Bauern-Protest in Berlin: Es geht um viel mehr als Agrardiesel

Berlin/Floß. Bei der Bauern-Demo in Berlin warten rund 10.000 Teilnehmer mit mehr als 6000 Fahrzeugen vor dem Brandenburger Tor auf Ergebnisse der Verhandlungen der Vorsitzenden der drei Ampelfraktionen mit Vertretern der Bauernverbände – darunter auch Landwirte aus der Oberpfalz wie BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl.

Auch in der nördlichen Oberpfalz demonstrierten die Bauern. Foto: Martin Zimmer

Es ist nicht gerade der große Wurf, der in der anschließenden Pressekonferenz verkündet wird. Die Fraktionssprecher der Koalitionsparteien geben bekannt, was in der Runde mit den Vertretern der Landwirte besprochen wurde. Rolf Mützenich (SPD) kündigt an, die Regierung wolle einen Fahrplan vorlegen: Bis zur Sommerpause sollen die Landwirte Planungssicherheit bekommen.

Britta Haßelmann (Grüne) bekräftigt, dass der Abbau der Agrardiesel-Steuerrückzahlungen Bestand habe. Man wolle aber dafür sorgen, dass mehr Einkommen auf den Höfen bleibt: „Die Marktmacht der Lebensmittelkonzerne ist zu groß.“ Christian Dürr (FDP) spricht von einem positiven Miteinander und bedankt sich bei den Landwirten.

Empfehlungen der Zukunftskommission liegen vor

Begeisterung sieht anders aus: Bauernpräsident Joachim Rukwied wirkt genervt, als er seine Einschätzung zu den Konsultationen abgibt. „Es ging um Themen, die seit 30 Jahren diskutiert werden.“ Man bleibe im Gespräch, um mehr Planungssicherheit zu bekommen. Er rät seinen Mitgliedern, „den Ball flach zu halten: Wir sind lösungsorientiert“. Dabei hatten sowohl die Zukunftskommission Landwirtschaft als auch die Borchert-Kommission bereits Lösungsvorschläge erarbeitet. Es wird Zeit für die Umsetzung (siehe Kommentar im Kasten unten).

Wer wie wir die Entwicklung der Landwirtschaft redaktionell seit Jahrzehnten begleitet, wundert sich nicht darüber, woher die Wut der Landwirte kommt. Wir wundern uns, warum die Bauern permanente Eingriffe in ihre unternehmerische Freiheit (Artikel 16, Charta der Grundrechte der Europäischen Union), widersprüchliche bürokratische Auflagen, ständig wachsende Ansprüche ohne Kompensation und fehlende Planungssicherheit lediglich mit resigniertem Grummeln hinnahmen.

Statistischer Wohlstand hilft keinem Kleinbauern

Oberflächlich betrachtet scheint die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe mehr als passabel zu sein: Ein durchschnittlicher Umsatz von 115.000 Euro im vergangenen Jahr bei einem Plus von 45 Prozent könnte andere Kleinunternehmer – vom Gastronomen bis zum Taxifahrer – in der Tat neidisch machen. Doch was sagen statistische Durchschnittswerte über die konkrete Lebensrealität unserer Höfe vor Ort aus?

Grob vereinfacht profitierten große Betriebe vor allem im Nordosten Deutschlands mit vielen Maschinen und wenig Personal durch den zeitweiligen Getreidemangel in Folge des Ukraine-Kriegs. „Wir hatten fast doppelte Getreide-Preise“, erzählt der südhessische Landwirt Peter Seger. „Wer gut verkauft hat, hatte gute Erlöse.“ Die Getreidepreise haben sich seitdem wieder halbiert. „Und bei den kleinen, arbeitsintensiven Höfen, mit Tieren, ein paar Feldern, die mit wenig Ertrag die Familie und oft auch noch die Eltern miternähren müssen, sieht das völlig anders aus.“

Kurve geht rapide nach unten: immer weniger Milchbauern in Deutschland. Grafik: Destatis

Galoppierendes Höfesterben

Von den ruinösen Investitionskosten, etwa wenn der vor fünf Jahren mit einem Millionenkredit umgebaute Stall nach neuer Verordnung schon wieder zu klein ist, ganz zu schweigen. Die Folge ist ein dramatisches Höfesterben:

  • Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich in den vergangenen 20 Jahren halbiert
  • Im Vergleich zu 1975 haben sogar Zweidrittel der Landwirte aufgegeben. „Wachsen oder weichen“ lautete die politische Vorgabe, der auch der Bauernverband lange gefolgt ist. Immer neue Technologiesprünge führten zu einem Teufelskreis der Investitionen mit kurzer Halbwertszeit, den nur große Betriebe bestanden.
  • Dazu kommt: Um zu wachsen, braucht man Land. Die Bodenpreise haben sich aber in der Folge der Niedrigzinspolitik teilweise verdreifacht, weil immer mehr Investoren in die offensichtlich lukrative Geldanlage einstiegen. „Dort, wo große Photovoltaik-Investoren einstiegen, hat sich der Preis sogar verzehnfacht.“
Die Milchbauern Werner Reinl (links) und Hubert Meiler (rechts) beim Redaktionsbesuch. Bild: David Trott

Bäuerliche Landwirtschaft vor dem Aus?

