Schwarz-Oranger Friedensschluss: Weidens CSU-Abgeordneter erklärt den Koalitionsvertrag

Weiden/München. Sie haben also doch ihr viertes Ministerium bekommen, die Freien Wähler. Aber nur das klitzekleine Digitalministerium. Ministerpräsident Markus Söder gibt die CSU-Ministerriege erst am 8. November bekannt. Weidens Abgeordneter Stephan Oetzinger legt sich fest: „Wer aus der Oberpfalz im Kabinett sitzt, steht bombenfest.“

Nachdem am Vormittag die Spitzengremien beider Parteien das 85-seitige Papier abgesegnet hatten, setzten am frühen Nachmittag im Landtag CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek (von links) Ministerpräsident Markus Söder und Vize Hubert Aiwanger und FW-Fraktionsvorsitzender Florian Streibl ihre Unterschrift unter den Vertrag. Foto: Jörg Koch/Bayerische Staatskanzlei

Der neue Koalitionsvertrag ist unterschrieben. Trotz der Störgeräusche zwischen CSU und Freien Wählern vor und nach der Landtagswahl einigen sich beide Parteien in Rekordzeit auf die Fortsetzung des schwarz-orangen Bündnisses in Bayern.

Pflichtschuldig loben die Regierungsparteien das ausgehandelte 85-Seiten-starke Rahmenprogramm mit dem Titel „Freiheit und Stabilität – Für ein modernes, weltoffenes und heimatverbundenes Bayern“ als großen Wurf, mit dem die Koalition mehr als 70 neue Projekte auf den Weg bringe: „Da ist alles drin, was Bayern für die nächsten Jahre braucht“, sagt CSU-Chef Markus Söder.

Erste FW-Ministerin Anna Stolz

Vize-Ministerpräsident und FW-Boss Hubert Aiwanger beschreibt den Geist des neuen Koalitionsvertrags als „ermöglichen statt verhindern“. Er sei noch fundierter als in der vergangenen Legislaturperiode. Man habe viel Input der Freien Wähler eingespeist, sagt der Wirtschaftsminister, der seinen Staatssekretär Roland Weigert durch den Regensburger Tobias Gotthardt ersetzt.

Was sich im Vorfeld angedeutet hat, vollziehen die Freien Wähler im Kultusministerium: Die bisherige Staatssekretärin Anna Stolz ersetzt ihren Chef Michael Piazolo. Thorsten Glauber darf weiterhin das Umweltressort führen.

Kein großes Stühlerücken wie im letzten Kabinett?

Markus Söder will seine Ministerriege erst bei der Vereidigung des Kabinetts am 8. November bekannt geben. Die bisherige Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) müsse sich trotz der Rochade keine „richtig großen Sorgen“ machen. Und das gilt wohl auch für Söders rechte Hand, Finanz- und Heimatminister Albert Füracker.

Davon ist jedenfalls Weidens Landtagsabgeordneter Stephan Oetzinger überzeugt. „Es ist klar, wer aus der Oberpfalz im Kabinett sitzt.“ Der Oberpfälzer CSU-Chef sei der unangefochtene Vertreter der Region in Kabinett. Der sitze „bombenfest“.

Eine FW-Ministerin: „Nicht gerade Frauenförderung“

„Dass die Freien Wähler im Kultusministerium einen Wechsel haben wollen, hat sich wohl abgezeichnet“, sagt Oetzinger über den nicht begründeten Rauswurf Piazolos. „Wir haben uns bei der Besetzung von deren Ministerien nicht eingemischt, umgekehrt tun das auch die anderen nicht.“  Für ihn liege allerdings die Vermutung nahe, dass die Freien Wähler Frauen prominenter besetzen wollten: „Bisher hatten sie nur eine Frau als Staatssekretärin, das kann man nicht gerade als Frauenförderung bezeichnen.“

Ob es für die ausgeschiedenen Kabinettsmitglieder Roland Weigert und Michael Piazolo zugleich das politische Aus bedeute, müsse man abwarten: „Sie können noch zwei Beauftragte benennen, die CSU fünf – wir gehen davon aus, dass sie hier noch jemand platzieren.“ Außerdem sei Piazolo schon mal Ausschussvorsitzender gewesen: Die Besetzung der Ausschüsse erfolge am 15. November.

