dass in Grafenwöhr am US-Truppenübungsplatz Hyperschallraketen ,Tomahawk‘ – laut Video eine Erstschlagwaffe – stationiert und in Richtung Moskau ausgerichtet werden sollen. Diese seien zwölfmal schneller als der Schall, könnten in 12 Minuten in Moskau sein. Ergebnis dieser Aktion wäre, dass Deutschland, obwohl die Raketen nicht auf deutschem, sondern auf, wenn auch recht kleinem US-Staatsgebiet stehen, in den Fokus der russischen Abwehrkräfte rücken würde. Da die Schlussfolgerung, Deutschland rückt dadurch in den Fokus, für mich schlüssig klingt, die Frage, ob es sich dabei um eine wahre Nachricht handelt oder ob es ein Fake ist?“

„Aneinanderreihung horrenden Blödsinns“

MDR-Moderator Tim Deisinger schickt voraus, dass es sich seiner Einschätzung nach bei dem Video, zu dem die Weidenerin einen Link mitgeschickt hat, um eine Aneinanderreihung horrenden Blödsinns handle: „Aber ich finde, dass man sich von Blödsinn auch mal ein Bild machen muss und denke, dass wir uns die paar Sekunden mal gönnen.“ Das Video sei vom Instagram-Kanal „Show to go“ publiziert – Auszüge aus dem Original-Text:

„Während überall Proteste laufen, werden in der Oberpfalz, in Grafenwöhr, amerikanische Überschallraketen stationiert“, sagt Jörg-Diether Wilhelm Dehm-Desoi, Mitglied des Deutschen Bundestags 1994 sowie von 2005 bis 2021 und unter anderem einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der PDS von 1999 bis 2003. „Mit diesem Geld wird dann in Grafenwöhr, das liegt in der Oberpfalz, ein Truppenübungsplatz aus der deutschen Gesetzlichkeit ausgegliedert, und den USA sozusagen als exterritoriales Gebiet überstellt.“ Das sei 230 Quadratkilometer groß.

Die Oberpfalz Ziel der russischen Flugabwehr?

„Nun sollen da Hyperschallraketen, zwölffach schneller als der Schall, dort installiert und Richtung Moskau gerichtet werden. Die können im schlechten Falle in zehn Minuten Moskau erreicht haben, und es sind typische Erstschlagwaffen. Somit wird Deutschland in den Fokus der russischen Abwehrkräfte, möglicherweise auch anderer gerückt. Ein Schuss übrigens von diesem Tomahawk kostet 40 Millionen – an alle, die jetzt auf der Straße sind und sich beschweren. Wir zahlen dafür, dass wir selber zum Schlachtfeld werden, dass wir hingerichtet werden, dass wir mutwillig zum Target der russischen Flugabwehr werden müssen.“

Die Behauptungen des früheren Abgeordneten aus Frankfurt am Main, dessen größtes, allgemein bekanntes Verdienst im Übrigen der von ihm mitgetextete Song „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“ von Klaus Lage ist, kommentiert im Podcast Erhard Bühler, Generalleutnant des Heeres a.D. und ehemaliger NATO-General.

Weiden und Grafenwöhr seien Bühler schon aus seiner Zeit als Brigadekommandeur in Amberg gut bekannt. „Ich habe viele Tage in Grafenwöhr verbracht, auch in Hohenfels, auf den beiden amerikanischen Truppenübungsplätzen dort in der Oberpfalz, aber ich kann Ihnen sagen, da ist nichts dran.“ Das sei allerdings auch kein Fake, sondern leider spreche dort ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter, der immerhin 17 Jahre im Bundestag verbracht habe und dann mit so einer Verschwörungstheorie daherkomme. „Und das zeigt einfach, wie viele Informationen im Internet sind, denen man einfach nicht vertrauen darf.“

Neujahrsempfang Stadt Weiden 2024
Der Kommandeur der US-Army Garrison Bavaria, Oberst Kevin A. Poole (Mitte, hier beim Neujahrsempfang der Stadt Weiden) hat eine Gastrolle in einem München-Tatort. Foto: Christine Ascherl

Grafenwöhr als exterritoriales US-Gebiet?

