Mehr als nur Bauernprotest: Landwirte wollen im Schulterschluss mit der Bevölkerung einen Systemwechsel

Weiden. Das Bauern-Sextett kommt am Vorabend der Proteste in friedlicher Absicht zum Redaktionsbesuch: „Mehr miteinander statt übereinander reden“, sagt Josef Fütterer, Kreis- Obmann des Bayerischen Bauernverbands. Die Landwirte wollen nämlich alle Bürger mitnehmen.

Keine Besetzung, nur eine Warnung: Das geschlossene Bauern-Sextett (von links) mit Michael Müller (Grünau), Florian Scheidler (Rastenhof), Werner Reinl (Ellenbach), Josef Fütterer (Windischeschenbach), Daniel Käs (Buch) und Hubert Meiler (Störnstein) vor dem Weidener Alten Rathaus. Foto: Andrea Schreiber

Es könnte das Symbol für eine neue Protestbewegung vergleichbar mit den französischen Gelbwesten werden: Nach den Gummistiefeln als Warnung, dass immer mehr Landwirte ihre Stiefel an den Nagel hängen, halten die sechs Bauern vor dem Alten Rathaus in Weiden für das Gruppenbild ein rot-weißes Absperrband in Händen. In Aktion sind die Landwirte mit Absperrband bei der Protestkundgebung von „Land schafft Verbindung“ (LSV) am Montag ab 10 Uhr am Weidener Großparkplatz in den Naabwiesen zu besichtigen.

Nicht zu verwechseln mit der Veranstaltung der Montagsspaziergänger Helmut Bauer und Sascha Oehlerking, die am Neuen Festplatz gegen CO2– und Plastiksteuer, höhere Lkw-Maut oder Mehrwertsteuererhöhung in Gaststätten protestieren. „Jeder kann demonstrieren wie er will“, ordnet LSV-Mitorganisator Daniel Käs aus Buch diese Parallelveranstaltung ein. „Das hat aber nicht primär etwas mit den Zielen von uns Landwirten zu tun.“

Wollen die Bevölkerung mitnehmen“

„Jedes Fahrzeug, das sich an den Protestfahrten beteiligt, hängt sich so ein Band an den Spiegel oder die Stoßstange, als Zeichen, dass es Teil des Konvois ist“, erklärt Hubert Meiler, Kreisvorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Was anfangs nur als Erkennungszeichen gedacht war, hat eine symbolische Bedeutung gewonnen. „Auch Bäcker, Metzger oder Spediteure, die sich beteiligen, verwenden das Band als Zeichen der Verbundenheit.“

Josef Fütterer, Kreis OB-Mann des Bayerischen Bauernverbands (BBV), nennt die Ziele des „gewaltfreien und friedlichen Protestes“: „Der BBV organisiert die Veranstaltungen federführend“, sagt der Rinderhalter, „wir wollen das Gesetzesvorhaben stoppen und dabei die Bevölkerung mitnehmen.“ Und die lässt sich nach Auffassung der Landwirte bereits bereitwillig mobilisieren.

Bauern-Sextett beim Redaktionsgespräch: (von links) BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl (Ellenbach), Florian Scheidler (Rastenhof), Hubert Meiler (Störnstein), Daniel Käs (Buch), BBV-Kreisobmann Josef Fütterer (Windischeschenbach), und Michael Müller (Grünau). Foto: Andrea Schreiber

Handwerker, Gastwirte und Spediteure beteiligt

Mit einer Teilerfüllung der Forderungen wolle man sich nicht abspeisen lassen, betont Michael Müller für den Verein „Land schafft Verbindung“ (LSV): „Es geht nicht nur um die Forderungen der Landwirtschaft“, sagt der Inhaber eines Bio-Milchviehbetriebs in Grünau. „Auch Handwerker, Gastronomen und Speditionen beteiligen sich.“ Ein befreundeter Spediteur habe ihm geschildert, dass er künftig statt 100.000 Euro 170.000 für die Maut bezahlen müsse. „Und am Schluss zahlen die Zeche immer die Verbraucher.“

Nachdem sich in den vergangenen Jahren der BDM und andere Interessengruppen vom Bauernverband getrennt hätten, freut sich Hubert Meiler besonders über den derzeitigen Schulterschluss: „Der ganze Bauernstand hat sich zusammengetan“, sagt der Milchviehhalter, der seit Jahren für faire Preise kämpft. „Wir protestieren gemeinsam und wollen alle Bürger mitnehmen.“

Redaktionsgespräch vor den Bauernprotesten: BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl (von links), Florian Scheidler (Rastenhof) und Hubert Meiler (Störnstein). Foto: Andrea Schreiber

Bauern als Speerspitze des Protestes

BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl sieht die Bauern als Speerspitze einer gesellschaftlichen Bewegung: „In der Geschichte standen wir Bauern ja öfters an der Spitze revolutionärer Bewegungen, auch wenn wir heute keine Revolution anzetteln und keine Regierung stürzen wollen.“ Mit den Sternfahrten wolle man vielmehr den ländlichen Protest in die Städte tragen.

