Anleitung zur Freimaurerei (5): Lernt die Menschheit jemals dazu?

Hahnbach/Weiden. Die Aufklärer des 17. Jahrhunderts träumten von einer vorurteilsfreien Zukunft. In der virtuellen Realität heute haben Verschwörungstheorien wieder Hochkonjunktur. Die Freimaurer der Loge „Septem Fontes“ sind dennoch unverbesserliche Optimisten.

Freimaurer-Meister Ludwig von Stern (links) und Johannes Witte im Gespräch. Foto: Jürgen Herda

Beim christlichen Glauben steuert der Mensch auf die Vollendung des Einzelnen und der gesamten Schöpfung zu. Man nennt das Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen. Bei Hegel bewegt sich die Menschheit auf einen Weltgeist, einen „Endzweck“ in der Weltgeschichte zu: die „Vernunft in der Geschichte“. Auch der Kommunismus prophezeit eine Art Paradies auf Erden, sobald alle Klassenschranken überwunden sind.

Menschheitsgeschichte als Abfolge von Kriegen

So viel zur Theorie, die nach Goethe immer grau bleibt. Die Praxis menschlichen Seins ist oft genug blutrot eingefärbt. Die Geschichte erscheint als Abfolge von Eroberungen, Kriegen und Völkermorden. Allenfalls vollzieht sie sich in Wellenbewegungen. Phasen kriegerischer Konflikte wie dem Dreißigjährigen Krieg, den nur ein Drittel der europäischen Bevölkerung überlebte – vor allem durch die damit einhergehenden Seuchen und Hungersnöte –, folgten relative Friedensphasen.

Dem nationalistischen Supergau des Zweiten Weltkriegs, mit geschätzten 75 Millionen Todesopfern, folgte eine gewisse Friedenssehnsucht der Erlebnisgeneration, ein Zusammenrücken in europäischen Institutionen. Aber zugleich eine neue Konfrontation der Blöcke mit ihren jeweiligen Militärbündnissen. Und neuen blutigen, rücksichtslosen Stellvertreterkriegen. Und dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs folgte ein neuer Imperialismus Russlands und Chinas.

Kein Pazifist: Friedrich der Große als Freimaurer, um 1740. Grafik: Unbekannt

Unendlich: das Weltall und die Dummheit der Menschen

Die Freimaurer der Loge „Septem Fontes“ im „Orient Sulzbach-Rosenberg“um deren Mitbegründer, den OTH-Kanzler Ludwig von Stern und Apotheker a.D. Johannes Witte, sind der Aufklärung verpflichtete Idealisten. Für wie lernfähig halten sie die Menschen, wenn man etwa konstatieren muss, wie hartnäckig sich die verrücktesten Vorurteile über Juden halten, sooft sie auch immer und immer wieder widerlegt wurden? „Das Aufbrechen des Antisemitismus ist ein großes Thema bei uns“, sagt von Stern.

Und Witte vervollständigt: „Das ist ein riesiger Angriff auf die Menschlichkeit und Toleranz.“ Albert Einstein habe gesagt: „Zwei Dinge sind unendlich, das Weltall und die Dummheit der Menschen – wobei, bei ersterem bin ich mir nicht sicher.“ Da der einzelne Mensch aber nun einmal selten die ganz großen Weichen stellen könne, müsse jeder an seinem Platz Vorbild sein. Das ist nach den beiden ersten Aufgaben der Freimaurer, „erkenne dich selbst“ und „werde der, der du sein kannst!“ die dritte Mission: „Wirke in die Welt!“

Die Dummheit des Stürmers: Der Antisemitismus der Nazis verstand weder die Relativitätstheorie des Jahrhundert-Genies Albert Einstein noch die überragende Menschlichkeit des jüdischen Freimaurers. So beraubte sich Deutschland seiner größten Denker. Collage/Grafik: Bundesarchiv, Freimaurer-Wiki, Peter Zimmer, jrh

Methode Witte: Nicht das Gesicht verlieren lassen

Und da gebe es jede Menge zu tun. Der rüstige Rentner und begeisterte Motorradfahrer Witte ist auch Vorturnerin einem Kickboxverein. „Da sagt neulich so ein junger Kerl, während meine Frau und eine Freundin dabei sind, ,das ist doch ein männlicher Kampfsport!‘“ Darauf Witte: „Guck‘ dich mal um, wie gut die Mädels das können.“ Da sei der Bursche schon stiller geworden. „Darauf sagt ein anderer Junge, der schon die Augen verdreht hat, zu ihm: ,Das ist ein Respektsport, denk mal bitte nach!‘“

Später habe Witte den jungen Hitzkopf an anderer Stelle wieder gelobt. Denn auch das sei wichtig: Den Menschen mit Respekt begegnen, ihnen die Chance zur Umkehr einräumen. Schließlich gibt es bereits genügend verhärtete Fronten. „Man kann den jungen Leuten so schnell das Gesicht nehmen“, erklärt der kämpferische Pädagoge. Ludwig von Stern ist begeistert von der Methode „Witte“: „Nur über so etwas lernt man den Wert der Wertschätzung kennen.“ Eine kleine Geschichte sicherlich, aber doch eine Parabel für die Lernfähigkeit der Menschen.