Zu der Behauptung, Grafenwöhr sei ein exterritoriales Staatsgebiet, sagt der General: „Die Stationierung von Truppenteilen eines anderen Staates bei uns ist in Stationierungsverträgen geregelt. In diesem Fall ist es der Aufenthaltsvertrag, der bereits 1954 geschlossen worden ist und praktisch den Übergang von der Besatzungsarmee zur Schutzarmee geregelt hat.“ Später sei der Status auch im Nato-Truppenstatut geregelt worden. „Solche Verträge sind ähnlich für alle Nato-Partner. Es gibt sie auch für deutsche Truppenteile, die in anderen Staaten stationiert sind.“ Das Territorium, auf dem sich die jeweilige Liegenschaft, hier also der Truppenübungsplatz Grafenwöhr, befinde, sei und bleibe deutsches Hoheitsgebiet, auf dem uneingeschränkt deutsches Recht gelte. „Die Soldaten und ihr ziviles Gefolge sind vertraglich zur Einhaltung des deutschen Rechts verpflichtet.“

Was der ehemalige Bundestagsabgeordnete offenbar mit der Regelung der Gerichtsbarkeit verwechsle. Die sei tatsächlich anders. „Zum Beispiel bei Straftaten übt nicht Deutschland, sondern der Entsendestaat, die USA, die Gerichtsbarkeit aus.“ Umgekehrt lege auch die Bundeswehr sehr viel Wert darauf, dass deutsche Soldaten, die zum Beispiel in Jordanien oder im Irak stationiert seien, bei eventuellen Straftaten nicht nach jordanischem oder irakischem Recht verurteilt würden, sondern nach deutschem Recht. „Das stellt aber in der Praxis gerade im deutsch-amerikanischen Verhältnis in der Oberpfalz überhaupt kein Problem dar.“ Auf den beiden Truppenübungsplätzen gebe es eine überaus gute Zusammenarbeit der deutschen Behörden mit den Amerikanern, die extra eine Gruppe eingerichtet hätten, um die Verbindung zu den deutschen Behörden zu halten.

Auf den Oberpfälzer Straßen wird es, wie beim Manöver „Combined Revolte“ – „Gemeinsamer Beschluss“ – vor zwei Jahren, zu Behinderungen kommen. Rund 450 Soldaten aus vier Oberpfälzer Bundeswehrverbänden nehmen dann an dem Großmanöver „Steadfast Defender“ der Nato im Mai teil. Foto: Jürgen Herda

Tomahawk, eine Überschallrakete?

Tomahawks seien Marschflugkörper aus den 80er Jahren. „Der kommt aus dem Kalten Krieg, er fliegt ähnlich schnell wie ein Verkehrsflugzeug.“ Es gebe sie in land-. see- und luftgestützter Variante. „Wenn wir uns an den Doppelbeschluss erinnern in den 80er Jahren, da hat immer die Pershing eine Rolle gespielt. Gleichzeitig hat man von Cruise-Missiles gesprochen, also von Marschflugkörpern, das waren diese Tomahawks.“ Sie seien 1987 aus Deutschland abgezogen worden. „Es gibt heute keine landgestützten, nuklear bewaffenbaren Tomahawks mehr.“

Man habe sie im Rahmen des Mittelstrecken- oder des INF-Vertrags zur Reduzierung der Mittelstreckenwaffen verschrottet. „Wenn es Pläne gäbe, und die gibt es nicht, solche Marschflugkörper wieder aufzustellen in Deutschland, müsste die Bundesregierung zustimmen.“ Und da würden die Amerikaner vorher mit den Deutschen sprechen. „Das ist im Moment völlig ausgeschlossen.“

10 Minuten bis Moskau?

„Es gibt Varianten, die um die 2000 Kilometer weit fliegen“, sagt der General. „Es gibt auch Varianten, die etwas weiter fliegen.“ Aber das sei eine rein theoretische Diskussion. „Von zwölffacher Schallgeschwindigkeit kann überhaupt nicht die Rede sein.“ Moderator Tim Deisinger ergänzt: „Selbst wenn sie so weit fliegen würden, sie bräuchten mindestens drei Stunden bis dorthin und sie würden auch nicht auf geradem Wege hinfliegen.“

Kostet ein Tomahawk wirklich 40 Millionen Euro pro Stück?„Da hat er, glaube ich, eine Null zu viel angehängt“, sagt Bühler. „Es gibt eine Angabe, die öffentlich ist, und das sind 4 Millionen.“ Auch das sei ja schon ein stolzer Preis für eine solche Waffe. „Die Zahl ist deshalb offen, weil sie aus offiziellen Regierungsquellen der Amerikaner stammt.“ Für eine Exportversion dieser Rakete – sie werde auch bei den Briten und bei den Niederländern schiffsgestützt eingesetzt – wisse man eine ziemlich genaue Zahl.