Nachdem bereits am 18. Dezember rund 8000 Landwirte in Berlin gegen die Streichung des vergünstigten Agrardiesels und die Rücknahme der Befreiung landwirtschaftlicher Maschinen von der Kfz-Steuer protestiert hatten, sei die Aktionswoche der logische nächste Schritt: „In jedem Bundesland findet eine Hauptdemo statt“, schildert Fütterer den Plan, „in Bayern am 12. Januar in Nürnberg mit einer Sternfahrt durch das Stadtgebiet bis zum Volksfestplatz mit bis zu 3500 Traktoren.“

Redaktionsgespräch vor den Bauernprotesten: Daniel Käs (Buch), BBV-Kreisobmann Josef Fütterer (Windischeschenbach), und Michael Müller (Grünau). Foto: Andrea Schreiber

Dann werden wir Deutschland lahmlegen“

Bauernpräsident Joachim Rukwied habe, falls die Regierung sich nicht zur bedingungslosen Rücknahme dieser Gesetze durchringe, bereits für den 15. Januar, zum Start der Haushaltsberatungen im Bundestag, angekündigt: „Wir kommen wieder und dann mit noch mehr Menschen“, zitiert Fütterer, „und dann werden wir Deutschland lahmlegen.“ Das große Schwert der Landwirte seien die gewaltigen Traktoren: „Das macht schon was her, wenn in Berlin die Schlepper auffahren – allein dadurch, dass sie in die Stadt fahren.“

Und Müller assistiert: „Wir vom LSV unterstützen den Bauernverband in den Landkreisen und organisieren mit unseren WhatsApp-Gruppen Rundfahrten mit einfachen, friedlichen Mitteln.“ Man wolle den Leuten vor Augen führen: „So kann es nicht weitergehen.“ Diese Botschaft wolle man immer breiter in den beiden großen Landkreisen Neustadt/Waldnaab und Tirschenreuth streuen.

Redaktionsgespräch vor den Bauernprotesten: BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl (Mitte) und Florian Scheidler (rechts). Foto: Andrea Schreiber

Kein Vertrauen mehr ins System

Der Konflikt um den Agrar-Diesel sei aber letztlich nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe: „Wobei ich betonen möchte“, sagt Fütterer, „dass es sich dabei um keine Subvention handelt, sondern um eine Steuer, die wir das ganze Jahr schon bezahlt haben, und von der wir am Jahresende einen Teil zurückbekommen sollten.“ Die Regierung habe rückwirkend beschlossen, diese Rückzahlung zu stornieren: „Jeder von uns hat das gezahlt und darauf vertraut, dass das Geld kommt“, erklärt Meiler. Jetzt könne man diese zusätzlichen Kosten nicht mehr umlegen. „Da verliert man das Vertrauen ins System.“

Genauso wie bei den ständig wechselnden Standards für den Neubau von Ställen: Florian Scheidler, Betreiber der Bio-Legehennenfarm Rastenhof, fordert deshalb einen Bestandsschutz bei Neubau. „Wenn heute einer einen Laufstall baut, muss er eine Finanzierung von mindestens einer Million Euro stemmen“, erklärt Fütterer. „Da hängt eine junge Familie 30 Jahre dran.“ Dann dürften sich, wie immer wieder geschehen, aber nicht alle zwei Jahre die Rahmenbedingungen ändern. „Schon die zurückliegenden Regierungen haben Belastungen für uns Landwirte geschaffen“, ergänzt Fütterer, „aber im vergangenen Jahr habe die Ampel mit der Veränderung der Düngeverordnung und dem fixen Datum für das Aus der Anbindehaltung noch einen draufgesetzt.“

Bauern-Sextett beim Redaktionsgespräch: (von links) BDM-Kreisvorsitzender Werner Reinl (Ellenbach), Florian Scheidler (Rastenhof), Hubert Meiler (Störnstein), Daniel Käs (Buch), BBV-Kreisobmann Josef Fütterer (Windischeschenbach), und Michael Müller (Grünau). Foto: Andrea Schreiber

Zum „Wachsen oder Weichen“ verdammt

Der Kern der Kritik: „Die Politik hat uns seit Jahrzehnten zum ,Wachsen oder Weichen’ verdammt, um Niedrigpreise auf Weltmarktniveau zu erreichen.“ Dafür hätten die Landwirte Ausgleichszahlungen bekommen, die gerade so zum Überleben gereicht hätten – und für die auch noch zusätzliche Leistungen wie die Landschaftspflege übernommen. Um überhaupt noch in den Genuss von Förderungen zu gelangen, müsse man Jahr für Jahr mehr Umweltschutz, Tierwohl und Verbraucherschutz nachweisen.

