Verbot der Anbindehaltung: Experten befürchten Strukturbruch in der Landwirtschaft
Tirschenreuth/Weiden. Das Verbot der Anbindehaltung wird viele kleinere Höfe auch in der Region zum Aufgeben zwingen. Experten warnen von einem Strukturbruch mit verheerenden Folgen.
Textilindustrie weg, Glas- und Porzellanhersteller machen ihre Fabriken dicht. Die Nordoberpfalz weiß, was Strukturwandel bedeutet. Jetzt kommt auf die Region etwas zu, was man in der Schärfe noch nie mitgemacht hat – einen regelrechten Strukturbruch. Davor warnt der Direktor des Verbands der Milcherzeuger Bayern (VMB), Dr. Hans-Jürgen Seufferlein. Aufgrund des von Berlin angekündigten Verbots der Anbindehaltung in Kuhställen in fünf Jahren, werden reihenweise im Freistaat und damit auch in der Region die Bauern ihre Höfe aufgeben. Nicht weniger als 370 und damit 43 Prozent aller Betriebe in der nördlichen Oberpfalz wären von dem Gesetz betroffen. Die Alternative, das Bauen von Laufställen, ist für sie finanziell kaum machbar. „Zwischen 80 und 90 Prozent der Anbindebetriebe werden ausscheiden“, glaubt der VMB-Chef.
Bayernweit noch 13.000 Höfe mit Anbindehaltung
Bayernweit gibt es noch rund 13.000 Höfe, die auf die Anbindehaltung setzen. Das ist die Hälfte aller Milchviehbetriebe. Darunter sind 3500 Betriebe mit einer sogenannten Kombihaltung. Das heißt, mindestens 120 Tage im Jahr können sich die Tiere frei bewegen. Doch das geplante Gesetz lässt bislang nur eine Ausnahme zu: Bereits bestehende Anbindebetriebe, mit weniger als 50 Rinder im Stall, die allesamt älter als sechs Monate sind, dürfen weiterwirtschaften. Vorausgesetzt, die Tiere können sich auch außerhalb der Weidesaison mindestens ein- oder zweimal die Woche bewegen. Das würde aktuell für gerade einmal 1000 Betriebe und damit nur einem Bruchteil zutreffen. Diese gesetzliche „Duldung“ erlischt prompt auch schon wieder, wenn der Hof an die nächste Generation übergeben wird.
Milchmenge nimmt um 25 Prozent ab
Seufferlein rechnet in der Nordoberpfalz mit einem Rückgang der Milchmenge im zweistelligen Prozentbereich, dem Bayerischen Bauernverband (BBV) zu Folge könnten es im gesamten Freistaat bis zu 25 Prozent sein. Knapp werden werde sie aber deswegen nicht, ist sich der VBM-Direktor sicher. In Bayern liegt der Selbstversorgungsgrad bei Milch bei 170 Prozent. Ihn treibt eher eine andere Sorge um: Was wird aus der Landschaft? Und er wird deutlich: „Wenn die Kuh geht, wird sich auch die Zivilisation verändern.“
Druck kommt auch vom Lebensmitteleinzelhandel
Doch nicht nur dieses neue Tierschutzgesetz wird den Anbindehöfen den Garaus machen. Mehr Druck übt jetzt schon der Lebensmitteleinzelhandel aus. Bei vielen Discountern kommt nur mehr Laufstall-Milch der Qualitätsstufe 3 in den Tetrapak. Zum Vergleich: Milch aus Anbindehaltung rangiert mit der Haltungsform 1 ganz unten. Die wird zum Teil auf sogenannten Spotmärkten angeboten. Diese Milch muss getrennt erfasst werden. Die Kosten dafür trägt wiederum der Bauer.
Wertschöpfungsprogramm der Privatmolkerei Bechtel
Würde die Milchmenge sinken, „würden wir es auch zu spüren bekommen“, betont Georg Müller. Er ist Leiter des Geschäftsbereichs strategische Warenwirtschaft bei der Privatmolkerei Bechtel. Doch die Schwarzenfelder sind ohnehin in der glücklichen Lage, dass bei ihnen die Milch aus Anbindeställen mittlerweile nur mehr eine unterdurchschnittliche Rolle spielt. Das war schon mal anders: „Mit dieser Milch hat unsere Erfolgsgeschichte begonnen“, erzählt Müller. Das Unternehmen hat sich schon immer als Partner aller Landwirte verstanden. „Uns schmerzt daher jede Hoftüre, die zufällt.“
Bechtel zahlt Zuschläge
Doch die Verbraucherpräferenz hat sich gewandelt. Sie wollen Laufstall-Milch. Um dem nachzukommen, legt die Molkerei entsprechende Programme auf, um den Landwirten einen entsprechenden Anreiz zu geben und um zu helfen, die dafür notwendigen Investitionen zu stemmen. Dafür zahlt Bechtel in den kommenden Jahren hohe Millionenbeträge. Die Zuschläge werden zusätzlich zum Milchpreis bezahlt. Dieser liegt derzeit bei rund 47 Cent in Bayern und wird von vorneherein laut geschlossener Milchkaufverträgen fortlaufend von der Privatmolkerei überzahlt. „Dies führt dazu, dass Milcherzeuger von Nachbarmolkereien zu Bechtel wechseln“, stellt Müller zufrieden fest.
Milchpräsident warnt vor verheerenden Folgen
„Wenn die im Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes enthaltenen Regelungen und das Verbot der Anbindehaltung tatsächlich so auf den Weg gebracht werden, wird sich die Struktur und das Gesicht der bayerischen Landwirtschaft radikal verändern“, macht Peter Köninger, Milchpräsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV) deutlich. Der BBV warnt vor den verheerenden Folgen der geplanten Regelungen auf und setzt sich massiv für Änderungen ein. „Was es braucht, sind Trittstufen statt Stolpersteine, Perspektiven statt Verbote. Verbote mit der Brechstange müssen verhindert werden und ein gangbarer und nachhaltiger Weg der Weiterentwicklung beschritten werden“, unterstreicht Köninger.
Bayern lehnt Ampel-Entwurf ab
Rückendeckung bekommen die Bauern und dessen Verband vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium. Auch dort lehnt man das in Berlin geplante Verbot der Anbindehaltung entschieden ab. „Der Ampel-Entwurf würde bei Umsetzung zu einem Strukturbruch in der Milchviehhaltung in Bayern führen. Es geht hier um betriebliche Existenzen und damit um die Zukunft vieler Familien, aber auch um Erhaltung der Kulturlandschaft“, sagt Ministerin Michaela Kaniber.
Auch die vom Bund vorgesehenen Übergangsfristen seien viel zu kurz, bemängelt sie. Die müssten in ihren Augen aber ausreichend lang genug sein, damit die Landwirte entsprechende Umstellungskonzepte entwickeln und die finanziellen wie auch rechtlichen Voraussetzungen für deren Umsetzung schaffen können. Sie gibt sich kämpferisch und verspricht: „Ich werde mich auch auf Bundesebene für den Erhalt dieser Betriebe einzusetzen.“
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