Dehms prorussische Position

Über seine Quellen, die ihn zu den Behauptungen im Video gebracht haben, schweigt sich Dieter Dehm aus. Der Musikproduzent, Liedermacher und Politiker war zuerst Mitglied der SPD, dann der PDS und schließlich der Partei Die Linke. Als Musiker trat er anfangs mit dem Künstlernamen Lerryn auf. In den 1970er Jahren soll er als Spitzel für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) den regimekritischen Liedermacher Wolf Biermann ausgespäht haben, dessen Manager er war. Das mutmaßliche Motiv liegt nahe: Eine herzhafte Ablehnung der USA und der Nato.

Im April 2014 erklärte Dehm in einem Interview mit dem russischen Staatssender „Stimme Russlands“ zum Ukraine-Konflikt, dass US-amerikanische Geheimdienste Einfluss auf die Berichterstattung deutscher Medien hätten. Seine eigene Fraktion im Bundestag distanzierte sich umgehend von dieser Äußerung. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nahm Dehm eine prorussische Position ein und sagte im Juni 2023, Kriegsursache sei das „Ranrobben der NATO an die russische Grenze“. Im Mai 2021 ließ sich Dehm in Russland in Anwesenheit von Journalisten des staatlichen Fernsehens mit dem dort entwickelten Impfstoff Sputnik V gegen das Corona-Virus impfen.

In mehr als 180 Episoden haben MDR-Moderator Tim Deisinger und der frühere Nato-General Bühler über das aktuelle Kriegsgeschehen, politische und militärische Strategien, aber auch über die Kriegspropaganda von russischer und ukrainischer Seite gesprochen. Foto: MDR

Was tun, Herr General? – Der Podcast zum Krieg in der Ukraine

Welche Strategie verfolgt die russische Armee in der Ukraine? Wie stark sind die Verteidiger? Wie hilfreich ist die Unterstützung von Deutschland und NATO? Und immer wieder: Was ist Strategie, was Taktik und was ist Kriegspropaganda? Das Nachrichtenradio MDR AKTUELL diskutiert diese und andere drängende Fragen zum Ukraine-Krieg im Podcast „Was tun, Herr General?“ mit Erhard Bühler, Generalleutnant des Heeres a.D. und ehemaliger NATO-General.

Bühler hat seit 1976 in unterschiedlichsten Funktionen der Bundeswehr gedient. So übernahm er im Jahr 2010 die Führung des KFOR-Einsatzes in Prishtina (Kosovo). 2019 wurde er Befehlshaber des Allied Joint Force Command im niederländischen Brunssum, eines der beiden militärischen Oberkommandos der NATO in Europa. Von hier wurde unter anderem der NATO-Einsatz in Afghanistan gesteuert.

Im Mittelpunkt jeder Podcast-Episode: die profunde Bewertung von Kampfgeschehen und Frontverlauf, aber auch die politische Gemengelage in Moskau, Washington und Berlin. „Die Hörerinnen und Hörer schätzen Bühlers ruhige, analytische Art, das militärische und militärpolitische Geschehen einzuordnen“, sagt Podcast-Redaktionsleiter Mike Heerdegen-Simonsen. Erhard Bühler habe sich als herausragender Partner zur Erklärung des Ukraine-Konflikts erwiesen. Man erlebe ihn stets als besonnenen Militär, der auch unangenehme Wahrheiten ausspricht, sich aber nie zu Spekulationen hinreißen lasse.