„Früher waren die alten Bauern enttäuscht, wenn ihre Söhne den Hof nicht übernehmen wollten“, sagt Milchbauer Hubert Meiler (Störnstein). Heute sagten die Alten, wenn die Jungen weitermachen wollen: „Spinnt’s ihr, tut euch das nicht an!“ Das Höfesterben ist längst auch in der nördlichen Oberpfalz traurige Realität. Und dabei geht es nicht nur um die Existenz bäuerlicher Familien, was schon schlimm genug ist. Es geht um die Widersprüche einer Gesellschaft, die Ökologie predigt, sich aber vorzugsweise die billigsten Lebensmittel vom Discounter holt.

„Wenn die kleinen Familienbetriebe aufgeben, die seit Generationen mit ihrem Grund und Boden verwachsen sind, denen nachhaltiges Wirtschaften ein Herzensanliegen ist, dann schreitet die Industrialisierung der Landwirtschaft immer weiter voran“, sagt BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl (Ellenbach). „Und vor allem werden immer mehr billige Lebensmittel importiert, die unsere Umwelt- und Tierwohl-Standards erst recht nicht einhalten.“

Brasilien ist der größte Maisexporteur der Welt. Auch die Europäer kaufen viel Mais in Brasilien. Grafik: USDA

Großgrundbesitzer im Vorteil

Die Motivation der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nach dem Krieg ist nachvollziehbar: Die Agrarsubventionen seit den 60er Jahren, damals der einzige, heute größter Ausgabeposten des EU-Haushalts, sollten nach den bitteren Erfahrungen des Mangels und Hungers gewährleisten, dass es in Europa eine stabile, bezahlbare Lebensmittelversorgung gibt. Die Logik hinter der Flächenförderung, von der vor allem große Landbesitzer – wie auch Kirchen, öffentliche Institutionen oder das Regensburger Fürstenhaus – profitieren: Es schien so schön simpel, Geld pro Hektar auszubezahlen.

Außerdem hat die Lebensmittelindustrie ein vitales Interesse an großen Mengen günstiger Lebensmittel. Mit Öffnung der Weltmärkte – eine Forderung der Welthandelsorganisation, von der Verbraucher auch profitierten – stehen die europäischen Landwirte in Konkurrenz zu Erzeugern, die weitaus geringeren Qualitäts-, Umwelt- und Tierwohlansprüchen genügen müssen. Der europäische Markt wurde überflutet, etwa mit Mais und Soja aus den USA und Brasilien, die auf riesigen Flächen produzieren – damit kann die kleinteilige, heimische Landwirtschaft nicht konkurrieren.

Lebensmittelpreise steigen, aber die Bauern bekommen weniger. Grafik: Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie

Unheilige Allianz: Konzerne und Verbraucher

In den vergangenen zehn Jahren hat die EU zaghaft versucht gegenzusteuern, indem man die Flächenförderung mit Direktzahlungen pro Hektar um eine zweite Säule ergänzt hat: Mit Prämien für Landschaftspflege und ökologische Aspekte – zum Teil ebenfalls mit Direktzahlungen – sollten auch kleinere, Bauern belohnt werden. Abgesehen von der überschaubaren Größe dieser Säule sind die Förderungen aber auch mit einer Mordsbürokratie verbunden: Die EU-Regelungen werden häufig noch durch Verordnungen von Bund und Ländern verschärft.

Dazu kommt die monopolähnliche Marktmacht der Lebensmittelkonzerne: Supermärkte und Discounter dominieren 80 Prozent des Marktes – leider in einer unheiligen Allianz mit den Konsumenten, die bei allen Bekenntnissen zur Regionalität letztlich billig und bequem einkaufen wollen. „Ich fände es schön, wenn Lebensmittel wie handgemachte Produkte honoriert würden“, wünscht sich Landwirt Peter Senger mehr Qualitätsbewusstsein auch beim Kauf von frischen, gesunden, regionalen landwirtschaftlichen Produkten.

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