Ministerpräsident Markus Söder gratuliert Stimmenkönig Albert Füracker zur Wiederwahl als Oberpfälzer CSU-Bezirkschef. Archivbild: Jürgen Herda

Digitalministerium ohne große Zuständigkeiten

Dass die Freien Wähler ihr gefordertes viertes Ministerium bekommen hätten, sei zum einen „schlicht und einfach eine mathematisch errechnete Größe“, sagt Wissenschafts- und Kulturpolitiker Oetzinger. Im Prinzip hätten sie jetzt aber auch nicht mehr Spitzenposten, weil sie dafür einen Staatssekretär opfern mussten. Zum anderen habe das Digitalministerium, bei seiner Einführung das erste bundesweit, eine Art Start-up-Charakter.

Zudem sei es lediglich ein Querschnittministerium ohne große Zuständigkeiten: „Wichtige Themen, wie der Breitband-Ausbau, sind weiter im Finanz- und Heimatministerium angesiedelt, die Digitalisierung der Verwaltung und der Kommunen im Innenministerium und der Mobilfunk war schon zuvor Aufgabe des Wirtschaftsministeriums.“

Präambel: „Demokratie vor Feinden schützen“

Zu den atmosphärischen Störungen wolle Oetzinger nur so viel sagen: „Mein Eindruck ist, man ist zur Sachlichkeit zurückgekehrt.“ Das sei gerade in dieser aufgeheizten Situation und der Erwartungshaltung an die Koalition auch geboten. Dass die Flugblattaffäre und Aiwangers populistische Äußerungen nicht spurlos geblieben seien, beweise die neue Präambel vor dem Koalitionsvertrag: „Ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“ Man wolle damit zum Ausdruck bringen: „Wir stehen dazu, dass wir die Demokratie vor Feinden schützen, stehen zur Erinnerungskultur und stellen uns klar gegen Antisemitismus.“

Im Koalitionsvertrag sei zudem nach wie vor die Hilfe für Asylsuchende verankert. „Wir wollen aber deutlich unterscheiden, wer ist schutzsuchend und wer ein Bewerber um freie Stellen – für letztere brauchen wir schnellere Lösungen.“ Um die Migration auf ein leistbares Maß zu begrenzen, fordere man vom Bund eine klare Festschreibung und einheitliche Regelung des Sachleistungsprinzips, die Möglichkeit, Asylsuchende zu ehrenamtlicher Arbeit zu verpflichten und eine zügige Rückführung abgelehnter Asylbewerber – sofern das möglich sei.

Ministerpräsident Markus Söder Altstadtfest Vohenstrauß
Selfie mit Stephans: Ministerpräsident Markus Söder mit Stephan Gollwitzer (Kreisvorsitzender der CSU Weiden, rechts) und dem Landtagsabgeordneten Stephan Oetzinger. Foto: Walter Beyerlein

Oetzingers Input zum Bereich Wissenschaft

Der Weidener Abgeordnete habe für sein Spezialgebiet, die Wissenschaftspolitik, schriftlichen Input gegeben: „Wir haben uns auf die Verstetigung der Hightech Agenda als Erfolgsfaktor für den Freistaat verständigt.“ Die Technologieoffensive habe rund 3800 Stellen, darunter 1000 neue Professuren sowie über 13.000 neue Studienplätze in 20 Spitzenforschungszentren in ganz Bayern geschaffen. Den Technologietransfer habe man durch den Aufbau von 16 neuen Technologietransferinitiativen und -zentren gestärkt. „Unser Ziel ist, ein Technologietransferzentrum in jedem Landkreis.“

Eine Möglichkeit, schneller und günstiger Bauvorhaben im Hochschul- und Uniklinik-Bereich umzusetzen, sei das österreichische Modell, bei dem die staatseigene Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H. (BIG) in Modulbauweise nach Vorgaben der Hochschulen baut und der Nationalrat einem Mietpreis zustimmt: „Ich habe mir das in Wien angeschaut“, sagt Oetzinger, „es geht so deutlich günstiger und schneller, ohne komplizierte haushälterische Begleitung.“ Gerade bei den älteren Unis wie Regensburg, wo er seit vier Jahren im Kuratorium sitze, sei der Bedarf enorm.