Mit Tim Deisinger führt einer der erfahrensten Moderatoren des Nachrichtenradios durch den Ukraine-Podcast von MDR AKTUELL. In mittlerweile mehr als 180 Episoden haben Deisinger und Bühler über das aktuelle Kriegsgeschehen, politische und militärische Strategien, aber auch über die Kriegspropaganda von russischer und ukrainischer Seite gesprochen. Außerdem haben sie viele Fragen von Hörerinnen und Hörern beantwortet und dazu mehrere Spezialfolgen veröffentlicht.

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2 Kommentare

günter wittmann - 05.02.2024

Meine Meinung zu Ihrem Artikel „Grafenwöhr: Fakenews über US-Hyperschall-Rakete Richtung Moskau“ vom 26. Januar 2024 Es fiel mir auf, daß dem Framing der beteiligten “Fakenews-Produzenten” in ihrem Artikel sehr und m.E. viel zu viel Platz eingeräumt wurde. Mit drängen sich schon fast Parallelen zur Causa Julian Assange auf. Der, welche die Bevölkerung über Mißstände versucht zu informieren, wird in der Öffentlichkeit diffamiert. Kernpunkt Ihres Artikels ist doch die drohende Stationierung dieser Hyperschallwaffen in unserer unmittelbaren Nähe ( Grafenwöhr )und nicht die Vita derer, die es öffentlich gemacht haben. Was in Ihrer Darstellung durcheinandergerät ist die Unterscheidung zwischen Tomahawk-Marschflugkörpern und den für Deutschland vorgesehenen Hyperschallraketen namens Dark Eagle. Ein Schuss der Dark Eagle (dunkler Adler) kostet tatsächlich 40 Millionen Dollar, siehe: https://www.airandspaceforces.com/article/cost-effective-long-range-strike/ Tatsächlich wäre das klar geworden, wenn man die zehn Minuten aufgebracht und sich den gesamten Beitrag des Friedensaktivisten Diether Dehm auf Nachschlag- Express angehört hätte. In der Version, die im Netz kursiert, hat sich tatsächlich der Fehler eingeschlichen, weil der mann Tomahawk und Dark Eagle verwechselte. Letztere sind die zur Stationierung geplanten Erstschlagswaffensysteme, welche insbesondere den Truppenübungsplatz der US-Army definitiv als anzuvisierendes Ziel seitens Russland nicht ausschliessen werden. Dies kann eher schon als gesichert angenommen werden. Die Stationierung dieser brandgefährlichen Dark Eagles, die in zehn Minuten Moskau erreichen können und somit Überraschungswaffen, also unabfangbare Erstschlagwaffen darstellen, könnte uns in Grafenwöhr blühen, da hier bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen werden – ebenso wie in der US- Kommandozentrale Wiesbaden, von wo aus diese Waffen gesteuert werden sollen. Der deutsche Leser muss jedoch Auslandspresse lesen, z.B. die Asia Times, oder Fachzeitschriften wie Europäische Sicherheit und Technik, um das zu erfahren, weil es die deutschen Leitmedien tunlichst verschweigen. Die reale Gefahr eines Krieges auf deutschem Boden besteht, und das Kriegsgeheul vieler Politiker lässt Böses ahnen. https://asiatimes.com/2021/11/death-at-mach-5-germany-to-get-lethal-dark-eagle- missile/ PS: Tomahawks wurden tatsächlich im Rahmen des Abrüstungsvertrages INF abgezogen, aber dieser Vertrag wurde 2019 von den USA gekündigt, und moderne Versionen dieser Marschflugkörper befinden sich unterdessen auf Schiffen und U-Booten. Der geneigte Leser sollte sich lieber vielseitig über diese neuen Erstschlagwaffen informieren und dies besser ncht nur in den gängigen Mainstreammedien. Recherchen in der internationalen Presse wären da sicher sehr hilfreich. Mit freundlichen Friedensgrüßen Günter Wittmann ( Friedensaktivist )

Soli - 26.01.2024

Ich denke nicht, dass extra Waffen und Raketen hier in Grafenwöhr stationiert werden. Die sind mit Sicherheit schon lange überall in Natoländern verteilt. Schließlich spielt werder Militär noch Nato nur mit Kinderspielzeug. Und Verteidigungs Vorbereitung bringt nichts, wenn man erst anfängt, wenn der andere ,egal wer, zuerst zuschlägt. Trotzdem sollten vor jeder Waffengewalt Friedensverhandlungen stehen.