Planvoller Ruin unseres Wohlstandes

Menschen neigen dazu, einmal erlangte Erkenntnisse für allgemeingültig zu halten. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus etwa. Jeder vernunftbegabte Deutsche könnte anhand von Aufstieg und Fall des Dritten Reiches erkennen, dass die Faschisten nicht „nur“ die Welt in Brand gesetzt haben. Sie haben nach absehbarer Niederlage auch die Deutschen geopfert. Wenn man schon die Empathie nicht aufbringt, die Vernichtung von Millionen Juden als herzzerreißend zu empfinden, könnte man immerhin den Selbsterhaltungstrieb besitzen, nicht erneut auf die hohlen Phrasen der extremen Rechten hereinzufallen.

Und doch: Immer weniger Wähler kümmert der klare Nachweis, dass die AfDim Kern eine rechtsextreme, fremdenfeindliche, antisemitische Partei ist. Und offensichtlich ist man auch bereit, ein Programm zu akzeptieren, das für die Export-abhängige deutsche Wirtschaft den Austritt aus der EU und eine internationale Isolierung in einem konfrontativen Kontext mit einer aggressiven Großmacht Russland und einer expansiven kommenden Supermacht China riskiert. Mit anderen Worten: den planvollen Ruin unseres Wohlstandes.

Verfolgte des NS-Regimes, die auch Freimaurer waren. Fotos/Collage: Bundesarchiv/jrh

„Schloss voller leerer Zimmer“

Erkenntnis muss in jeder Generation neu erfahren werden. Der Rückgriff auf ein kollektives Geschichtsbewusstsein versagt. Deshalb bietet die Freimaurerei sicherlich nicht für die gesamte Menschheit, aber doch für die Wahrheitssucher dieser Welt die Chance, sich selbst zu finden, zu läutern und mit gutem Beispiel voranzugehen. „Es gab mal einen enttäuschten Beamten, der gesagt hat, die Freimaurerei ist ein Schloss voller leerer Zimmer“, erzählt Witte. „Er hat recht, aber er vergisst: Sie bietet mir Muster, wie ich mir mein Zimmer selbst gestalten kann.“ Es sei sehr anregend, wenn ihn Ludwig von Stern einlade, in sein Zimmerchen zu schauen und umgekehrt.

„Manchmal können wir Anregungen austauschen“, sagt der Pharmazeut, „wir haben das Ziel tieferer Erkenntnis, um das dann konsequent umzusetzen.“ Dafür biete die Freimaurerei Werkzeuge an. „Wir arbeiten dabei gerne mit Symbolen, Gedankenfolgen und emotionalen Assoziationen.“ Von Stern finde es unverständlich, wenn jemand von der Freimaurerei enttäuscht sei: „Man kann nur von sich selbst enttäuscht sein.“ Die Freimaurerei sei ein blühender Baum voller Erkenntnisse: „Wie der Zirkel, der immer P konstruiert, oder der rechte Winkel, der Auskunft gibt, was ist richtig, was ist falsch, was geht nach oben, was nach unten.“

Diese Abbildung stellt eine deutsche Übersetzung einer amerikanischen Vorstellung dar. Auf der Abbildung fehlt der Freimaurer-Orden, den es in dieser Form nur in Deutschland gibt, bzw. in Ländern, in denen nach dem „Schwedischen System“ gearbeitet wird. Außerdem sind Frauenlogen nicht dargestellt. Deutsche Überarbeitung Hajo Naber. Foto: Freimaurer-Wiki

Johannismaurerei oder schottischer Ritus: 3 bis 33 Grade

„Wir nennen unsere dreigradige Maurerei – Lehrling, Geselle, Meister – die blaue oder Johannis-Freimaurerei“, erklärt Johannes Witte. „Bei den Hochgradlogen nach schottischem Ritus gibt es 32 Grade plus einem Funktionsgrad, die aber nicht alle bearbeitet werden.“ Die hochgradigen Logen würden erst mit dem vierten Grad anfangen, vervollständigt Ludwig von Stern das Bild. „Ich bin ein überzeugter Johannis-Mauerer“, sagt Witte.

„Das Hochgradsystem ist fakultativ und löchrig“, fährt von Stern fort. „Man wird als Meister von anderen Logen gefragt, ob man mitmachen möchte.“ Dort würden lediglich herausgehobene Themen, nicht alle 33 Grade, durch Anfertigung von Zeichnungen behandelt. „Man bearbeitet zum Beispiel den 8. Grad, und dabei werden die Grade 5 bis 7 mit erklärt.“

Dabei fertige man Vorträge aus, die nicht zwingend gehalten würden. „Mir wurde das irgendwann zu viel, weil es mir im Verhältnis zum Aufwand zu wenig gebracht hat“, erklärt von Stern. „Ich habe die Ritus-Arbeit als unpassend empfunden, jedes Wochenende ein anderer Grad.“ Er sei jemand, der langsam verdaut: „Das ist eine Reizüberflutung.“

Ludwigs Entdeckung der Langsamkeit will Witte so nicht stehen lassen: „Na, na, na, stell dein Licht nicht unter den Scheffel“, sagt er süffisant. „So etwas ist bezeichnend für viele Frotzeleien untereinander.“ Man habe sich hier kennen- und schätzengelernt: „Wir gehen so vertraut miteinander um, als würden wir uns seit 20 Jahren kennen.“

Der Vertrauensvorschuss, den man sich nach dem gemeinsamen Wertekanon zugestehe, habe sich im besten Sinn bewahrheitet: „Nach meiner Aufnahme vor 18 Jahren hat der Meister vom Stuhl zu mir gesagt: ‚So, jetzt bist du Bruder, und wenn du Glück hast, findest du auch noch Freunde‘.“ Und Witte habe einige gefunden.

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