Dinner bei Imam Maher Khedr: Meisterköchin Nermin, islamische Gastfreundschaft und herzlicher Humor

Eschenbach. Wer bei der Familie von Imam Maher Khedr zum Abendessen eingeladen ist, sollte zuvor drei Tage fasten. Was die passionierte Meisterköchin Nermin auftischt, passt kaum auf den ausgezogenen Esstisch. Das Tischgespräch ist so amüsant wie die Speisen delikat – und die Familie reizend.

Meisterköchin Nermin (Mitte) mit den Söhnen Florian Mohammed und Fabian Ahmed versprüht gute Laune: Abendessen bei der Familie des Imam in Eschenbach. Foto: Jürgen Herda

Fangen wir beim Klischee „deutsche Pünktlichkeit“ an. Um 18 Uhr sind wir verabredet, Ankunft bei Familie von Imam Maher Khedr (55): 18.15 Uhr, das akademische Viertelstündchen zu spät. Aber so ist das nun mal in multikulturellen Gesellschaften. Nichts ist so, wie es einmal war. Und manchmal ist das auch ganz gut so.

Denn Familie Khedr kann herzlich darüber lachen, dass sie selbst inzwischen in der alten Heimat Ägypten als typisch deutsch gilt: „Wir nehmen deutsche Lebensmittel mit nach Zagazig“, sagen Tochter Anna Salsabil (18, bedeutet so viel wie die „Fontäne im Paradies“) und der jüngere Sohn Fabian Ahmed (12, der „Hochgepriesene“): „Es gibt zwar dort auch alles, aber selbst Nutella schmeckt anders.“

Und dann der Kampf mit der manchmal ausufernden Gastfreundschaft: „Die Verwandten stellen uns noch drei Tage vor der Abreise Kisten mit 30 Kilo Mangos in die Wohnung“, stöhnt Mutter Nermin (44). Selten trifft die Bedeutung eines Namens so ins Schwarze wie der von Nermin: Mit die „Sanfte, Weichherzige, Liebevolle“ kann man ihn übersetzen. Fehlt nur noch die „Humorvolle“. Die Frau des Hauses versprüht gute Laune und bringt jede Gesellschaft zum Lachen.

Maher Khedr und sein älterer Sohn Florian Mohammed: Abendessen bei der Familie des Imam in Eschenbach. Foto: Jürgen Herda

So deutsch sind die Khedrs inzwischen

Wie deutsch die Khedrs inzwischen sind – Maher hat die deutsche Staatsangehörigkeit 2001, Nermin 2009 angenommen, die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen – zeigt das interkulturelle Missverständnis bei Verabredungen: „Ich wollte die Familie zum Essen einladen und deshalb wissen, wann sie kommen“, erzählt Nermin. Für ihre Schwester fast ein Affront: „Warum fragst du – bei mir kannst du jederzeit kommen?!“

Für Meisterköchin Nermin, die stundenlang in der Küche steht, um verschiedene Suppen zu kochen, Lamm und Ente zu braten, gefüllte Weinblätter zu rollen, Paprika, Zucchini und Auberginen zu füllen und goldgelben Safranreis mit gerösteten Mandeln und Rosinen zu zaubern, ein schwer zu lösendes Dilemma: „Ich will das Essen frisch servieren!“, seufzt sie ein wenig verzweifelt. „Bei den viel zu vielen Kisten Mangos, die sie mitbringen, sagen wir schon gar nichts mehr“, sagt Maher, um die Verwandten nicht zu kränken.

Ein Besuch bei Freunden: Abendessen bei der Familie von Imam Maher Khedr. Foto: Jürgen Herda

Von der Klosterschule zum Auto-Fabrikanten

Eine ganz normale Familie wohnt da in ihrem Eschenbacher Einfamilienhaus – mit den gleichen kleinen Freuden und Sorgen wie die Oberpfälzer Nachbarn. „Was hast du zu Weihnachten bekommen?“, fragt Vater Maher, der „Talentierte“, seinen Sohn Fabian, um deutlich zu machen, dass es auch im muslimischen Haushalt Geschenke zu Christi Geburt gibt. „Die Playstation 5“, strahlt der Sohnemann. „Die bleibt aber bis Fasching in der Schublade“, mahnt Mama Nermin. „Ach nee, bis zum Wochenende haben wir ausgemacht.“

Fabian Ahmed, der „Hochgepriesene“, besucht die Kloster-Realschule in Auerbach. „Das ist super“, strahlt die Frau Mama, „die Schwestern sind streng, wenn die Kinder in die Schule kommen, müssen sie ihr Handy abgeben – das sollten wir zu Hause auch einführen.“ Fabian hat schon einen Plan für die Zukunft: „Ich will Ingenieur werden“, sagt er. „Für Autos – und mit meiner eigenen Fabrik.“ Alle Achtung, der neue Elon Musk kommt aus Eschenbach.

„Die Playstation bleibt bis Fasching in der Schublade“, mahnt Mama Nermin. „Ach nee, bis zum Wochenende haben wir ausgemacht“, verhandelt Fabian. Foto: Jürgen Herda

Nachwuchs für Bundeswehr und Krankenhaus

Das ist halt noch Anstand: „Danke Mama!“, bedankt sich Florian Mohammed (17), der „Gelobte“, für die Kochkünste seiner Mutter. Welcher Teenager hat heute noch so viel Anstand? Der Eschenbacher Wirtschaftsschüler hat sich bei der Bundeswehr beworben und will dort seine Ausbildung zum Mechatroniker absolvieren. Die Khedrs bringen auch noch unser marodes Militär auf Vordermann.

