Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Endstation Lummerland oder die Leiden des jungen W.

Nordoberpfalz. Der Streik der Lokführer geht weiter und es sei dem genervten Pendler erlaubt, das letzte bisschen Solidarität aufzukündigen. Eine nicht ganz faire Glosse.

Foto: OberpfalzECHO/ Andrea Schreiber

Liebe von Hungerödemen übersäte, mit glühenden Eisen durch eine mit Millionenboni gemästete Vorstandselite an den Arbeitsplatz geschmiedete, der drohenden Obdachlosigkeit preisgegebene und von jeglicher sozialen Teilhabe ausgeschlossene Lokführende – meints net, dass es schön langsam mal reicht?

Meine Solidarität als Pen(n)dler ist auf jeden Fall zu Ende. Ich habe nun knapp 50 Überstunden in euren Streik investiert, übrigens Arbeitszeit, in der ich auch nicht im Hehnastall gesessen bin, sondern mir auch teilweise durch Dienste am Wochenende oder auch an Feiertagen erarbeitet habe. Ich hätte gerne selbst bestimmt, was ich wann damit mache. Das sorgt doch mal für ausgelassene Stimmung, ein Pen(n)dler kündigt der Lokführergewerkschaft seine Solidarität auf, wie süß ist das denn – und wie belanglos. Denn wenn beide Seiten des Verhandlungstischs etwas eint, dann ist es die Größe des Haufens, den sie auf das Haupt von Leuten wie mir setzen.

Montage: OberpfalzECHO/Ann-Marie Zell

Ein Spiegelbild unserer Gesellschaft

Unsere Gesellschaft fährt mit Volldampf (passt so irgendwie so gar nicht zur Bahn) in eine Kultur der Extreme, scheinbar besteht keinerlei Chance mehr für einen differenzierten Diskurs. So wie einst dem jungen Werther blutet auch dem nicht mehr ganz so jungem W. das Herz. Und so fühlt sich der Gewerkschaftsboss, ehe er den Verhandlungsraum mit Vertretern der Deutschen Bahn betritt, seinem Bruder im Geiste erinnert:

Und so taumle ich beängstigt. Himmel und Erde und ihre webenden Kräfte um mich her: ich sehe nichts als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer. Johann Wolfgang von Goethe, “Die Leiden des jungen Werther”

Honorige Persönlichkeit gefällig?

Diese Rhetorik, das große und herzzerreißende Drama, der existenzielle Höllentrip – geschenkt, Trommeln gehört zum Handwerk und zur Verhandlungstaktik. Aber irgendwann sollte man dann auch wieder die Kirche im Dorf lassen. Warum sich nicht einfach zusammensetzen und eine Lösung finden? In einem produktiven Verhandeln, Diskutieren und Abwägen darüber reden, was machbar, was vernünftig ist.

Hinterher tritt man vor die Kameras, würgt noch etwas herum an den Kröten, die man angeblich schlucken musste und setzt dann einen vernünftigen Kompromiss um. So war sie, die gute alte Zeit – das Bier war noch dunkel, die Menschen warn typisch, die Burschen schneidig, die Dirndl sittsam und die Honoratioren ein bisserl vornehm und ein bisserl leger … Vielleicht hätte man damals noch den Herrn Ökonomierat Josef Fäustl – Guts- und Brauereibesitzer dahier – als Schlichter einsetzen können. Sowas geht heute scheinbar leider nimmer.

Schlichter? Ach ist das laaaangweilig…

Über “grundgesetzliche Angelegenheiten” lasse sich nicht schlichten, zitiert die Süddeutsche Zeitung GdL-Chef Claus Weselsky. Was wäre denn so schlimm an einem Schlichtungsverfahren unter der Leitungen eines von beiden Seiten geschätzten Vermittlers? In erster Linie wäre es vernünftig und zielführend. Geht es noch langweiliger? Mit sowas bekommt man keine Öffentlichkeit. Also lassen wir es lieber, ist heutzutage nicht mehr modern.

Die einen kriegen das Schäufelchen, die anderen das Eimerchen. Es ist doch genug Sand für alle da – wenn man miteinander spricht. Willkommen in meiner Lebenswirklichkeit. Und noch was, by the way – Wortwitz und Humor sollte man haben oder es einfach lassen – sachlich und rational geht es doch auch. Aber auch hier gilt: laaaangweilig, nicht mehr zeitgemäß.

Nächster Halt: die sachliche Ebene

Okay, ich versuchs. Die nächste Glosse wird Maßhalten zum Thema haben und auch hier sollte es doch möglich sein, zivilisiert und ohne Schaum vorm Mund miteinander umzugehen. Und dann platzt mir doch wieder der Kragen, als ich ein Zitat aus der ZEIT lese: “Weselsky zeigte Verständnis für den Frust von Bahnreisenden in Zusammenhang mit dem Arbeitskampf. Eine Verärgerung sei angesichts ausfallender Züge normal, sagte der Gewerkschaftschef. Allerdings sei den Menschen auch bewusst, “dass die Gewerkschaften eine wichtige Funktion in diesem Land haben.”

Genau richtig und genau deshalb bin ich der Meinung, dass wir aufpassen müssen, dass uns dieses urdemokratische Schwert des Streikrechts nicht stumpf wird, denn ich habe das Gefühl, genau das passiert gerade und ist ein weiteres Indiz, in welche ungute Richtung unsere Gesellschaft driftet.

The same procedure as last year? The same procedure as every year!

Manchmal würde man sich hier doch ganz einfach das vatikanische Prinzip wünschen, nämlich alle Beteiligen einmauern und erst wieder herauslassen, wenn der weiße Rauch aufgestiegen ist. Und in gut eineinhalb Jahren geht es dann wieder los. Also ich mache ein Friedensangebot – acht Überstunden geb ich noch für einen zusätzlichen Streiktag her, aber dafür will ich einfach nichts mehr von Lokführer & Co. hören.

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