Kommentar: Das Leben unserer Landwirte aus erster Hand

Weiden. Sie prägen unsere Kulturlandschaft, produzieren unsere Lebensmittel und haben mehr Bezug zu Flora und Fauna als so mancher theoretischer Umweltschützer. Gerade wenn man mehr Umwelt- und Tierschutz möchte, sollte man den Landwirten genau zuhören. Jetzt!

Milchbauer Werner Reinl bei der Melk-Vorbereitung. Bild: David Trott

In den vergangenen Tagen haben mich viele Botschaften von Landwirten erreicht. Keine aufgeregten Protestnoten, sondern eindringliche Schilderungen der Lebenssituation. Keiner dieser Landwirte will den politischen Umsturz. Zugegeben: Die Ampel ist – wie bei der Mehrheit der Bundesbürger – unbeliebt. Aber die Bauern wissen sehr wohl: Das Problem liegt tiefer.

Anliegen: Von der eigenen Arbeit leben können

Ihr wichtigstes Anliegen: Sie wollen von ihrer Arbeit leben können – und nicht von Subventionen, die sie für Leistungen erbetteln sollen, die uns allen zugutekommen. Für diese wertvollen Hintergrundinformationen in stundenlangen Gesprächen und Telefonaten möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Je näher die Redaktion das Ohr an den Betroffenen hat, desto realistischer ist die Berichterstattung – natürlich unter Berücksichtigung aller Aspekte und Interessen.

Eine Erkenntnis dieser Gespräche: Die Teilrückzahlung der Steuer auf den Agrardiesel ist keineswegs das Zentrum des Bauern-Protestes dieser Tage und Wochen. Er ist lediglich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – auch wenn es dabei für einige Landwirte um mehr als Peanuts geht. Es ist aber vor allem die Funktionsweise der Landwirtschaft, in der seit Jahrzehnten große Teile der freien Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt sind und Landwirte Spielball der Marktmacht von Lebensmittelkonzernen und Getriebene einer Politik nach Meinungsumfragen sind.

Agrardiesel-Beweis: „So wenig Ahnung von den Bauern!“

Insofern ist die Ampel-Regierung beileibe nicht der Verursacher der jetzigen Misere, sondern mit einer besonders ungeschickten Kommunikation – richtiger: dem scholzesken Schweigen im Regierungswald – der willkommene Sündenbock für den lange angestauten Unmut der gebeutelten Traktorfahrer. Um es mit den Worten eines Informanten zu sagen: „Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Städter keine Ahnung vom Land haben, dann ist es die Idee, den Bauern in der Weihnachtszeit das Geld zu streichen.“  

Im März, meint der Praktiker aus dem Landkreis Tirschenreuth, hätten seine Berufskollegen allenfalls laut geflucht. „Aber jetzt, da man Zeit hat, das Weihnachtsessen verdaut, sind auch die Landwirte mobilisierbar.“ Erschwerend komme hinzu: „Und dann macht man es auch noch so, dass alle Bauern gleichermaßen betroffen sind, obwohl wir denkbar heterogen sind – von Mecklenburgs ehemaligen LPG-Großbetrieben bis zum Nebenerwerbslandwirt, vom Mäster bis zum Weizenbauer.“ Damit habe es die Ampel sogar geschafft, die sich misstrauisch beäugenden Bauernverband und Bund Deutscher Milchviehhalter zusammen auf die Straße zu bringen.

Fast kein Durchkommen nach Störnstein. Aber die protestierenden Bauern lassen OberpfalzECHO gerne passieren. Foto: David Trott

Geschäftsmodell Großfamilie

Um zu verstehen, was einen durchschnittlichen landwirtschaftlichen Familienbetrieb bei uns in der Oberpfalz umtreibt, muss man sich nur einmal das Geschäftsmodell genauer anschauen: „Theoretisch wirtschaften wir – je nach Größe – auf einem relativ wertvollen Boden.“ Falls der Bauer Eigentümer und nicht Pächter ist. Manch einer ist also theoretisch Millionär. Wenn er verkauft. Wenn er den Grund und Boden aber bewirtschaftet, ist ein nur sehr überschaubarer Ertrag zu erzielen. Und das unter erschwerten Bedingungen.

Grundvoraussetzung: Harmonie in der Großfamilie. Denn der Laden läuft nur, wenn das Ehepaar, oft noch die Eltern und Kinder wie Pech und Schwefel zusammenhalten. „Aber natürlich gibt es auch bei uns Konflikte.“ Etwa mit den Schwiegereltern. Wie viel können sie noch beitragen, was sollen sie dafür bekommen? Oder mit dem Nachwuchs: Was ist noch eine legitime Aufbesserung des Taschengelds und was schon Kinderarbeit? Nicht zu denken, wenn es dann auch noch in der Ehe kriselt: Der Betrieb ist von der Arbeitskraft beider Partner abhängig. Wenn die Betriebsmittel auseinanderdividiert werden müssen, geht alles drunter und drüber.

Kühe nehmen keine Rücksicht auf Work-Life-Balance

Dabei steht diese familiäre Zweckgemeinschaft unter einem besonders hohen Druck: Urlaub bedeutet bei den meisten Landwirten selten mehr als ein verlängertes Wochenende. Selbst und ständig, der klassische Aufklärungswitz im Gründerseminar, gilt für Landwirte lebenslänglich. Milchkühe halten wenig von Work-Life-Balance, und die Ernte schert sich einen Dreck um das Burnout der Erntehelfer.