Tochter Anna tritt in die akademischen Fußstapfen der Mutter, die aus Ägypten einen Master in Sportwissenschaften mitbrachte und derzeit auf Deutschlehrerin für Ausländer umsattelt. „Wahrscheinlich werde ich Medizin studieren“, sagt die junge Frau, die sich aber auch eine Karriere als Staatsanwältin vorstellen könnte. Nebenbei hat sie das leckere Dessert zubereitet: „Baklava, gefüllt mit Ricotta und Mascarpone.“

Anna Salsabils unwiderstehliche Baklava gefüllt mit Ricotta und Mascarpone samt Scherzkeks Fabian. Foto: Jürgen Herda

Der nächste Schritt: Vermittler zwischen den Kulturen

Die deutsch-ägyptische Musterfamilie widerlegt alle Vorurteile, insbesondere auch gegen muslimische Einwanderer: „Ich habe noch keinen einzigen Tag Sozialhilfe bezogen“, sagt der Imam, der sein Geld seit 25 Jahren als Fertigungsleiter bei Kerafol in Eschenbach verdient, wo auch seine Frau gearbeitet hat. „Wir versuchen, die Menschen hier mit unserem Fleiß zu überzeugen.“ Man habe sich integriert, ohne eigene Werte zu verlieren: „Man kann Weihnachten feiern, ohne Schweineschnitzel zu essen.“ Für die Khedrs ist Deutschland kein Übergangsland: „Wir sind Teil der Gesellschaft.“

Als solche wollen sie jetzt den nächsten Schritt wagen: „Ich denke, ich kann als Seelsorger in Schulen einen noch größeren Beitrag für die Integration muslimischer Jugendlicher leisten, die sich fremd fühlen und sich deswegen abgrenzen.“ Der Bedarf an klugen Vermittlern zwischen den Kulturen ist groß. Ein Moslem wie Maher, der die deutsche Imam-Ausbildung durchlaufen hat und von Moslems in ganz Deutschland und darüber hinaus gefragt wird, wie sie den Alltag hier mit den islamischen Regeln in Einklang bringen können, müsste erfunden werden, wenn es ihn nicht schon gäbe.

Arabischer Frühling, ägyptischer Herbst

Maher Khedr ist gebürtiger Großstädter. Der Ägypter kommt aus Zagazig (383.703 Einwohner), Hauptstadt des Gouvernements asch-Scharqiyya, im östlichen Teil des Nildeltas, rund 76 Kilometer von Kairo entfernt. Während des Arabischen Frühlings habe in seinem Land Aufbruchstimmung geherrscht. „Die Menschen sind aufgewacht“, sagt der Weidener Imam, „man hat sich an den Menschenrechten in Europa orientiert, infrage gestellt, das Ein-Parteien-System Mubaraks weiter zu akzeptieren.“

Die moderne Technik habe die Rebellion möglich gemacht. „Jedes kleine Kind hat heute ein Smartphone, man verabredete sich zu Protesten, die immer größer wurden – wir wollten eine richtige Demokratie.“ Der Diktator habe sich schließlich rechtzeitig, ohne Blutvergießen, zurückgezogen. „Dann kamen die Muslim-Brüder an die Macht“, sagt Khedr, „bis auch sie wieder entmachtet wurden.“

Die Enttäuschung sei jetzt groß: „Wir haben uns etwas anderes vorgestellt“, erklärt er. „Es kann aber auch sein, dass unser Volk für die Demokratie noch nicht reif ist.“ Heute würden Wahlen danach entschieden, wer am meisten bietet: „Da reicht es oft, dass ein Kandidat Lebensmittel stiftet.“

Nach Deutschland kam er nach einem Theologie-Studium in Ägypten, um sich in Erlangen in der Fachrichtung „Handel nach islamischem Recht“ fortzubilden. „Auf diesem Gebiet hat die Universität Erlangen eines der renommiertesten Institute weltweit“, überrascht der Imam. Hier hat er sich unter anderem mit der Frage auseinandergesetzt, wie Moslems das islamische Kreditverbot handhaben können.

„Deshalb haben muslimische Ingenieure bei Siemens lebenslang zur Miete gewohnt“, sagt Khedr. „Wir haben festgestellt, dass die Bank nicht nur Geldgeber, sondern Teil des Geschäftes ist – sie begutachtet das Haus, und es gehört ihr, bis es abbezahlt ist.“ Diese Interpretation erlaubt Moslems, einen Hauskredit zu beantragen. „Der Zentralrat der Muslime hat das akzeptiert.“

Auch in Sachen haram (verboten) und halal (erlaubt) bei den Essensregeln hat der Imam gute Nachrichten für die Gläubigen: „Bisher sagten Muslime, ,ich darf kein geschlachtetes Fleisch nach deutscher Schlachtung essen‘.“ Nach genauerer Betrachtung deutscher Schlachthaus-Standards hat Khedr festgestellt: „Die Tiere müssen auch hier ausgeblutet sein, der einzige Unterschied ist die vorangehende Betäubung.“ Damit ist auch für Moslems der Weg frei zu Aldi und Lidl.

Doch wie viel Einfluss hat der islamische Akademiker auf seine Gemeinde? „Ich schätze, 70 Prozent unserer Gläubigen akzeptieren diese Neuerungen“, sagt Khedr. „30 Prozent meinen, sie sind besonders stark im Glauben, wenn sie sich das Leben schwer machen – das ist ein Irrtum.“ Anders als im Christentum hat der Imam wie auch der jüdische Rabbi keine Weisungsbefugnis. „Wir geben eine Empfehlung, aber jeder entscheidet selbst, ob er sie annimmt.“ Und vor allem: „Sie muss belegt sein.“

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