„Und das bei einer Unterdeckung der Produktionskosten“, erinnert Meiler daran, dass der Milchpreis von 40 Cent laut einer Berechnung des Milch-Boards noch nicht einmal die Erzeugerkosten deckt. „Wir versorgen alle Leute mit Essen“, verdeutlicht Nebenerwerbslandwirt Daniel Käs aus Buch, „aber die Gesellschaft schafft es nicht einmal, uns kleinen Gruppe mit gerechten Preisen zu versorgen.“

Keine Besetzung, nur eine Warnung: Das geschlossene Bauern-Sextett (von links) mit Michael Müller (Grünau), Florian Scheidler (Rastenhof), Werner Reinl (Ellenbach), Josef Fütterer (Windischeschenbach), Daniel Käs (Buch) und Hubert Meiler (Störnstein) vor dem Weidener Alten Rathaus. Foto: Andrea Schreiber

Land ohne Lebensmittelproduktion?

„Wir brauchen einen Systemwandel für die Landwirtschaft“, fordert Meiler, „wir wollen gerechte Preise statt immer mehr Bürokratie und Vorschriften, die den kleinen Metzger und Bäcker vor Ort bereits in den Ruin getrieben haben.“ Aus der Pandemie hätte man lernen können, was es bedeutet, systemrelevante Produktionen aus Kostengründen in Billiglohnländer zu verlegen. Tierwohl und Umweltschutz haben bei vielen importierten Lebensmittel jedenfalls nicht oberste Priorität.

Den familiengeführten Landwirtschaftsbetrieben stehe das gleiche Schicksal bevor: „Früher haben die alten Bauern geschimpft, wenn die Jungen nicht weiter machen wollten“, erzählt Meiler. „Heute sagen sie, ,Gott sei Dank ist endlich Schluss mit der Narretei!“ Politik und Gesellschaft müssten sich entscheiden: „Wenn man eine nachhaltige Lebensmittelproduktion vor Ort will, die auch die regionale Wertschöpfung stärkt, brauchen wir andere Rahmenbedingungen.“

Bauernproteste in Bayern und in der Oberpfalz

Ob Nabburg, Regensburg, Tirschenreuth oder Weiden – überall in der Oberpfalz sei die Solidarität der Bevölkerung spürbar. „Die Leute klatschen Applaus, die Daumen gehen nach oben“, sagt Landwirt Martin Schindler aus Nittenau. Auch Spediteure und Handwerker würden sich spontan den Aktionen anschließen. Nach Schindlers Einschätzung könnte sich der Bauernprotest zu einem regelrechten Volksaufstand ausweiten. „Die Leute stehen hinter uns.“

  • 5. Januar, 19 bis 22 Uhr: Vohenstrauß; Regensburg Donau Arena, ab 19 Uhr Schlepper-Sternfahrt mit Kundgebung.
  • 6. Januar, 13 bis etwa 16 Uhr: Pressath und Grafenwöhr.
  • 8. Januar: Weiden (Parkplatz Naabwiesen, 10 bis 15.30 Uhr); Konvoi durch den Landkreis Tirschenreuth und durch Schwandorf; Traktordemo zwischen Amberg (Dultplatz, 9 Uhr) und Sulzbach-Rosenberg.
  • 12. Januar: Hauptdemo in Nürnberg.
  • 13. Januar: Am Sebastiani-Bauerntag in Nabburg (Kundgebung am Oberen Marktplatz).
  • 15. Januar: Den Höhepunkt bildet erneut eine große Demo und Kundgebung, die zum Start der Haushaltsberatungen im Bundestag am 15. Januar 2024 vor dem Brandenburger Tor in Berlin stattfinden soll.

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1 Kommentare

Sascha Oehlerking - 07.01.2024

Die Veranstaltung am Festplatz wird alleine von mir veranstaltet. Herr Bauer ist nicht Teil der Veranstaltung. Meine Veranstaltung ist für alle Menschen da, die sich betroffen fühlen . Nach Gesprächen mit dem Bauernverband war sehr schnell klar, dass deren Ziele im Vordergrund stehen . Ich sehe es jedoch so, dass es uns alle was angeht , nicht nur die Bauern ! Unsere Veranstaltung wird absolut politisch neutral durchgeführt. Die Stadt Weiden , sowie die Polizei können ihnen bestätigen, dass man sehr gut zusammen arbeitet und kooperiert. Mit freundlichen Grüßen Sascha Oehlerking