Und weil derzeit die Zahl von 110.000 Euro Erlös durch die Medien schwirrt: „Was die meisten nicht berücksichtigen“, sagt der Anrufer, „beim Landwirt ist der Erlös vor Steuer, damit muss ich Saatgut, Dünger, die Instandhaltung der Maschinen decken, und vom Rest vier bis sechs Köpfe ernähren.“ Ganz zu schweigen vom Berufsrisiko der Missernte, mit der man in Zeiten des Klimawandels immer öfter rechnen muss. Wer dann auch noch Kredite zu bedienen hat, sei ohnehin verratzt.

Die Massagebürste ist im Kuhstall im Dauereinsatz. Foto: Matthias Saller

Profiteur ist der Großgrundbesitzer

Und ist das schon alles wenig vergnügungssteuerpflichtig, freut sich der Bauer besonders, wenn er am Stammtisch auch noch wegen der „vielen Subventionen“ aufgezogen wird: „Wenn man weiß, dass der Vater von dem Großmaul, das über deine paar EU-Euro lästert, Großgrundbesitzer und der wirkliche Profiteur ist, schmeckt dir die Halbe auch nicht mehr.“ Mit den gestiegenen Bodenpreisen seien auch die Pachtpreise in die Höhe geschnellt.

So richtig reich werden in der Landwirtschaft nur die Wenigsten: „Nur wer zur richtigen Zeit in das richtige Projekt investiert hat, hat gut lachen.“ Etwa als die Biogasanlagen noch großzügig gefördert wurden: „In den ersten Jahren von Rot-Grün ab 1998 ist die Förderung angelaufen, man hatte noch kaum Erfahrungen – wenn da einer mit großen Flächen, um die Anlagen zu befüllen, eingestiegen ist, hat er gut verdient.“ Das hätten sich nur wenige getraut, die wenigsten hätten genügend Flächen besessen und die Banken seien zurückhaltend gewesen.

Burnout, Depressionen, Suizide

Bleibt also das Motto „wachsen oder weichen“. Doch mit der permanenten Vergrößerung des Stalls begeben sich die Landwirte bei niedrigen Erzeugerpreisen und hohen Zinsen vor allem in einen Teufelskreis der permanenten Selbstausbeutung. Die Folge: Immer mehr Landwirte leiden unter Burnout und Depressionen. Beratungsstellen gehen davon aus, dass auch die Suizidrate unter Landwirten steigt. Eine offizielle Statistik dazu gibt es nicht.

Anders in Frankreich, wo die Situation vergleichbar sein dürfte. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2017 nehmen sich in Frankreich jährlich etwa 650 Landwirte das Leben. Das wären beinahe zwei Suizide pro Tag. Manche Verbände sehen die Zahl sogar noch höher, da viele Fälle aus Versicherungsgründen ­– oder auch Scham – nicht als Selbsttötung gemeldet werden. Damit liegt die Suizidrate von Landwirten um 50 Prozent über dem Durchschnitt.

Überzeugungstäter geben nicht auf  

Warum in aller Welt machen sich die Landwirte dann das Leben so schwer? Ein befreundeter Bauer erzählte kürzlich vom Angebot eines Photovoltaik-Investors. Wäre das nicht für die meisten Kleinbetriebe die einfachste Lösung? „Mein Vater hat den Hof von seinem Vater geschenkt bekommen“, sagt mein Anrufer. „Und der von seinem Vater. Und so weiter zurück bis zur Bauernbefreiung – wie leicht meinst du, fällt es uns, den Hof aufzugeben, mit dem Wissen, dass hier keine Landwirtschaft mehr betrieben wird?“

Keine Frage, unsere Landwirte sind in den meisten Fällen Überzeugungstäter. Und das ist gut so. Denn sie sind der letzte Strohhalm, dass uns in der Oberpfalz die regionale Lebensmittelerzeugung erhalten bleibt. War die Pandemie nicht Warnung genug, was es bedeutet, systemrelevante Produktionen ins Ausland zu verlegen? Wollen wir ernsthaft unsere bäuerliche Landwirtschaft zu Tode regulieren und auf die Gütesiegel-Aufdrucke auf den eingeschweißten Discounter-Lebensmitteln vertrauen – Bio made in China?

Lösungen liegen auf dem Tisch

Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat etwas Außergewöhnliches zustande gebracht: Vertreter von 40 Verbänden und Organisationen mit höchst unterschiedlichen Interessen einigten sich auf Empfehlungen und Leitlinien für den Transformationsprozess des Landwirtschafts- und Ernährungssystem – darunter der Bauernverband, der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der Bund Naturschutz, Greenpeace und wissenschaftliche Experten.

Zu den Handlungsempfehlungen gehören die langfristige Reduzierung der Zahl der Tiere, ein Umbau ohne Überlastung der Landwirte, die Finanzierung der Mehrkosten durch Abgaben auf produzierte Lebensmittel. Die klugen Ratschläge liegen seit Juli 2021 auf dem Tisch. Passiert ist seitdem wenig bis nichts. Das dürfte ein Grund für die Enttäuschung der protestierenden Landwirte sein. Ursache für die politische Lähmung: Immer dann, wenn es konkret wird, regt sich Widerstand. Wer zu wenig Mut für die politische Gestaltung des Landes hat, zementiert die Stagnation, unter der alle leiden.

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