Paragraphenbremse zur Entbürokratisierung

Jeder redet davon, kaum eine Regierung schafft es: den Abbau bürokratischer Reglungen. Auch Stephan Oetzinger mach sich da nichts vor: „Auf der einen Seite wollen alle weniger Bürokratie, auf der anderen Seite wollen die Leute aber auch Regelungen für alles.“ Wie aber entstehe Bürokratie? „Da ist zum einen die Gesetzgebung beteiligt, deren Umsetzung in der Verwaltung, dann die Justiz, die mit ihrer Rechtsprechung Bürokratie schafft und zuletzt alle Menschen, die für Verbraucher-, Daten- und Umweltschutz Regelungen fordern.“ Ein plastisches Beispiel: „Die Leute beklagen sich über den deutschen Schilderwald, beantragen aber dann eine Tempo-30-Zone – und wollen, dass Schilder aufgestellt werden.“

Der ungewisse Bewusstseinswandel sei das eine, das konkret Machbare das andere. Daran orientiere sich die Staatsregierung: „Wir wollen den vorgegebenen gesetzlichen EU-Rahmen im Idealfall 1:1 umsetzen, und nicht durch eigene Gesetze verkomplizieren.“ Genau das sei nämlich bei der Datenschutzgrundverordnung und der FFH-Richtlinie passiert. Ein weiterer Punkt sei die Paragraphenbremse: „Kommt ein neues Gesetz, müssen zwei alte verschwinden.“ Genehmigungsfreundliche Behörden sollen außerdem mehr Entscheidungsfreiheit bekommen, Verwaltungsvorschriften eine beschränkte Gültigkeit erhalten. Auch die Einrichtung des Normenkontrollrats als Bürokratie-TÜV unter Walter Nüssel sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Aus dem Koalitionsvertrag

Präambel: In der Präambel bekennen sich CSU und Freie Wähler zur Demokratie und historischen Verantwortung Deutschlands. „Gerade mit Blick auf die Stärke der AfD ist dieses Bekenntnis wichtig“, sagt Ministerpräsident Markus Söder.

Verfassungsviertelstunde: Schülerinnen und Schüler sollen sich zur Stärkung des demokratischen Bewusstseins jede Woche eine Viertelstunde mit dem Grundgesetz auseinandersetzen.

Migration: Um den angenommenen Pull-Effekt zu minimieren, setzt die Koalition auf das Sachleistungsprinzip mit Bezahlkartensystem.

Klimaziele: Bayern soll bis 2040 klimaneutral werden – auch mit mehr Windkraft. Der Bund Naturschutz kritisiert: Die Abstandsregeln für Windräder seien noch nicht gänzlich gefallen.

Kritik der Opposition: „Eine Ansammlung von hohlen Phrasen“, findet AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner im Koalitionsvertrag. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze bemängelt den Vertrag als „ambitionslos und voller leerer Versprechungen“ ohne Zukunftskonzept. Laut SPD-Fraktionsvorsitzender Florian von Brunn beinhalte das Papier viele wichtige Themen, die aber auch schon 2018 aufgezählt worden seien. „CSU und Freie Wähler müssen jetzt aber fünf Jahre nachsitzen, weil sie ihre Hausaufgaben in der letzten Legislaturperiode nicht gemacht haben.“ Die SPD werde beobachten, „ob neue bezahlbare Wohnungen gebaut werden, der Ausbau der Windkraft beschleunigt wird oder der Transformationsprozess der Automobilindustrie ausreichend gefördert und unterstützt wird“.

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